Eine Ausstellung des Kunsthistorischen Museums, kuratiert von Jasper SharpNach dreijähriger Renovierung des Theseustempels nimmt eine neue Ausstellungsreihe die ursprüngliche Bestimmung des Gebäudes wieder auf und präsentiert jeweils ein herausragendes Werk einer zeitgenössischen Künstlerpersönlichkeit. Aus jedem dieser Werke wird sich ein persönlicher Dialog mit den Sammlungen und der Geschichte des Kunsthistorischen Museums ergeben. „Es ist mir ein Anliegen, dass mit den neuen Projekten im Theseustempel jeweils der Bezug zum KHM und seinen Sammlungen hergestellt wird und das Ausstellungsprogramm an den ursprünglichen Verwendungszweck anknüpft. Ich freue mich besonders, dass der renommierte Schweizer Künstler Ugo Rondinone die Einladung angenommen hat, die neue Ausstellungsreihe zu eröffnen“, so Generaldirektorin Sabine Haag anlässlich der Wiedereröffnung des Theseustempels.
Der Theseustempel wurde 1819–1823 im Auftrag Kaiser Franz I. vom Hofarchitekten Pietro Nobile erbaut und war als architektonische Hülle für die Aufstellung eines einzigen zeitgenössischen Kunstwerkes, Theseus besiegt den Kentauren von Antonio Canova, bestimmt. Die Figurengruppe stand 70 Jahre lang im Inneren des Gebäudes, bis sie in den Stiegenaufgang des neu erbauten Kunsthistorischen Museums gebracht wurde, wo sie noch heute zu sehen ist.
„Das Kunsthistorische Museum Wien zählt zu den wenigen Institutionen weltweit, deren enzyklopädische, viele Jahrhunderte in die Vergangenheit zurückreichende Sammlungen uns eine essentielle Wahrheit zu vermitteln vermögen: Sie zeigen auf, wo wir im Hier und Jetzt stehen“, so Jasper Sharp, Kurator für zeitgenössische Kunst im KHM. „Ab April 2012 werden Vorstellungen von Raum und Zeit zum Inhalt der ersten in einer neuen Reihe von Ausstellungen im Theseustempel im Wiener Volksgarten.“
Ugo Rondinone „wisdom? peace? blank? all of this?“ Innerhalb des von Bäumen umgebenen Volksgartens steht ein alter, knorriger Olivenbaum alleine im ansonsten leeren Gebäude. Dieser wurde von Ugo Rondinone nach einem über 2000 Jahre alten, lebenden Baum auf einem Feld in der Basilikata in Süditalien detailgetreu gegossen - jede Unebenheit, Schramme oder Narbe berücksichtigend. Gänzlich weiß bemalt und unter natürlichem, mit jedem neuen Tag wechselndem Licht, gibt sich der Baum märchenhaft, entrückt - fast wie aus einer anderen Welt. Einmal stark und präsent, dann fragil und geisterhaft; in einem Augenblick ein Monument, im nächsten eine Erinnerung.
Der Baum ist ein Speichermedium der Natur. Jede Spezies auf Erden besitzt ein brillant einfaches, inneres Messsystem. Die unfassbare Vergänglichkeit der Zeit, festgehalten in konzentrischen Ringen. Sinnbild des Lebens, Zeuge der Geschichte und all unserer Errungenschaften seit jeher bis heute - und darüber hinaus.
Ugo Rondinone ist einer der international erfolgreichsten Künstler seiner Generation. Seine Arbeiten bewegen sich innerhalb verschiedener Medien wie Malerei, Skulptur, Film und Installation und beruhen auf einem vielfältigen und facettenreichen System an Bezügen. Im Wesentlichen zeigt sich in seinem Werk der Versuch einer Visualisierung von Zeitlichkeit und des Gegensatzes von Spirituellem und Alltäglichem.
Im Rahmen der Künstler-Gesprächsreihe im KHM wird Ugo Rondinone am Montag, den 23. April 2012 um 19 Uhr in der KHM-Kuppelhalle mit der Journalistin und Kunsthistorikerin Nina Schedlmayer über seine Arbeit sprechen (Anmeldung siehe Infoteil unten).
Ugo Rondinone wurde 1964 in Brunnen in der Schweiz geboren und studierte von 1986-90 an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien. Heute lebt und arbeitet er in New York. 2007 wurde Ugo Rondinone gemeinsam mit Urs Fischer ausgewählt, die Schweiz bei der 52. Biennale Venedig zu vertreten. Zu seinen jüngsten Einzelausstellungen zählen kiss now kill later, Galerie Eva Presenhuber, Zürich (2011); Gladstone Gallery, New York (2010); The Night of Lead, MUSAC, Léon (2009); clockwork for oracles II, ICA Boston (2008); Hell, Yes!, New Museum of Contemporary Art, New York (2007); zero built a nest in my navel, Whitechapel Gallery, London (2006). Bedeutende Gruppenausstellungen sind unter anderem our magic hour - how much of the world can we know?, Yokohama Triennale, Yokohama (2011); Rodin et les ambassadeurs, Musée Rodin, Paris (2011); The New Décor, The Garage Center for Contemporary Culture, Moskau (2010); Where do we go from here?, Bass Museum of Miami/La Colección Jumex, Miami (2009); The Third Mindkuratiert von Ugo Rondinone, Palais de Tokyo, Paris (2007).
Der Ölbaum und die Jahrhunderte Rondinones Kunstwerk im Bezug zu den Sammlungen des KHM
Ein alter, knorriger Olivenbaum ist geradezu Symbol für die urtümliche, Jahrhunderte überdauernde Kraft der fruchtbaren Natur. Uralte Bäume zeugen von einer weit zurückliegenden Vergangenheit und der Geduld der die Früchte nutzenden Menschen. Als Nahrungsmittel, für die Körperpflege und als Brennstoff für Öllämpchen ist das Olivenöl bereits im prähistorischen Kreta und Syrien in Verwendung. Als Symbol des Friedens und des Lebens bringt die Taube nach der Sintflut Noah einen Ölzweig und zeigt so das Auftauchen fruchtbaren Landes an.
In der Antikensammlung des KHM spiegelt sich die Bedeutung des Olivenbaumes in der griechischen Mythologie in unzähligen Darstellungen wider. Als die Götter im Wettstreit um Athen die verschiedensten Gaben darbringen, lässt Athena auf der Akropolis den heiligen Ölbaum wachsen und wird damit zur Schutzherrin dieser Stadt. Der Sieger olympischer Spiele zu Ehren des Zeus erhält als Trophäe einen Ölzweig. Der Siegespreis ist eine besonders geformte Amphore voll mit bestem Olivenöl. Im antiken Rom wuchs neben einem Feigenbaum und einer Weinrebe ein heiliger, uralter Olivenbaum auf dem Forum Romanum, auf dessen Standort bei unzähligen Umgestaltungen dieses Zentrums der damaligen Welt unbedingt Rücksicht genommen werden musste.
Zuletzt ist ein Baum wie dieser geradezu ein Sinnbild für die Sammlungen des Kunsthistorischen Museums: das geduldige Zusammentragen einzelner kleiner Teile und „Äste“ über die Jahrhunderte, ergeben heute ein unverwechselbares und eindrucksvolles Ganzes, das in seiner konkreten Form einzigartig ist.
Der Theseustempel Der Theseustempel wurde 1819–1823 von Pietro Nobile (1774–1854, führender Architekt des Spätklassizismus in Wien) im Rahmen der Neugestaltung des Volksgartens im Auftrag von Kaiser Franz I. erbaut. Die Neuordnung war nötig geworden, nachdem die Franzosen 1809 bei ihrem Abzug aus Wien die Bastei vor der Hofburg gesprengt hatten. Ursprünglich als Privatgarten für die Erzherzöge des Kaiserhauses gedacht, wurde der Garten später auf Vorschlag der Hofgartenverwaltung der erste öffentlich zugängliche Park in Hofbesitz. Seit 1825 ist die Bezeichnung „Volksgarten“ gebräuchlich.
Bei dem spätklassizistischen Bauwerk handelt es sich um eine verkleinerte Nachbildung des Theseions in Athen, die speziell für die Aufstellung der Figurengruppe „Theseus besiegt den Kentauren“ von Antonio Canova, eine der bedeutendsten klassizistischen Monumentalplastiken, gebaut wurde. Antonio Canova (1757–1822, einer der Hauptvertreter des italienischen Klassizismus) wird auch die Idee zur Gestaltung des Theseustempels in dieser Form zugeschrieben. 1890 wurde die Theseusgruppe im Rahmen der Errichtung des Kunsthistorischen Museums in den großen Stiegenaufgang des Neubaus gebracht, wo sie noch heute zu sehen ist.
In der unter dem Theseustempel liegenden Krypta, die von einem seitlich liegenden Eingang in Sarkophagform aus zugänglich war (heute nicht mehr erhalten), war ursprünglich die Antikensammlung des österreichischen Kaiserhauses untergebracht. Ab 1901 wurde die so genannte Cella (der Innenraum) des Theseustempels zunächst zur Ausstellung von Funden aus Ephesos herangezogen (heute im Ephesos-Museum in der Neuen Burg), später diente sie als Ort für Kunstausstellungen der Akademie der bildenden Künste und ab 1992 wurde sie durch das Kunsthistorische Museum genutzt. Mit der Generalsanierung durch die Burghauptmannschaft in den Jahren 2008–2011 wurde unter Einbeziehung des Bundesdenkmalamtes dem Theseustempel sein ursprüngliches Erscheinungsbild in polierter Bleiweißfassung zurückgegeben. Dank der neu installierten Beleuchtung des Gebäudes fügt sich der Theseustempel nun auch sehr ansprechend in die abendliche Gebäudekulisse des Hofburg- und Ringstraßenensembles mit ein.
Vor dem Theseustempel ist die Bronzestatue „Jugendlicher Athlet“ von Josef Müllner (geschaffen 1921) zu sehen.