Von Sonnenaufgang am Pfingstsamstag bis Tagesanbruch heute, Dienstag, fanden die letzten Tage, des posthum aufgeführten 6‐Tage‐Spiels von Hermann Nitsch auf Schloss Prinzendorf in Niederösterreich statt.Dem Wunsch des im Frühling 2022 verstorbenen Künstlers entsprechend, setzten Ehefrau Rita Nitsch, Adoptivsohn Leonhard Kopp als Spielleiter, Frank Gassner Regie und der langjährige, musikalische Leiter Andrea Cusumano das Orgien Mysterien Theater ein letztes Mal um. 2022 die Tage eins und zwei, 2023 Tag drei, nun die Tage vier, fünf und sechs – und es glückte ein ebenso ekstatischer wie berührender Abschluss. Das opulente Spektakel vereint Kunst, Ritual und Gemeinschaft in barocker Fülle, wie es der österreichische Künstler seit den 1950er Jahren entwickelte. Dies war die 160. Aktion des Orgien Mysterien Theaters.
Ein opulentes Gesamtkunstwerk, hochgradig sinnlich und archaisch.Täglich strömten rund 400 BesucherInnen in den Innenhof des barocken Schlosses in Niederösterreich, rund 50 Minuten von Wien entfernt und erlebten ein Gesamtkunstwerk aus Farbe, Fleisch, Klang und Symbolik. Die Inszenierung verlangte den ZuschauerInnen – und vor allem den Darstellenden – einiges ab: Blut, Innereien, Gerüche, Klangcluster, Weihrauch und rituelle Prozession sprechen bei ZuschauerInnen – Nitsch sprach von "Spielteilnehmern“ – und PerformerInnen alle Sinne an und versetzt diese in bewegende, mal rauschhaft, mal meditativ-mystische Zustände. Ein künstlerisches Spektakel, das Kunstgeschichte atmet und Einzigartiges spürbar machte: Gefühle jenseits des Gewöhnlichen.
Schloss Prinzendorf als Bühne und WirkungsortDas von Hermann Nitsch zu Beginn der 1970er Jahre erworbene Schloss, diente ihm zeitlebens als Wohn-, Arbeits- und Wirkungsstätte. Über viele Jahre renoviert, erstrahlt es heute in prachtvollen Zustand und dient auch posthum als einzigartiger Austragungsort. Schloss Prinzendorf ist das Epizentrum der Vision und des künstlerischen Werks des österreichischen Ausnahmekünstlers.Neben dem zentralen Hof und den umliegenden Wiesen, konnte im Schloss selbst das Sommeratelier des Künstlers erlebt werden; Werke wurden in der schlosseigenen Kapelle und in den dazugehörigen Gehöftteilen ausgestellt. Im "Glockenstall" wurde die „Sinnesapotheke“ – präzise Formationen mit Gewürz- und Lebensmittelproben und weiteren Ingredienzien – auf langen Tischen dargeboten. Unter der musikalischen Leitung von Andrea Cusumano spielte ein etwa 90‐köpfiges Orchester Minimalismen, Cluster, sirenenartige Klangteppiche und das apokalyptisch‐tröstliche Crescendo bei der Abschlussprozession – eine bewusste Verdichtung des ritualistischen Gesamtkonzepts. Das musikalische Schaffen wurde für Nitsch gegen Ende seines Lebens immer relevanter. 2019, wenige Jahre vor seinem Tod schrieb er die Partitur, das 6-Tage-Spiel, 2. Fassung final auf, um es auch nach seinem Ableben zugänglich und wie jetzt aufführbar zu machen.
Die Inszenierung, nach der 1 000‐seitigen Partitur choreografiert, ließ Szenen entstehen, die zugleich schockierten und berührten: gekreuzigte Akteure, Schweinekadaver, innere Organe und Früchte, das Orchester, Trommeln, Glocken, Pfeifen, überbordender Blumenschmuck – und die Gemeinschaft, gebildet aus Kunstaffinen, ProfessionistInnen des Kunstbetriebs, jungen EntdeckerInnen und treuen Nitsch‐Fans.
Rita Nitsch, die mit diesem finalen Ereignis den Wunsch ihres verstorbenen Ehemannes zum Abschluss brachte, war sichtlich ergriffen und bedankte sich abschließend bei allen Performerinnen und Performern, ihrem langjährigen Team und weiteren Unterstützern.Die SpielteilnehmerInnen wurden an allen drei Tagen kulinarisch bestens begleitet. Am letzten Tag, dem Montag, veranstaltete Gourmetkoch Max Stiegl seinen imposanten „Sautanz“. Eine stolze Sau ließ ihr Leben, enthauptet, eindrucksvoll im Schlosshof dargeboten. Das Tier wurde samt und sonders für das abschließende Festmahl auf gekonnte Art zubereitet. Für Küchenchef Max Stiegl schließt sich damit ein Kreis und markiert einen Höhepunkt der 20-jährigen Freundschaft, die ihn mit Hermann und Rita Nitsch verbindet.
AusblickAuch wenn derzeit noch keine konkreten Pläne vorliegen, zeichnet sich bereits ab, dass das Schloss in Zukunft weiterhin als Ort für Performancekunst belebt sein soll. Es ist der ausdrückliche Wunsch von Rita Nitsch, dem Neffen des Künstlers Paul Breitenfelder sowie der Nitsch Foundation, das Leben und Werk von Hermann Nitsch weiterhin lebendig zu halten und für ein neues, vielschichtiges Publikum erlebbar zu machen.Erste Ideen und Projekte beginnen sich zu formieren – mit dem Ziel, Schloss Prinzendorf als kulturellen Ort weiterzuentwickeln und zugleich die künstlerische Vision des Künstlers in zeitgemäßen Formen fortzuführen.