ALTE MEISTERZu den Spitzenlosen gehört die Ansicht einer kleinen Stadt an einem Kanal, ein Frühwerk Jan van der Heydens, der bereits zu Lebzeiten als bedeutendster Maler holländischer Stadtansichten galt und überdies als einer der Begründer dieses Sujets angesehen wird. Bereits in diesem wohl zum Frühwerk gehörenden Bild ist die besondere Kunst van der Heydens zu finden, mit einem äußerst präzisen, minutiösen Malstil Atmosphäre zu schaffen. Seine Werke sind, wie auch das vorliegende, weniger topographisch korrekte Bestandsaufnahmen als vielmehr Stimmungsbilder einer Stadt (Lot 1507, 220/250.000).
Die in der Nachfolge Hans Memlings geschaffene Madonna mit Kind und musizierendem Engel gehört wegen seiner hohen Qualität und seiner herausragenden Provenienz zu den Spitzenlosen der Auktion. Die Tafel gehörte einst Kaiser Karl V. und befand sich in seinem Oratorium in Yuste; später gelangte sie in den Besitz des französischen Königs Louis Philippe. Ausführlichere Informationen sind der angehängten PM zu entnehmen (Lot 1404, 80/100.000). Die Tafel stammt aus einer vollständig offerierten rheinischen Privatsammlung, die insgesamt 20 Gemälde der niederländischen Schule des 16. und 17. Jh. – darunter Werke von Nicolaes Maes, Edwaerd Collier, Cornelis Shut und Karl Bredael -– umfasst. Ein ganz außergewöhnliches Gemälde kommt von Caesar Boetius van Everdingen. Eine junge Frau mit schwarzem Hut, die eine Brüstung hinunterblickt. Das Bild ist rätselhaft. Kein Attribut, kein Landschaftshintergrund, kein narrativer Kontext helfen bei seiner Deutung. Van Everdingens Tronie stellt eine junge holländische Bäuerin dar, die im Freien bei der Arbeit zu sehen ist, und die sich an einen Zaun lehnt. Was genau sie macht, warum sie herunterblickt, was ihre Geste zu bedeuten hat, kann nicht festgestellt werden. Die scheinbare Untersichtigkeit lässt vermuten, dass es sich um ein Supraporte oder Deckengemälde handelt. Lange Zeit verkannt, wurde van Everdingen später dann zum Hauptvertreter eines „Holländischen Klassizismus“ erklärt und seine Kunst mit der Malerei Ingres‘ oder dem Magischen Realismus assoziiert. Das Gemälde wird als Leihgabe angefragt für die van Everdingen-Retrospektive im Stedelijk Museum Alkmaar (Sept. 2016 bis Jan. 2017, Lot 1504, 140/160.000).
Aus der Werkstatt von Peter Paul Rubens stammt eine Madonna mit Kind. Diese um 1615 zu datierende Darstellung, lange Zeit in deutschem Adelsbesitz befindlich, stellt eine qualitätsvolle Arbeit der Rubens-Werkstatt dar, bei der eine eigenhändige Beteiligung von Rubens angenommen werden kann (Lot 1449, 150/180.000). Bei Diana mit Gefolge nach der Jagd ist eine Zusammenarbeit Jan Brueghel d. J. mit der Rubens-Werkstatt anzunehmen (Lot 1451, 100/120.000). Joachim von Sandrart ist mit dem wunderbaren Portrait einer Dame als Heilige Cäcilie vertreten (Lot 1515, 80/100.000). Mit derselben Taxe ist ein Südlicher Markt am Hafen von Anton Goubau versehen; der Maler hatte sich sehr erfolgreich auf großformatige und vielfigurige Markt- und Hafendarstellungen in italienischem Ambiente spezialisiert (Lot 1524, 80/100.000). Der Amsterdamer Landschaftsmaler Meindert Hobbema war ein Schüler von Jacob van Ruisdael. Aus dem nicht sehr umfangreichen Œuvre Hobbemas wird hier eine Wassermühle und Dorf in einer bewaldeten Landschaft angeboten (Lot 1538, 60/80.000). Charles (Karel) Beschey Landschafts-Bilderpaar mit reicher Staffage liegt bei 70/90.000 (Lot 1570).
Von einem Nachfolger Lucas Cranach d. Ä. stammt eine Judith mit dem Haupt des Holofernes (Lot 1406, 40/50.000). Albrecht Dürers Werkstatt ist mit zwei monochromen Altarflügeln mit Heiligen vertreten (Lot 1407, 75/90.000). Joseph Heintz d. Ä. zeigt den Hl. Martin bei der Teilung seines Mantels (Lot 1430, 80/90.000).
Andrea Scacciati liefert mit 150/180.000 das Highlight der italienischen Meister. Sein monumentales, 146 x 203 cm messendes Stillleben aus dem Jahr 1687 zeigt Rosen, Tulpen, Lilien und andere Blumen in einer Bronzevase. Die Leinwand gehört zu den Hauptwerken des Künstlers, der neben Bartolomeo Bimbi der bedeutendste Florentiner Stilllebenmaler der zweiten Hälfte des 17. Jh. war (Lot 1542). Mit 140/160.000 gehört die kleine Tafel einer von Engeln und Heiligen umgebenen Madonna mit Kind des 1379 in Florenz gestorbenen Andrea die Bonaiuto (Andrea da Firenze) zu den Spitzenlosen der Italien-Offerte (Lot 1403). Bei 70/100.000 liegt ein Stillleben mit Meerestieren Giuseppe Reccos (Lot 1541).Annibale Carraccis bisher noch nicht publiziertes Selbstportrait zählt zu den wichtigen Werken des Künstlers (Lot 1437, 120/150.000). Christofano Allori hat in Zusammenarbeit mit Zanori Rosi ein Gemälde mit Johannes dem Täufer in der Wüste geschaffen. Das Bild ist ein charakteristisches Beispiel für die florentinische Malerei des Barock (Lot 1442, 80/100.000).
Ergänzt wird die hochqualitative Offerte von zahlreichen, sehr reizvollen Werken italienischer, flämischer und niederländischer Meister.
SKULPTURENDie 45 bedeutenden Skulpturen und Gemälde aus dem 14.-19. Jh. aus dem Nachlass des renommierten Frankfurter Kunsthändlers Dr. Bernhard Decker bilden den Höhepunkt der Skulpturen-Offerte. Decker legte größten Wert auf authentischen Erhaltungszustand undoriginale farbige Fassungen, besonders bei den gotischen hölzernen Skulpturen. Hervorzuheben sind zum Beispiel ein Relief mit der „Geburt Christi“ aus der Werkstatt Tilman Riemenschnei-ders (Lot 1812, 90/100.000) und die „Prophetenbüste“, Tirol um 1485/1490, aus der Sammlung Goldschmidt 1909 und danach in der Sammlung der Fürsten von Liechtenstein (Lot 1809, 60/70.000). Nicht weniger bedeutend ist ein Michael Erhard zugeschriebenes Büstenfragment des Hl. Bernhardin von Siena (Lot 1806, 70/80.000).
Schwerpunkte des regulären Angebots von 55 Skulpturen und Kleinplastiken des 13. – 19. Jh. aus Bronze, Holz und Stein bilden mittelalterliche und spätgotische Werke aus dem deutschsprachigen Raum. Höhepunkt dieser regulären Skulpturenofferte ist ein hochbeutendes norddeutsches Aquamanile des 13. Jh. in Form eines Löwen. Die 25 cm hohe und 23 cm lange Bronze-Skulptur stammt aus der Kölner Sammlung Bourgeois Frères, die von Lempertz am 24. Oktober 1904 versteigert worden ist – das Aquamanile trug die Lotnummer 660 (Lot 1844, 70/100.000). Zu den weiteren Spitzenstücken gehören eine um 1370/1380 entstandene, 73 cm große nordfranzösische Madonna mit Kind (Lot 1848) und eine zweite Madonna mit Kind aus der Werkstatt des zwischen 1481 und 1526 in Ulm tätigen Nikolaus Weckmann (Lot 1863, 25/30.000). Bemerkenswert ist ebenfalls eine Wolf Verdross (tätig in Südtirol um 1560/1575) zugeschriebene Supraporte (Lot 1871, 35/38.000).
19. JAHRHUNDERTBarend Cornelis Koekkoeks großartiges Landschaftsbild gehört zu den bedeutendsten Werken des holländischen Romantikers aus den 1850er Jahren und ist gewiss das wichtigste Gemälde, das er 1858 gemalt hat – und ist ohne Zweifel die wichtigste seiner sächsischen Landschaften. Es ist sein letztes bedeutendes Bild, denn schon im darauffolgenden Jahr erlitt er einen Schlaganfall, was das Ende seiner Malerkarriere bedeutete. Koekkoek galt als der große, berühmte Landschaftsmaler Europas. Von besonderem Interesse ist dieses Gemälde außerdem, weil es viele Jahre Vincent van Gogh gehört hat. Nach dessen Versteigerung 1889 befand es sich ununterbrochen im Besitz einer deutschen Familie (Lot 1642, 150/180.000). Bei 50/60.000 liegt eine weitere Landschaft Koekkoeks mit Bäumen und Kühen an einem Bach (Lot 1643, 50/60.000).
Johann Bernhard Klombeck, einer der Schüler Koekkoeks in seiner Klever Akademie ist mit Winter im Reichswald präsent (Lot 1644, 30/40.000). Während Adolf Schreyer Arabische Reiter an einer Furt (Lot 1651, 50/60.000) und zwei arabische Reiter (Lot 1652, 40/50.000) zeigt, blickt Alois Schönn auf den Fischmarkt in Chioggia (Lot 1654, 30/35.000). Italienische Impressionen auch bei Guglielmo Ciardi mit seinen Segelschiffen im Sonnenuntergang (Lot 1680, 30/40.000) und einem Segelboot im Canale della Giudecca (Lot 1681, 28/35.000). Mit Gawriil Pawlowitsch Kondratjenko wird es russisch: Seine Abendstimmung in Sankt Petersburg und der Newa ist mit 70/90.000 bewertet (Lot 1691). Charakteristische Gemälde von Carl Spitzweg, Oswald und Andreas Achenbach, von Edouard von Grützner und Wilhelm Kunert runden die Offerte ab.
Lempertz Auktion 1057 14. November 2015, 11 Uhr, Lempertz, Köln
Vorbesichtigung Köln 6. – 13. November
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