„Entartete Kunst“ im MKG – Die Themen der Ausstellung
Seit 2010 betreibt das MKG als eines der ersten Kunstgewerbemuseen aktiv Provenienzforschung zu ausgewählten Konvoluten seiner Sammlungsbestände. Darüber hinaus greift das MKG immer wieder Themen aus der Zeit des Nationalsozialismus auf. Zuletzt beleuchtete eine große Ausstellung 2009 das Leben und Wirken der in Hamburg tätigen jüdischen Kunsthistorikerin Rosa Schapire. Im Zusammenhang mit dem Berliner Skulpturenfund beschäftigt sich das MKG mit der Frage nach den konkreten Auswirkungen und Konsequenzen der Aktion „Entartete Kunst“ durch die Nationalsozialisten für das Haus und die Sammlung. Über 210 Kunstwerke wurden 1937 beschlagnahmt. Welche Künstler und welche Werke von den Kommissaren als entartet bewertet wurden, darüber gibt in der Ausstellung eine Inventar-Akte aus dem Archiv ersten Aufschluss. Sie enthält teils ausführliche Objektbeschreibungen und den Vermerk „entartet“ bei jedem Kunstwerk. Neben den Künstlern, deren Skulpturen in Berlin wiederentdeckt wurden, finden sich auf dem Index bekannte Namen wie Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff, Emil Nolde, Otto Dix, Moissey Kogan, aber auch damals noch unbekanntere Künstler, die speziell von Max Sauerlandt gefördert wurden, darunter Rudolf Nesch oder Karl Ballmer.
Max Sauerlandt, seit 1919 Direktor des MKG, wurde bereits unmittelbar nach Regierungsantritt der NSDAP 1933 von seinem Posten beurlaubt. Seine Leidenschaft für die expressionistische Kunst war ihm zum Verhängnis geworden. Seine Mission lautete, sich für die moderne Kunst einzusetzen: „ … wir müssen Zeitgenössisches sammeln.“ Denn nur „ … durch die Präsentationen der Gegenwartskunst im Museum erreichen diese die lebensnotwendige Aktualität, die Voraussetzung lebendiger, geistiger Gesellschaft ist.“ 1930 ließ Sauerlandt das Haupttreppenhaus im MKG eigens vom Hamburger Architekten Karl Schneider umgestalten. Davon zeugen historische Aufnahmen der Skulpturen im Treppenhaus und der damaligen Ausstellungsräume. Die Besucher sollten bereits beim Betreten des Museums auf seine programmatische Auswahl moderner Kunst, darunter Werke von Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff, aufmerksam werden. Vor allem die konservative Kritik empfand diese Präsentation als Provokation. Auch mit seinen öffentlichen Reden, in denen sich Sauerlandt vehement für die moderne Kunst einsetzte, wie etwa in der legendären Rede vor dem Deutschen Museumsbund (1929), machte er sich zur Zielschreibe reaktionärer Ressentiments. Mit seiner Beurlaubung fand das Kapitel einer äußerst engagierten und zugleich äußerst anfechtbaren Sammlungspolitik am MKG ein jähes Ende. Anhand von Zitaten zeichnet die Ausstellung die kontroverse Diskussion über Sauerlandts polarisierende Ankaufsstrategie nach und stellt die Frage, was er unter „zeitgenössischer“ Kunst verstand.
Sauerlandt sah es als entscheidende Aufgabe eines Museums an, junge, vielversprechende Künstler durch Ankäufe und Ausstellungen zu fördern und dies nicht nur privaten Sammlern oder Mäzenen zu überlassen. Ebenso setzte er sich durch eine rege publizistische Tätigkeit für seine „Schützlinge“ ein. Anhand von historischen Fotos werden in der Ausstellung zwei Vitrinen rekonstruiert, die eine Vorstellung geben von der Sauerlandt‘schen Präsentation der von ihm erworbenen Stücke. Dabei stellt sich die Frage, welche Künstler Sauerlandt in seinem Kampf um die moderne Kunst in seinem besonderen Fokus standen. Neben den Expressionisten waren dies vor allem drei Bildhauer: Richard Haizmann, Gustav Wolff und Moissey Kogan sowie die beiden Maler Rolf Nesch und Karl Ballmer. Sie galten ebenso als „entartet“ wie der ehemalige Bauhausschüler Naum Slutzky. Sauerlandts umfangreicher Briefwechsel gibt einen Einblick in die Künstler-freundschaften. Emil Nolde, Richard Haizmann, Karl Ballmer und andere zeichneten und porträtierten Sauerlandt oder schufen Büsten ihres befreundeten Förderers. Historische Plakate von Ausstellungen, die er für Slutzky, Wolff, Kogan und andere kuratierte, belegen das große Engagement Sauerlandts für die jungen Künstler.
Die Geschichte des Berliner Skupturenfundes
Der Berliner Skulpturenfund zählt zu den bedeutendsten Funden der letzten Jahre, der von großem Interesse für die Provenienzforschung ist. Die Kunstwerke wurden bei Grabungen in der Rathausstraße, der ehemaligen Königstraße 50, gegenüber dem Roten Rathaus gefunden. Im Vorfeld des Weiterbaus der U5 vom Alexanderplatz bis zum Brandenburger Tor finden seit Oktober 2009 archäologische Untersuchungen im Straßenbereich und auf der Grünfläche vor dem Roten Rathaus statt. Im Januar 2010 wurde bei der Freiräumung der Kellerböden ein auffälliger metallener Gegenstand geborgen, der nach einer ersten Reinigung in der Werkstatt des Museums für Vor- und Frühgeschichte wenige Tage darauf als Kunstwerk identifiziert wurde. Einige Wochen später stand fest, dass es sich um ein Bildnis der Schauspielerin Anni Mewes von Edwin Scharff handelte. Die Tragweite des Fundes war jedoch noch nicht erkennbar, da es sich zu diesem Zeitpunkt um einen Einzelfund mit einer Fülle denkbarer Hintergründe handelte.
Im August 2010 wurden in der Nordwestecke des Kellers weitere Bronze- und Terrakottaskulpturen entdeckt und ebenfalls ins Museum für Vor- und Frühgeschichte gebracht. Mit der Identifikation des roten Terrakottakopfes als Teil der Arbeit „Die Schwangere“ von Emy Roeder wurde die Verbindung zu der Aktion „Entartete Kunst“ deutlich. Aus der Nordwestecke stammen außerdem „Stehendes Mädchen“ von Otto Baum, „Tänzerin“ von Marg Moll, „Hagar“ von Karl Knappe, die Fragmente des „Kopfes“ von Otto Freundlich sowie ein großer Torso und ein möglicherweise zugehöriger Kopf einer in Steinguss ausgeführten Skulptur, die noch nicht identifiziert ist. Im Rahmen einer Nachgrabung Ende Oktober 2010 wurden schließlich noch die weibliche Büste von Naum Slutzky, die stehende Gewandfigur von Gustav Heinrich Wolff, die nicht identifizierte bronzene Gewandfigur einer Frau, die eine Traube hält, sowie Scherben einer ebenfalls noch nicht identifizierten Keramikskulptur gefunden.
Die Skulpturen wurden in einem räumlich eng begrenzten Areal geborgen, das allerdings durch eine Kellerwand geteilt war. In einem Kellerteil konnte nachgewiesen werden, dass die Skulpturen deutlich oberhalb der Einrichtungsgegen-stände des Kellers lagen, in dem anderen Raum waren keine Spuren der ursprünglichen Einrichtung nachweisbar. Dies legt nahe, dass die Skulpturen nicht im Keller aufbewahrt wurden, sondern aus einer der darüber liegenden Etagen herabstürzten. Der Brand des Hauses ließ sämtliche Zwischendecken einstürzen. Sollten sich in dem Haus darüber hinaus Gemälde oder andere brennbare Kunstwerke befunden haben, wären diese wohl vollständig verbrannt.
Im Rahmen der diffamierenden Ausstellung „Entartete Kunst“ beschlagnahmte und entzog der nationalsozialistische Staat eine große Menge von Kunstwerken überwiegend in öffentlichen Museen und Sammlungen, aber auch bei Privat-personen. Als propagandistischer Höhepunkt wurde 1937 die Ausstellung „Entartete Kunst“ in München eröffnet, die anschließend in Berlin und zahlreichen anderen Städten gezeigt wurde. Die insgesamt weit umfangreicheren Bestände aus den Beschlagnahmungsaktionen sollten möglichst devisenbringend verkauft werden. Dies gelang nur teilweise, ein großer Bestand blieb in Berlin erhalten. Über diesen verfügte eine Abteilung des Reichspropagandaministeriums. Ein Teil dieser Werke gelangte später in den Bestand verschiedener Kunsthändler. Die staatlichen Maßnahmen wurden nachträglich durch das „Gesetz über die Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst“ vom 31. Mai 1938 legalisiert.
Nach ihrer Beschlagnahme in Museen (Nationalgalerie, Berlin; Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg; Staatsgalerie Stuttgart, Schlesisches Museum der Bildenden Künste, Breslau; Kunsthalle Karlsruhe; Staatsgemäldesammlungen München) wurde ein Teil der identifizierten Kunstwerke in der Ausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt. Die übrigen lagerten, gemeinsam mit anderen noch nicht verwerteten Beständen der Beschlagnahme-Aktion, in einem Keller des Reichspropagandaministeriums. Die Forschungsstelle „Entartete Kunst“ an der Freien Universität Berlin spürt den Ereignissen der nationalsozialistischen Aktion „Entartete Kunst“ 1937 nach und rekonstruiert in minutiöser Detailarbeit die Beschlagnahme moderner Kunst und erforscht das Schicksal der Werke. Sie entdeckte im Bundesarchiv ein Doku-ment wieder, das entscheidende Informationen enthält: In der Königstraße 50 lagerte das Reichpropagandaministerium offenbar beschlagnahmte Kunstwerke, nachdem sie von der Ausstellungstour "Entartete Kunst" nach Berlin zurück-geschickt wurden. Das Haus wurde im Spätsommer 1944 bei Bombenangriffen zerstört, die Skulpturen im Schutt begraben. Die Forschungsstelle „Entartete Kunst“ ist mit den weiteren Forschungen zum Fund befasst. Die recherchier-ten Ergebnisse werden abschließend in das „Gesamtverzeichnis der 1937 in deutschen Museen beschlagnahmten Werke der Aktion ‚Entartete Kunst’“ eingespeist, das teilweise öffentlich im Internet einsehbar ist. Die Datenbank umfasst Angaben zu Künstlern, Objekten, Herkunftsmuseen, zur Beschlagnahme, den Lagerorten, Händlern und Käufern sowie historische und aktuelle Abbildungen und bietet umfassende Informatione zum Werk betroffener Künstler, zur Sammlungsgeschichte der Museen und dem Kunsthandel im „Dritten Reich“. Weitere Informationen auf: http://entartetekunst.geschkult.fu-berlin.de
Künstler: Karl Ballmer, Otto Baum, Karl Ehlers, Otto Freundlich, Richard Haizmann, Erich Heckel, Karl Knappe, Moissey Kogan, Marg Moll, Rolf Nesch, Karel Niestrath, Emy Roeder, Edwin Scharff, Naum Slutzky, Karl Schmidt-Rottluff, Lavinia Schulz und Walter Holdt, Gustav Heinrich Wolff.
Ausstellungskatalog: Zur Ausstellung in Berlin erschien eine begleitende Publikation mit der Beschreibung der Fundumstände sowie mit Angaben zu den Künstlern und den Werken: Matthias Wemhoff, „Der Berliner Skulpturen-fund. ‚Entartete Kunst‘ im Bombenschutt“, Museum für Vor- und Frühgeschichte, Staatliche Museen zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Schnell und Steiner, 47 Seiten, Regensburg 2011, ISBN 978-3-7954-2463-3, 6 Euro. Eine weitere Publikation mit aktuellsten Forschungsergebnissen erscheint voraussichtlich im Juni 2012.
Eine Ausstellung des Museums für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin in Zusammenarbeit mit der Forschungsstelle „Entartete Kunst“ der Freien Universität Berlin. Für die Hamburger Station wurde die Ausstellung erweitert um Kunstwerke aus der Sammlung des MKG und aus dem Nachlass von Max Sauerlandt.
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