Das Universalmuseum Joanneum feiert Geburtstag. 200 Jahre sind nicht nur Anlass, der Geschichte eines der Juwelen im wissenschaftlichen und kulturellen Leben Österreichs zu gedenken und stolz auf die Vergangenheit zu blicken. Das Jubiläum fordert zugleich heraus, dem Wesen der Zeit selbst, diesem ungreifbaren Fluidum, in dem wir uns alle bewegen, nahe zu kommen. Museen sind Orte des Bewahrens, des Erinnerns und ein retardierendes Instrument im Prozess der Vergänglichkeit. Tausende Objekte aus dem Leben und der Welt unserer Vorfahren werden hier aufbewahrt, aber auch Gegenstände unseres gegenwärtigen Alltags gesammelt, um künftigen Generationen von unserem Leben zu berichten. Als Zeitspeicher ist das Museum der ideale Ort zum Nachdenken über die Zeit und unseren Umgang mit ihr.Zeit ist ein knappes Gut. Sie lässt sich nicht vermehren und nicht aufhalten, sie rinnt vor sich hin – für die einen schneller und immer schneller, für andere langsam und zäh. Wir nehmen Zeit anhand von Bewegung wahr, durch Tätigkeiten, Geschehnisse und Prozesse, die in ihr stattfinden, an deren Menge und Qualitäten, aber auch an dem Sinn, den sie stiften. Das Tempo unserer Gesellschaft nimmt stetig zu, immer mehr Informationen drängen auf uns ein, immer schneller bewegen wir uns, immer mehr Leistung soll in immer kürzerer Zeit erbracht werden. Die schlechte Nachricht: Wir können diese Entwicklung nicht aufhalten. Die gute: Jeder Mensch besitzt Inseln der Autonomie, die dem Strom der Zeit widerstehen, auf denen sich durchatmen lässt. Man muss sie nur finden und bewusst auf sie zusteuern.
Die Ausstellung weist hin auf die ungeahnten Möglichkeiten, die schnelle Abläufe und eine rasche Überwindung von Distanzen ermöglichen. Sie ermuntert aber auch dazu, unsere technischen Errungenschaften wieder als das zu sehen, was sie sind: Mittel, um die Welt erfahrbar und handhabbar zu machen, deren Dienste wir nutzen können, ohne selbst zu ihren Dienerinnen und Dienern zu werden. Mit interaktiven Stationen, Filmen, Soundcollagen und Hörbildern werden die Besucherinnen und Besucher eingeladen, dem selbstverständlichen und doch so unfassbaren Phänomen der Zeit ins Auge zu schauen: Über Zeit nachzudenken heißt,über den Umgang mit uns selbst, unsere Beziehung zu anderen Menschen und unser Verhältnis zur Welt nachzudenken.
Die ganz ernsten Fragen des Lebens sind am besten mit Humor zu bewältigen. Daher begleitet die Ausstellung ein Augenzwinkern, wenn sie unsere Hörgewohnheiten hinterfragt, den Fallen des Multitaskings auf die Spur kommt oder die in unseren Breiten unterentwickelte Kultur des Wartens thematisiert. Die Wahrnehmung von Zeit ist immer abhängig von dem, was sich tut, während sie verrinnt. Das lässt sich messen, führt aber auch zu Herausforderungen, wenn einmal etwas nicht schnell geht. Der Schweizer Film realtime bringt uns an den Rand der Erschöpfung – alleine vom Zuschauen von Menschen, die viel Zeit haben. Sensibilisiert für die Schwächen unserer Schnelllebigkeit, reizt er unsere Geduld und zeigt sie als Schule für die Faszination des Augenblicks.
Wir alle kennen das Erleben, wenn plötzlich der Fluss der Zeit reißt, wenn etwas Unerwartetes geschieht, mit dem wir nicht gerechnet haben. Der 11. September 2001 war wohl der eindringlichste Zeitpunkt, an dem für die ganze Menschheit die Zeit für wenige Minuten still gestanden ist, von den Medien in Bilder gegossen, die zu Monumenten des kollektiven Gedächtnisses geworden sind. Beinahe jede/r kann diese Bilder mit der Erinnerung an die eigene Alltäglichkeit gerade zu diesem Zeitpunkt verknüpfen. Die Ausstellung verfolgt diesen und weitere Risse in der Zeit und fordert das Publikum auf, die ganz persönlichen Spuren dieser Ereignisse im Museum zu hinterlegen.
An mehreren Punkten lädt die Ausstellung ein, die passive Anschauung zu verlassen und die Zeit selbst in die Hand zu nehmen – prominent geschieht dies in der Zeitbörse, einer Kooperation der Kleinen Zeitung mit dem Volkskundemuseum. Hier kann Zeit verschenkt oder angenommen werden. Doch: Kann man einander Zeit schenken? Natürlich nicht. Wir können einander nur Anwesenheit oder Aufmerksamkeit schenken, oder jemandem Tätigkeiten abnehmen – für eine gewisse Zeitdauer. Dadurch gewinnt ein anderer Mensch die Möglichkeit, Zeit mit uns gemeinsam zu verbringen oder für weitere Beschäftigungen zu verwenden. Die Zeitbörse vermittelt zwischen Angebot und Nachfrage von Zeitinhalten. Die Kleine Zeitung ermittelt das Zeitgeschenk des Monats und porträtiert Menschen, die einander ohne Geld und Gegenleistung Zeitinhalte zur Verfügung stellen.
ZeitZeitZeit… schürft tief in unserer Alltagserfahrung, rüttelt an Gewohnheiten und fordert auf zu einem selbstbestimmten Umgang mit Zeit. Die Ausstellung lenkt ihren reflektierenden Blick auf das eigene Tun und koppelt individuelle Zeitverwendung an Verantwortung, Arbeitszufriedenheit und Lebensfreude als Schlüssel für einen souveränen, gesunden und produktiven Umgang mit Zeit.