Seine Kamera folgt den Frauen durch die Straßen von Manhattan, durch die Parkanlagen und auf High Society Partys und beobachtet, wie sie mit selbstbewusster Eleganz den öffentlichen Raum für sich beanspruchen und sich soziale Transformation in Körpersprache, Auftreten und Habitus manifestiert. So sehr freilich die Serie Frauen als Subjekte der Geschichte zeichnet, so sehr bleiben sie Objekte eines männlichen Blicks und Beute eines brillanten Bilderjägers.
Garry Winogrand ist einer der einflussreichsten Fotografen seiner Generation. In den 1950er- und frühen 1960er-Jahren entwickelte er eine oft als instinktgeleitet apostrophierte fotografische Sprache, die sich wenig um klassische Konventionen des Bildaufbaus kümmert, sondern nach einer direkteren Repräsentation des Lebens in der Fotografie sucht.
Winogrand, der „Prince of the Streets“, gilt als der Prototyp des Street Photographers: die Leica per- manent im Anschlag, sein hochsensibles Gespür für den Augenblick gepaart mit einer gewissen Rück- sichtslosigkeit gegenüber seinen Motiven. Niemand vor ihm hat wohl die Dynamik der Straßen seiner Heimatstadt New York City so unmittelbar eingefangen wie er. Verzerrungen, stürzende Linien und immer wieder der gekippte Horizont in den Fotografien verkörpern die Rastlosigkeit des großstädtischen Alltags ebenso wie Winogrands atemlose Arbeitsweise. Winogrand war ein fast manischer Fotograf, das Bildermachen war ihm kein Metier, sondern eine Lebenseinstellung.
Einem ähnlich obsessiven Bildersammler – dem tschechischen Künstler Miroslav Tichý (1926-2011) – widmet WestLicht eine ergänzende Kabinettausstellung mit einer Auswahl von Arbeiten aus der eigenen Sammlung. Ausschließliches Motiv seines seit den 1960er-Jahren entstandenen fotografischen Werks sind die Frauen und Mädchen seines Heimatorts Kyjov. Tichý fotografierte sie auf seinen täglichen Streifzügen durch die Stadt mit aus Altwaren zusammen- gebauten Kameras. Mit fast konzeptueller Rigorosität setzte er sich ein Tagespensum von einhundert Aufnahmen. Der voyeuristische Appeal von Tichýs Fotografien wird durch die technische Unvollkom- menheit der selbstkonstruierten Objektive gleichzeitig zurückgenommen und verstärkt. Oft legen sich Unschärfen wie ein Schleier über die Körper der Frauen, mal wirken die Fotografien wie Erscheinungen zwischen Traum und Wirklichkeit, mal wie die Aufnahmen eines Überwachungsapparats.
Garry Winogrand (1928, New York, USA – 1984, Tijuana, Mexico) verbrachte seine Kindheit und Ju- gend in der New Yorker Bronx. Nach der Highschool und zwei Jahren in der Armee studierte er kurz- zeitig Malerei an der Columbia University, bis ein Freund ihm Foto-Labor und Dunkelkammer im Keller des Architektur-Instituts zeigte. „Ich hab nie zurückgeblickt“, hat Winogrand später einmal gesagt. In der Folgezeit verdiente er sein Geld als Werbefotograf und freier Fotoreporter; mit Anfang der 1960er- Jahre begann sich sein Themenspektrum und sein unverkennbarer Stil zu schärfen. Das Museum of Modern Art präsentierte 1963 erstmals seine Fotografien, zwei Einzelausstellungen, The Animals, 1969, und Public Relations, 1976, folgten. Eine Reihe von Fotografien, entstanden vorwiegend in den 1960er- und frühen 70er-Jahren, die Frauen an öffentlichen Orten zeigt, wurde 1975 unter dem Titel „Women are Beautiful“ als Buch veröffentlicht. Winogrand erhielt insgesamt drei Guggenheim-Stipen- dien für verschiedene fotografische Projekte, er unterrichtete am Institute of Design in Chicago und an der University of Texas in Austin. 1978 zog er nach Los Angeles, wo seine bereits enorme Bildproduk- tion weiter anwuchs. Bei seinem Tod hinterließ er knapp 10.000 belichtete Filmrollen, von denen er nie auch nur Kontaktabzüge angefertigt hatte. Trotz seiner einflussreichen Lehrtätigkeit äußerte Wino- grand sich selten zu seinen Fotografien: „Der Künstler wird irrelevant, sobald das Werk einmal da ist“, so sein Standpunkt. „Es gibt nur die Bilder.“
Miroslav Tichý (1926, Nětčice, Tschechien – 2011, Kyjov, Tschechien) zog sich nach einem abge- brochenen Studium an der Prager Kunstakademie in seine Heimatstadt Kyjov zurück. In den spä- ten 1950er-Jahren wandte er sich vollständig von der Malerei ab und begann auf seinen täglichen Spaziergängen, Frauen mit selbstkonstruierten Kameras zu fotografieren. Die oft in handgefertigte Papp-Rahmen montierten Abzüge bearbeitete er mitunter mit Bleistift und Buntstiften, Fotografie und Zeichnung vermischte sich. Jenseits fotografischer Konventionen entstand so in vier Jahrzehnten ein umfassendes Werk poetischer, traumhafter Frauendarstellung. Roman Buxbaum, ein Schweizer Kunstsammler mit familiären Beziehungen nach Kyjov, versuchte die Arbeiten bereits in den 1980er-Jahren bekannt zu machen. Internationale Aufmerksamkeit erlangte das Werk allerdings erst, als Harald Szeemann einige Arbeiten Tichýs 2004 in einer Ausstellung auf der Kunstbiennale in Sevilla zeigte. Im Jahr darauf wurde Tichý auf den Rencontres d’Arles mit einem Preis für die beste Neuentdeckung geehrt, das Kunsthaus Zürich widmete ihm eine Retrospektive. Einzelpräsentationen seiner Arbeiten in renommierten Häusern wie dem MMK Frankfurt, dem Centre Pompidou, Paris (beide 2008), oder dem International Centre of Photography, New York (2010), folg- ten. Tichý selbst nahm an keiner der Veranstaltungen teil.
DETEKTIVKAMERAS IM WESTLICHT KAMERAMUSEMWestLicht präsentiert in den zentralen Vitrinen des Kameramuseums eine Sonderausstellung zum Thema Detektivkameras mit ausgewählten Miniatur-, Geheim- und Spionagekameras.
Mit der Einführung der Fotografie im Jahr 1839 beginnt zugleich eine Zeit der Entwicklung verschie- denster Kameratypen. Ausgehend von den unterschiedlichen Einsatzgebieten steigt auch der Anspruch an die Handlichkeit, Transportfähigkeit und Unauffälligkeit der Apparate. Insbesondere das Ziel unbemerkt fotografieren zu können, steht bei vielen Nutzern im Mittelpunkt. Die kleinen, hochtech- nischen Gebrauchsgegenstände werden hier zusammenfassend als Detektivkameras bezeichnet. Mit ihrer mobilen Einsetzbarkeit revolutionieren sie die Fotografie: Sowohl Amateur- als auch Berufsfotografen haben nun erstmals die Möglichkeit, zu jeder Zeit bewegte und unbewegte Objekte abzulichten. Bis 1920 erfreut sich dieser Kameratyp großer Beliebtheit und inspiriert den Amerikaner George Eastman zum Bau der ersten Kodak-Boxkamera. Diese Neuheit begeistert innerhalb kürzester Zeit die breite Masse und ebnet den Weg für eine innovative Art zu fotografieren. Die Momentaufnahme ist geboren.
Öffnungszeiten:Galerie: Mi–So 12–18 Uhr und nach VereinbarungBibliothek: Mi–Sa 12–18 Uhr und nach VereinbarungFeiertags geschlossen
Eine Sonderausstellung im Kameramuseum präsentiert historische Geheim- und Spionagekameras.
GARRY WINOGRAND. WOMEN ARE BEAUTIFUL in Zusammenarbeit mit der Lola Garrido Collection
RAHMENPROGRAMM:Vortrag von Prof. Dr. Jens Schröter: 22.07.2014, 19 hÜberblicksführungen: 28.06., 03.07., 17.07., 02.08.2014, 18 hWestBar. Die Pop-Up Bar beim WestLicht: 05.06., 28.06., 03.07., 17.07., 02.08.2014, 16-22 h
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