Mit großzügiger Unterstützung der Hermann-Ilgen-Stiftung, Dresden, haben die Kunstsammlungen Chemnitz die Installation DDR Noir (Bergarbeiterkneipe) der international geachteten Künstlerin Henrike Naumann erworben. Das Ensemble bereichert den Bestand Malerei und Plastik mit einer bedeutenden Position von einer aus der Region stammenden Künstlerin, die hier die Sicht auf die DDR in der Wendezeit und bis heute mit lokalen Bezügen in ihrer Arbeit reflektiert. Henrike Naumann, geboren 1984 in Zwickau, gehört zu einer jüngeren Generation von Künstler*innen, die sich intensiv mit dem Erbe der DDR, der rechten Jugendkultur in Sachsen, der Vereinigung der beiden deutschen Staaten und dem Verhältnis von Ost- und Westdeutschland auseinandersetzen. Sie hat national und international ausgestellt, erhielt zahlreiche Stipendien und Residencies und wurde mehrfach ausgezeichnet, so 2018 mit dem Karl Schmidt-Rottluff Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes und 2019 – auf Vorschlag des Generaldirektors der Kunstsammlungen Chemnitz, Dr. Frédéric Bußmann – mit dem Max-Pechstein-Förderpreis der Stadt Zwickau sowie dem Kunstpreis der Leipziger Volkszeitung. Im Sommer 2019 hat Henrike Naumann in dem von den Kunstsammlungen Chemnitz initiierten Projektraum Chemnitz Open Space unter dem Titel Urgesellschaft ausgestellt. Thema der Ausstellung war die Sicht auf die DDR in den frühen 1990er Jahren und bis heute als eine wilde und unzivilisierte Gesellschaft. Die Künstlerin zeigte Mobiliar aus der Nachwendezeit im sogenannten Memphis-Stil der 1980er Jahre, das sie bereits 2018 in der Ausstellung DDR Noir: Schichtwechsel in der Berliner Galerie im Turm installiert hatte. Aus dieser Berliner Ausstellung kommt auch die im Herbst 2019 erworbene Arbeit DDR Noir (Bergarbeiterkneipe), die aus einer Hausbar im Memphis-Stil und einem 1960 von ihrem Großvater Karl Heinz Jakob gemalten Bergarbeiter-Portrait besteht.Karl Heinz Jakob (1929–1997) war ein in der DDR geachteter Maler, dessen Sujets sich, wie von der offiziellen Kulturpolitik gewünscht, aus dem Bereich der Werktätigen und Arbeiter speisten, aber auch aus dem familiären Umfeld. Von ihm stammt unter anderem das monumentale Wandbild Mechanisierung der Landwirtschaft, 1960–1961, im ehemaligen Plenarsaal des Rates des Bezirks Karl-Marx-Stadt in unmittelbarer Nähe zu den Kunstsammlungen am Theaterplatz.
Das in Henrike Naumanns Installation DDR Noir (Bergarbeiterkneipe) einbezogene Portrait eines Bergarbeiters mit Helm (Zwickauer Kumpel, 1960) gehört zu den Gemälden von Karl Heinz Jakob, die den kulturpolitischen Anforderungen an die Darstellung von Arbeitern im Stile des sozialistischen Realismus genügen, zugleich aber auch Raum für die Individualität des Dargestellten lassen sollten. Die körperliche und vielleicht auch seelische Erschöpfung des Porträtierten ist im Gesicht und besonders in den müden, aber offenen Augen ablesbar, was wiederum nicht der offiziellen Propagierung eines optimistisch in die sozialistische Zukunft schauenden Arbeiters entsprach. Henrike Naumann setzt das Gemälde mit einer schwarz lackierten Bargarnitur mit Spiegeln, Goldverzierung und Hocker, aber auch einer goldenen Lampe mit den Bergbausymbolen Schlägel und Eisen in den Dialog. Der Titel der Installation, DDR Noir (Bergarbeiterkneipe), öffnet ein ganzes Spektrum von düsteren Assoziationsräumen.
Henrike Naumann fragt hier unter anderem nach dem Umgang mit dem Erbe der DDR, mit der Wendezeit und mit dem komplexen und ambivalenten Vorgang des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik. Durch die anachronistische und direkte Konfrontation völlig unterschiedlicher ästhetischer Ansätze wie der Malerei der späten 1950er und frühen 1960er Jahre sozialistisch-ostdeutscher Prägung und dem kapitalistisch-postmodernen Mobiliar westdeutscher Einrichtungshäuser entstehen Assoziationsketten und Brüche, die auf künstlerische Weise die ganze Spannweite der angedachten Bezüge in einer raumgreifenden Installation erfahrbar machen und zur Reflexion darüber einladen.
»Henrike Naumanns Arbeit DDR Noir (Bergarbeiterkneipe) ist für die Kunstsammlungen Chemnitz nicht nur deswegen von großer Bedeutung«, so Dr. Frédéric Bußmann, »da mit dem Erwerb des Werkes der Bestand im Bereich Skulptur und Plastik in Richtung Gegenwartskunst erweitert wird. Die Künstlerin setzt sich in ihrer Arbeit auseinander mit dem für Chemnitz virulenten Thema des Umgangs mit dem Erbe der DDR und den Transformationsprozessen, die die Vereinigung mit sich brachte.«