Verner Panton, SPIEGEL-Kantine, Snackbar, 1969, Detail, Foto: Michael Berhardi/Spiegel Verlag Verner Panton, SPIEGEL-Kantine, Snackbar, 1969, Detail, Foto: Michael Berhardi/Spiegel Verlag - Mit freundlicher Genehmigung von: mkg

Was: Presse

Wann: 19.10.2012

Das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MKG) richtet in einem Flügel des Hauses eine groß angelegte Design-Ausstellung mit rund 600 Exponaten auf über 1000 Quadratmetern ein. In den vergangenen Jahren wurde die Design-sammlung kontinuierlich durch gezielte Ankäufe erweitert und wird permanent durch den Erwerb aktueller Positionen aus dem zeitgenössischen Design…
Das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MKG) richtet in einem Flügel des Hauses eine groß angelegte Design-Ausstellung mit rund 600 Exponaten auf über 1000 Quadratmetern ein. In den vergangenen Jahren wurde die Design-sammlung kontinuierlich durch gezielte Ankäufe erweitert und wird permanent durch den Erwerb aktueller Positionen aus dem zeitgenössischen Design fortgeführt. Ergänzt wird die neu eingerichtete Design-Ausstellung durch zwei einmalige Period Rooms: Aus dem Ensemble der berühmten SPIEGEL-Kantine, die Verner Panton 1969 für die SPIEGEL-Verlags-gruppe einrichtete, sind ab Oktober der orangefarbene Speiseraum und die Snackbar zum ersten Mal für die Öffentlichkeit zugänglich. Als Hommage an Dieter Rams rekonstruiert das MKG außerdem das ehemalige Büro der Designlegende in der Hochschule für Bildende Künste Hamburg (HFBK). Rams hatte mit den niedrigen Systemmöbeln aus dem Stapelprogramm 740 ausgestattet, das er für die Firma Vitsoe entworfen hatte. Vor dem Hintergrund der zurzeit intensiv diskutierten Frage, wie und nach welchen Kriterien Design in einem Museum zu präsentieren sei, geht das MKG in Kooperation mit der HFBK einen neuen Weg der Präsentation. In Zusammenarbeit mit Jesko Fezer, Professor für Experimentelles Design an der HFBK, entstehen fünf Denkräume, die die Bedeutung von Design und sein Potenzial, in gesellschaftliche Prozesse hineinzuwirken, verhandeln: Archiv, Innovation, Ressourcen, Subversion und Kommunikation. Das Rückgrat, das alle Räume miteinander vernetzt, bildet das Archiv. Das MKG macht in dieser Schausammlung einen Teil seiner Depots öffentlich und präsentiert insgesamt über 500 Objekte aus Kunsthandwerk und Design seit 1945. Zu sehen sind Dinge der Alltagskultur vom Aschenbecher über die Kaffeemaschine bis zur Zahnbürste, vom Glas- und Keramikobjekt über Schmuck bis zum Möbel, vom anonymen Massenprodukt bis zum Autorendesign von Otl Aicher bis Marco Zanuso. Damit besinnt sich das Haus auf die Urkompetenzen der Kunstgewerbemuseen: Es wird zum Wissensspeicher und führt dem Besucher handwerkliche und industrielle Gestaltungsmöglichkeiten in enzyklopädischer Vielfalt vor Augen. Das Archiv liefert damit einen Ideenpool zu wesentlichen Aspekten wie Material, Technik, Form und Produktionsweisen.

 

Die Neueinrichtung der Sammlung Design wird ermöglicht durch Mittel aus dem Sonderausstellungsfonds der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg. Auch für diese Neueinrichtung konnte das MKG einen Saalpaten gewinnen und dankt der Hubertus Wald Stiftung für die großzügige Unterstützung. Die Einrichtung der SPIEGEL-Kantine wird ermöglicht durch die großzügige Unterstützung des SPIEGEL-Verlags und Mittel der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg.

 

Design – Innovation: Von Anbeginn ist Design mit der Idee des Fortschritts eng verbunden. Die Frage: „Was braucht der Mensch?“ war und ist immer noch eines der zentralen Leitmotive für Designer. Dabei greifen sie wissenschaftliche und technologische Revolutionen auf, um sie in alltagstaugliche Objekte umzusetzen. Umgekehrt verändert die rasante technische Entwicklung die Funktion vieler bekannter Geräte. Daraus ergeben sich wiederum neue Gestaltungsaufgaben für die Designer, die auf völlig neue Anwendungsbereiche und Gebrauchsweisen reagieren müssen. Ein zentraler Wesenszug des technologischen Fortschritts ist die Tendenz zur Entmaterialisierung und Digitalisierung. Sie setzt eine Ästhetisierung des Verschwindens in Gang. Dieses „Verschwinden“ sowohl von Geräten wie Speichermedien wird im Audiobereich exemplarisch vorgeführt. Hier vollzieht sich die Entwicklung von der Platte über Tonband, Kassette und CD hin zum virtuellen MP3- Format, vom Plattenspieler bis hin zum MP3-Player. Firmen wie Braun, Brionvega, Sony oder Philipps haben in diesem Produktbereich neue Designstandards gesetzt. Sie haben namenhafte Entwerfer wie Dieter Rams, Hans Gugelot, Mario Bellini, Richard Sapper, Marco Zanuso oder Jonathan Ive engagiert, um der technischen Innovation ein unternehmensspezifisches, gestalterisch-visuelles Alleinstellungsmerkmal zu verleihen. Eine andere Facette

von Innovation zeigt der Bone Chair von Joris Laarman. Er ist ein Ergebnis neuer digitaler Technologien, die  ein völlig neues Entwurfsdenken im Design ermöglichen.

 

Design – Ressourcen: Ein wichtiger Motor von Design ist die Stimulation der Konsumgesellschaft. Die Folgen des Konsums, Massenproduktion und rücksichtsloser Umgang mit den Ressourcen kommen die Gesellschaft jedoch in ökologischer und sozialer Hinsicht teuer zu stehen. Im Kontext der ersten Ölkrise veröffentlichte der Club of Rome 1972 ein alarmierendes Statement über die Grenzen des Wachstums. Auf die euphorische Fortschrittsgläubigkeit der 1960er Jahre folgte die immer stärker werdende Angst vor der naturzerstörenden Wirkung der Industrialisierung: Nachhaltiges Design etablierte sich als einer der Grundpfeiler berufsethischer Orientierung, Ökologie wurde zu einer Quelle von Gestaltungsstrategien. Design für Nachhaltigkeit erzeugt Lösungen, die nicht nur einen gesellschaftlich sinnvollen Nutzen erbringen, sondern auch auf die Vermeidung ökologischer Schäden abzielen. Design für Recycling kümmert sich um die Kreislauffähigkeit der Produkte, ihre Ökobilanz. Ein frühes Beispiel hierfür liefert der Bürostuhl Picto der in Niedersachsen ansässigen Firma Wilkhahn. Schon längst begnügt sich ökologisches Design nicht mehr mit althergebrachten Alternativ-Ästhetik „Jute statt Plastik“, sondern bringt komplexe Produkte auch im High Tech Bereich hervor, die langlebig und recyclebar und dabei auf einem anspruchsvollen und individuellen, ästhetischen Niveau sind wie der Fernseher Jim Nature des französischen Stardesigners Philippe Starck. Immer wichtiger wird auch das sogenannte Base of Pyramid-Design, das nach Lösungen zur Verbesserung der Lebensgrundlage für die Ärmsten der Armen sucht. Eine prominente und sehr erfolgreiche Aktion ist das Projekt „One laptop per child“, das nicht nur einen „demokratischen“ Zugang zum globalen Wissen ermöglicht, sondern auch die schwierige Frage der Energieversorgung zu lösen versucht.

 

Design – Subversion: Seit den 1960er Jahren setzt im Designbereich eine zunehmende Konsumkritik ein. Die Dogmen der Moderne und Funktionalität und Funktionalität werden verabschiedet. Eine neue Gegenkultur bildet sich heraus, die ihre Anregungen aus den Subkulturen, der Musikszene oder der Pop- Art bezieht. Italien und Deutschland werden zu Hoch-burgen einer radikalen, gegen das Mainstreamdesign der Industrie gerichteten Bewegung. Mit seinem 1968 veröffentlichten Text „Die heiligen Kühe des Funktionalismus müssen geschlachtet werden“ versetzt Werner Nehls der Guten Form den Todesstoß. Die gezielte Funktionalismuskritik mündet schließlich in Subversion und Ironisierung, in Brechung gewohnter Funktions-, Form- und Materialzusammenhänge. Das anything goes beginnt das klassische Design zu unter-minieren, statt form follows function gilt nun form follows fun oder form follows fiction. Das Autorendesign entsteht, und damit werden auch die Grenzen zur Kunst fließender. Design wandelt sich zum Bedeutungsträger, Designer inszenieren neue sinnliche Erscheinungsweisen der Objekte und stellen dadurch eine neue emotionale Beziehung zwischen Benutzer und Objekt her. Hierzu gehören der Pratone von Gruppo Strum oder die Tischlampe Tahiti von Ettore Sottsass, der zu einem Sitzmöbel transformierte Einkaufswagen von Stiletto. ebenso wie Schminkspiegel TV Mediengeil des Hamburger Ateliers Möbel perdu. Und wohl keine Werbekampagne hat die Öffentlichkeit so sehr berührt wie die subversiv verstörenden Plakate, die Oliviero Toscani für die Firma Benetton entwarf.

 

Design – Kommunikation: Kommunikation bildet das Nervensystem der Globalisierung. In diesem Sinne bedarf es einer universellen Zeichensprache, die in möglichst vielen Kulturen verständlich ist. In einer “world without words“, einer Welt der visuellen Codes liefern Piktogramme ein internationales und sprachunabhängiges Referenzsystem. Sie weisen die Richtung, helfen Grundbedürfnisse zu decken und erklären Verhaltensregeln. Einer der wichtigsten Entwerfer für Piktogramme war der an der Ulmer Hochschule für Gestaltung tätige Ottl Aicher. Vor allem mit seinen Piktogrammen für die Olympiade in München 1972 setzte er neue Standards. Brands – Markennamen und Logos – dienen ebenfalls der Verständigung auf dem globalen Markt. Beim Branding bewegt man sich in einem kodifizierten Machtsystem von Kapital, Produktion und Handel. Durch den Designboom der 80er Jahre bekommt das Design eine neue Rolle in der Unternehmenspolitik. Im Kampf gegen die Konkurrenz blieb vielen Firmen bei qualitativ gleichwertigen Produkten nur noch das Branding: die Gestaltung von Produkten als Imageträger für das Unternehmen sowie für den Konsumenten.

 

Die SPIEGEL-Kantine von Verner Panton: Der dänische Designer Verner Panton (1926-1998) richtete 1969 das gesamte Verlagshaus des SPIEGEL in Hamburg mit einer eigens dafür geschaffenen Innenarchitektur ein. 2011 zog der SPIEGEL in ein neues Verlagshaus. Die Kantine, der letzte vollständig erhaltende Raum des Panton'schen Konzepts, wird im MKG installiert. Anlässlich seines Umzuges hat der SPIEGEL-Verlag die 1969 von Verner Panton gestaltete Kantine dem MKG zum Geschenk gemacht. Mit dem Umzug in das MKG wird die SPIEGEL-Kantine als einzigartiges Zeitdokument der 1960er Jahre zu einem musealen Objekt, das restauratorisch gepflegt und in seiner originalen Gestaltung erhalten wird. Da der SPIEGEL keine baulichen Veränderungen am bereits bestehenden Verlags-Gebäude in der Brandstwiete vornehmen konnte, wollte man eine individuelle und außergewöhnliche Inneneinrichtung, die von einem renommierten Designer konzipiert werden sollte. Die Wahl fiel auf den Dänen Verner Panton, der damals vor allem für seine psychedelischen Innenräume bekannt war, die er mit neusten Materialien der Zeit umsetzte. Er schuf dreidimensionale Rauminstallationen, die in Form- und Farbgebung zur Mode und zum Zeitgeist der 1960er Jahre passten und durch Innovation und Modernität auffielen. Nach und nach wurde die Einrichtung Pantons abgebaut, da sie gerade in den 1980er und 1990er Jahren als nicht mehr zeitgemäß empfunden wurde. Aufgrund Hamburger Bürgerinitiativen wurde die Kantine des SPIEGEL-Verlags, ein aus drei Räumen bestehendes Ensemble, 1998 unter Denkmalschutz gestellt und ist seitdem im Wesentlichen erhalten geblieben. Die Kantine besteht aus einem orangefarbenen, einem roten und einem violetten Speiseraum, sowie einer Snackbar. Möbel, Vorhänge, Wand- und Deckenbekleidung sind ebenso wie die Lampen aufeinander abgestimmt und bilden eine Rauminstallation. Durch wiederkehrende Elemente stellte Panton einen Bezug zwischen den Räumen her.

 

Das ehemalige Hochschulbüro von Dieter Rams: Als Hommage an die Designlegende rekonstruiert das MKG das ehemalige Hochschulbüro von Dieter Rams in der HFBK. Als einer der einflussreichsten zeitgenössischen Designer hat Dieter Rams vor allem das Produktdesign der Firma Braun nachhaltig geprägt. 1981 wurde Rams als Professor für Industriedesign an die HFBK berufen, wo er bis 1997 lehrte. Sein Büro stattete er mit dem Stapelprogramm 740 aus, das er für die Firma Vitsoe entworfen hatte. In dem Entwurf für diese niedrigen Systemmöbel spiegeln sich japanischen Einflüsse wider, vor allem in der Idee des bodennahen Sitzens. Von 1955 bis 1997 war Dieter Rams als Direktor für das Produktdesign der Firma Braun verantwortlich. Einige der wegweisendsten Elektrogeräte des 20. Jahrhunderts entstammen seiner gestalterischen Vision. Parallel dazu verfolgte er eine Karriere als Möbelentwerfer für die Firma Vitsoe. Für Rams bedeutet Design eine Grund-haltung, die Aufgabe, immer wieder nach einer guten Lösung zu suchen. Seine Maxime: "Gutes Design ist so wenig Design wie möglich". Bereits Mitte der 1970er Jahre mahnte er die gesellschaftliche Verantwortung des Designers an, in einer Umwelt mit zunehmender und unumkehrbarer Knappheit natürlicher Ressourcen zu agieren.

 

Künstler: Otl Aicher, Gijs Bakker, Yves Béhar, Walter Van Beirendonck, Mario Bellini, Günter Beltzig, Harry Bertoia, Max Bill, Marcel Breuer, l, Achille Castiglioni, Peter Chang, Sandro Chia, Maike Dahl, Tom Dixon, Georg Dobler, Alba D'Urbano, Hendrike Farenholtz, Michel Feith, Piero Fornasetti, Ernst Gamperl, Frank Gehry, Javier Gomez, Konstantin Grcic, Gruppo Strum, Hans Gugelot, Herbert Hirche, Martin & Ulla Kaufmann, Astrid Keller, Walter Maria Kersting, Otto Künzli, Heinz Landes, Wolfgang Laubersheimer, Rouli Lecatsa, Emmy van Leersum, Hilde Leiss, Beate Leonards, Heinrich Löffelhardt, Raymond Loewy, Yurie Masaki, Issey Miyake, Jasper Morrison, Bruno Munari, Aaron Mutendadi, Frans van Nieuwenborg, Katsuhito Nishikawa, Meret Oppenheim, Sven Palmquist, Verner Panton, Nathalie du Pasquier, Gaetano Pesce, Otto Piene, Michelangelo Pistoletto, Anne & Patrick Poirier, Gió Ponti, Peter Raacke, Paco Rabanne, Dieter Rams, Vladi Rapaport, Tejo Remy, Richard Sapper, Timo Sarpaneva, Peter Schmidt, Florian Seiffert, Borek Sipek, Stefan Strube, Ettore Sottsass, George James Sowden, Philippe Starck, Stiletto (Frank Schreiner),  Superstudio, Janna Syvänoja, Hiro Teranishi, Matteo Thun, Oliviero Toscani, Wolfgang Tümpel, Gianni Versace, Voortman & Girod Studio, Charlotte van der Waals, Wilhelm Wagenfeld, Marcel Wanders, Jan Wege, Stefan Wewerka, Tapio Wirkkala, Marco Zanini, Marco Zanuso und andere.

 

Eröffnungswochenende: Am Samstag, den 20. Oktober, und Sonntag, den 21. Oktober, findet von 11 bis 18 Uhr ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm in Kooperation mit der Hochschule für Musik und Theater Hamburg unter der Leitung von Prof. Frank Böhme, sowie der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg und mit A Wall is a Screen statt. Gezeigt werden Mode- und Musikperformances sowie Filme der Kurzfilmagentur Hamburg zu technischen Innovationen und zum Lebensgefühl der 1950er bis heute. Das detaillierte Programm ist ab Anfang Oktober auf www.mkg-hamburg.de zu finden.

 

Designergespräch: Sonntag, 21. Oktober 2012, 12 Uhr: Prof. Dieter Rams im Gespräch mit Prof. Dr. Klaus Klemp, Museum für Angewandte Kunst in Frankfurt

 

Katalog: Zur SPIEGEL-Kantine erscheint ein Katalog. „Verner Panton Die SPIEGEL-Kantine“, Hrsg. Sabine Schulze und Ina Grätz, Texte von Claudia Banz, Heinz Egleder, Ina Grätz, Julide Kurtulus, Mathias Remmele, Manfred Sack, Mathias Schreiber, Sabine Schulze und Finn Warncke, Deutsch, 2012, ca. 128 Seiten, ca. 95 farbige Abb., gebunden, ca. 29,80 Euro

Tags: Design, Hamburg, Neueröffnung, Sammlung