Anfang der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts bemühte sich der Frankfurter Stadtbaurat Ernst May, in der Stadt am Main ein Museum für Städtebau mit internationaler Hilfe zu etablieren. Aber auch dieser Versuch scheiterte. Erst als Ende der 70er Jahre unter dem Kulturdezernenten Hilmar Hoffmann (SPD) und dem Oberbürgermeister Walter Wallmann (CDU) die Planungen für das Frankfurter Museumsufer Gestalt annahmen, erhielt die Idee, in Deutschland ein Architekturmuseum einzurichten, wieder eine neue Chance. Man holte sich den Rat des Kunst- und Architekturhistorikers Heinrich Klotz aus Marburg, der schon verschiedenen Kommunen vergeblich sein Konzept für ein Architekturmuseum vorgetragen hatte. „Schon einige Jahre hatte ich einen Plan im Kopf und entwickelte nun die Idee eines Ausstellungs- und Sammlungsortes, den die Architektur ebenso nötig hätte wie ein Diskussionszentrum. Es müsste ein Museum aktueller Auseinandersetzung entstehen, das gleichzeitig in historischen Rückblenden die Architekturgeschichte bis hin zu den Domen des Mittelalters und den griechischen Tempeln dem Publikum erklären sollte.“ Soweit Heinrich Klotz in seinen Lebenserinnerungen 1999. Es kostete ihn und Hilmar Hoffmann allerdings harte Überzeugungsarbeit, ehe 1977 die Absichterklärung der Stadt Frankfurt erfolgte, ein solches Architekturmuseum zu realisieren.
Bald war klar, dass die neue Institution in einer der beiden Gründerzeitvillen an der Ecke Schweizerstrasse – Schaumainkai untergebracht werden sollte. Klotz entschied sich für das kleinere der beiden Gebäude mit seinen ionischen Kolossalsäulen an der mainseitigen Fassade. Ein historisches Gebäude durch eine neue Funktion wiederzubeleben, entsprach seinen Vorstellungen von der Aufgabe der Architektur. Schon mit seinem tatkräftigen Einsatz für die Erhaltung der Marburger Innenstadt hatte er deutlich machen wollen, dass seiner Ansicht nach die Aufgabe der heutigen Baukunst sowohl in der Erhaltung älterer Bausubstanz als auch in der ökologisch rücksichtsvollen Erneuerung der gebauten Umwelt bestehen müsse.
Für den Umbau der historischen Villa in ein Museum schlug Heinrich Klotz den Kölner Architekten Oswald Mathias Ungers vor. Ungers hatte schon lange die Rückkehr der Architektur zur baukünstlerischen Tradition gefordert. Darin war er sich mit Klotz einig. So ist beim dem Umbau der Villa am Mainufer auch kein rein funktionaler Museumsbau entstanden, sondern ein programmatisches Gebäude für die Architektur.
Die Umwandlung des ehemaligen Privatbaus in einen öffentlichen Bau stellte den Planer vor zwei entscheidende Probleme: erstens war die Statik des Altbaus für öffentliche Zwecke völlig unzureichend und zweitens waren die zur Verfügung stehenden Flächen zu klein. Das erste Problem konnte nur dadurch gelöst werden, dass der Altbau völlig entkernt wurde. So eröffnete sich für Oswald Mathias Ungers die Chance sein Konzept von einem „Haus-im-Haus“ zu realisieren. Die zweite Schwierigkeit wurde dadurch angegangen, dass das Haus durch eine umgebende Glashalle bis an die Grundstücksgrenzen erweitert wurde, wodurch sich die Flächen vergrößerten.
In die entkernte Hülle des Altbaus stellte Oswald Mathias Ungers ein Haus über dem Grundriss eines fünf mal fünf Meter messenden Quadrates. Dieses „Haus-im-Haus“ wächst über vier Stützen empor, die das Zentrum des im Souterrain eingebauten Auditoriums markieren. Dieser Vierstützentypus mutiert in den darüber liegenden Geschossen des Museums mehr und mehr zu einer wirklichen Architektur. Der Kernbereich – also das „Haus-im-Haus“ – wird von eigenen Wänden umschlossen, diese erhalten Fenster- und Türöffnungen, und im Obergeschoss schließt dieses Haus mit einem Satteldach ab. Im Zentrum des Museums wird somit die Architektur selbst zum Thema am Beispiel der ältesten Bauaufgabe, des einfachen Hausbaus.
Mit dem Vierstützentypus griff Ungers im Auditorium eines der ältesten Motive der Architekturgeschichte auf, nämlich das „Baldachinmotiv“: Vier Pfeiler tragen ein schützendes Dach. Der „Baldachin“ markierte im antiken Palastbau die zentrale Stelle des Herdfeuers, er überhöhte die Thronsitze von Päpsten, Kaisern und Königen und findet sich bis heute mancherorts über dem Hochaltar einer Kirche. Von jeher symbolisiert er den Mittelpunkt der Erde. Dort, wo der Mensch vier Stützen und ein Dach errichtet, findet er Geborgenheit und seine Identität, indem er sich gegen die ungeschützte Weite des Raumes abgrenzt.
Nach außen grenzt sich das Museumsgebäude deutlich von den Nachbargebäuden ab. Gegen den Verkehrslärm des Schaumainkai wird es durch eine ringsumlaufende Mauer geschützt. Diese ist zur Straße hin als offene Loggia gestaltet. Die über drei Meter hohe Mauer aus rustizierten, roten Sandsteinquadern verweist in ihrer Technik zum einen auf das rustizierte Sockelgeschoss des Altbaus und zum anderen auf das Thema „Stadtmauer“. Und dies hat hier seinen besonderen Sinn: So entwickeln sich im Inneren des Museums der Eingangsbereich, die seitlich an der Villa vorbei geführten Korridore, der rückwärtige Gartensaal und die angrenzenden zwölf kleinen Höfchen gleichsam zu einer Stadt en miniature.
Die Ausstellungshalle, die im Erdgeschoss einen großen Teil des ehemaligen Gartenareals der Villa einnimmt, umschließt in ihrer Mitte einen quadratischen Innenhof mit den gleichen Maßen wie den inneren Vierstützenraum, der von ebenfalls im Quadratraster geteilten Glaswänden geschlossen wird. An dieser Stelle ist besonders deutlich spürbar, dass das gesamte neue Gebäude auf einem quadratischen Grundraster basiert. Dieses Modul ist im ganzen Haus erfahrbar – in den Intervallen der Pfeiler, im Fußbodenmuster, ja sogar in der Gestaltung der Stühle im Vortragssaal. Die Halle wird von einer flachen, wiederum in kleine Quadrate unterteilten Tonne geschlossen. Ungers spielte damit bewusst auf einen der wegweisenden Innenräume der Modernen Architektur an, nämlich auf die berühmte Schalterhalle in der Wiener Postsparkasse von Otto Wagner aus dem Jahre 1906 und deren baukünstlerische Wurzel, die Basilika des Andrea Palladio in Vicenza.
Im ersten Obergeschoss des Museums – nun wieder innerhalb der historistischen Villa – öffnet sich eine weitere Ausstellungshalle, die von Stützen in drei Schiffe geteilt wird und somit das Thema des basilikalen Raums aufgreift. In der Mitte verdichtet sich der Raum wiederum um die vier Pfeiler, die das „Haus im Haus“ tragen. Der Blick des Besuchers wird nun nach oben durch die seitlich an die Stützen anschließenden Deckendurchbrüche gelenkt. Nun erkennt man, wie sich in den beiden folgenden Geschossen die Transformation des Vierstützentypus zum Haus vervollständigt.
Deutlich wird jetzt auch das Konzept der gesamten Gebäudeanlage: Vom „Haus-im- Haus“ – dem gleichsam verdichteten Kern – lässt es sich nach außen hin „auffächern“. Um den „Kern“ legt sich eine weitere Raumschale, die die Zone zwischen dem Einbau und der Außenwand des Altbaus markiert. In diesem Zwischenbereich sind die in der Definition von Louis Kahn „dienenden Räume“, die beiden Treppenhäuser und der Lastenaufzug, untergebracht. Die Treppenschächte sind zwangsläufig eng und daher wenig repräsentativ. Das Gebäude entwickelt sich in der Horizontalen als ein Gebilde aus mehreren Hüllen, während sich in der Senkrechten die Verwandlung vom Stützenraum im Souterrain zum umschlossenen Haus im vierten Obergeschoss darstellt.
Das DAM ist in erster Linie kein funktionales Museum, es wird viel mehr für denjenigen, der es „lesen“ kann, zum Bedeutungsträger und programmatischen Gebäude. Die strenge quadratische Struktur des Raumgefüges, die ausschließliche Verwendung der Farbe Weiß und die gemischte Tageslicht- und Kunstlichtführung entmaterialisieren den Raum und betonen das abstrakte Raumerlebnis: Das Museum als Ort geistiger Vertiefung oder – wie dies anlässlich der Eröffnung dieses Hauses Vittorio Magnago Lampugnani ausdrückte – „die Geste und ihr Schatten“. Für Oswald Mathias Ungers ist das DAM sein „bester Bau“, wie er bei der Eröffnung der 20jährigen Jubiläumsausstellung im Jahre 2004 feststellte. Anlässlich seines 80jährigen Geburtstags veranstaltete das DAM im September 2006 eine Tagung zum „Haus-im-Haus“ und seinem Schöpfer.
Ungers hat im DAM – wie später kaum noch einmal in so reiner Form – seiner Architekturtheorie von der transformatorischen Morphologie Gestalt gegeben. Deshalb kommen auch jährlich viele Besucher – besonders aus dem Ausland – nach Frankfurt, um nicht nur die Ausstellungen zu besuchen, sondern insbesondere das Gebäude kennen zu lernen. Der DAM veranschaulicht in einzigartiger Weise das, was Heinrich Klotz als das leitende Grundprinzip der postmodernen Architektur proklamiert hat: die Gestalt eines Bauwerks bewusst mit einem Inhalt zu verbinden, der zum Erzählstoff wird.