Weltweite Berühmtheit erlangte Steve McCurry, als er 1979 zur Zeit der sowjetischen Invasion die Grenze von Pakistan nach Afghanistan überwand. Die ersten Aufnahmen aus dieser Konfliktregion stammen von ihm, sie wurden in der New York Times, im Time Magazine und in Geo veröffentlicht. In einem afghanischen Flüchtlingscamp entstand die ikonisch gewordene Fotografie des afghanischen Mädchens Sharbat Gula, die 1985 auf dem Cover des National Geographic erschien. Seit 1986 ist McCur- ry Mitglied der berühmten Fotoagentur Magnum, die 1947 u.a. von Henri Cartier-Bres- son und Robert Capa gegründet wurde.
McCurrys Nähe zu Asien ist seit seinen ersten Reisen nach Indien und Afghanistan gegen Ende der 1970er-Jahre ungebrochen. Der grundlegende Gegensatz zur Kultur des Westens liegt für ihn dabei in der Öffentlichkeit des Lebens und in der Verschmel- zung des profanen mit dem religiösen Leben. Die Ausstellung folgt diesem Fokus und zeigt seine weltberühmten Fotografien aus Ländern wie Afghanistan, Indien, Kasch- mir, Burma, Tibet, Kambodscha, Kuwait, China, Bangladesh oder Nepal, die in den letzten dreißig Jahren entstanden sind.
Wer kennt es nicht, dieses anmutige und gleichzeitig verstörte Gesicht eines afghanischen Mädchens, das 1985 um die ganze Welt ging. Die renommierte Zeitschrift National Geogra- phic hatte es auf ihr Cover gesetzt und mit einem Schlag dem ganzen Elend aber auch der Schönheit des kriegs- und terrorgeschüttelten Landes am Hindukusch ein Gesicht gege- ben. Der wagemutige Fotograf, der diese Aufnahme in einem Schulzelt eines Flüchtlingsla- gers schoss, ist Steve McCurry, der inzwischen zu den gefragtesten Fotografen der Welt zählt. Das Mädchengesicht gehört zu der damals zwölfjährigen Sharbat Gula. Dieses Bild ist nun zusammen mit rund 115 anderen Werken des amerikanischen Fotografen im Kunst- museum Wolfsburg zu sehen.
Für Steve McCurry ist der Weg das Ziel. Sein Leben gleicht einer kontinuierlichen Reise, die seit mehr als dreißig Jahren andauert. McCurrys vielfach ausgezeichnete Fotografien sind jedoch mehr als eine Autobiografie in Bildern. Unverstellt dokumentieren sie das Weltgeschehen, Konflikte, Menschen, ihre Lebensräume sowie deren steten Wandel – insbesondere in Asien. Die Ausstellung folgt diesem Fokus und zeigt Fotografien aus Ländern wie Afghanistan, Indien, Kaschmir, Burma, Tibet, Kambodscha, Kuwait, China, Bangladesch oder Nepal. Erstmals in Deutschland präsentiert das Kunstmuseum Wolfsburg einen umfassenden Überblick über diese farbgewaltigen Aufnahmen des Amerikaners in einem musealen Rahmen. In der Reihe wegweisender Fotografen, in welcher bereits die Werke Man Rays (1994), Brassaïs (2004), Edward Steichens (2008) und Henri Cartier-Bressons (2011/12) gezeigt wurden, widmet das Kunstmuseums somit nun einem lebenden Fotografen eine Einzelausstellung.
Steve McCurry wurde 1950 in Philadelphia, USA geboren. Er studierte Filmwissenschaften und Geschichte an der Pennsylvania State University, begann sich aber im Alter von neunzehn Jahren mit der Fotografie zu beschäftigen. Seine besondere Aufmerksamkeit fanden Bücher von Henri Cartier-Bresson, Dorothea Lange oder Walker Evans. Nach dem Studium entschied er sich endgültig gegen den Film und für die Fotografie. Ende der 1970-Jahre kündigte er seine Stelle bei einer lokalen Zeitschrift in Pennsylvania und machte sich als freier Fotograf auf den Weg nach Indien und Afghanistan. Als Mujaheddin- Kämpfer verkleidet, überwand er 1979 zur Zeit der sowjetischen Invasion die Grenze von Pakistan nach Afghanistan, nähte seine Filmrollen nach einigen Wochen in seine Kleidung ein, schmuggelte sie so zurück und schickte sie an seine Schwester in die USA. Diese Fotografien waren weltweit die ersten aus dieser Konfliktregion und wurden 1980 in der New York Times, dem Time Magazine und in Geo veröffentlicht. Ein Höhepunkt der Ausstellung ist das vorgenannte Porträt des afghanischen Flüchtlingsmädchens Sharbat Gula. Gemeinsam mit dem National Geographic hat McCurry 2002 die mittlerweile Ende zwanzigjährige junge Frau wieder ausfindig gemacht und sie zusammen mit dem alten Foto in der Hand aufgenommen: eine frühzeitig gealterte Frau, in deren Gesicht sich die Spuren des Schreckens und der Mühsal eingegraben haben.
1986 wurde Steve McCurry die Ehre zuteil, Mitglied der berühmten Fotoagentur Magnum zu werden, die 1947 von Henri Cartier-Bresson, Robert Capa, George Rodger und David Seymour als Kooperative gegründet wurde. McCurry begab sich damit gezielt in ein Umfeld von Fotografen, welche die Welt so wiedergaben wie sie war und die beruflich sowie ethisch auf einem hohen Niveau arbeiteten. Er steht sowohl in der Tradition der Magnum-Fotografen, insbesondere Cartier-Bressons oder Capas, als auch von André Kertész, Walker Evans, Dorothea Lange: „Wenn man sie“, so McCurry, „als Dokumentarfotografen bezeichnen will, dann wäre ich stolz, ein Dokumentarfotograf genannt zu werden.“
McCurrys besondere Nähe zu Asien ist seit Beginn seiner Reisen nach Indien und Afghanistan unvermindert. Es ist das kulturell Fremde – eine ungebrochene Kontinuität im Umgang mit Traditionen – das ihn bis heute immer wieder nach Asien führt. Der grundlegende Gegensatz zur Kultur des Westens liegt für ihn darin, dass sich in Asien das Leben vorwiegend auf der Straße abspielt und dass in diese Öffentlichkeit sakrale Räume integriert sind. Das Profane verschmilzt hier auf selbstverständliche Weise mit dem Religiösen. Nicht zuletzt faszinieren ihn die intensiven, vibrierenden Farben Asiens, die ihn – wie er sagt – gelehrt haben „in Licht zu sehen und zu schreiben“. In Farbe zu fotografieren bedeutete für McCurry nach den frühen Schwarz-Weiß-Fotografien, die er als „versöhnlicher“ beschreibt, eine neue He- rausforderung. Es sei eine andere Art, Geschichten zu erzählen.
McCurry findet Bilder für die bereisten Regionen, die zeitlos den überdauernden Geist und die kontrastreiche Vielfalt des jeweiligen Landes erfassen. Seine Fotografien sind narrativ, erzäh- len auch von dem, was sie nicht zeigen. Mit einem feinen Gespür für den Menschen spricht er ihm stets die zentrale Rolle zu, nie erstarrt dieser zum bloßen Formelement. Denn McCurry geht es nicht allein um Struktur und Farbe, sondern um ein Zusammenfließen der Elemente im Bild. Im Sinne Cartier-Bressons wird das Warten auf den richtigen Augenblick zur Grund- lage seiner Arbeit.
Ebenfalls wie bei Cartier-Bresson wirken viele Bilder auf den ersten Blick arrangiert. Doch nichts ist arrangiert, der Fotograf greift nicht ein „in den Fluss der Zeit“. Er hält lediglich fest, was der Moment ihm bietet. Wie grausam-schön die Inszenierungen der Realität sein können, die er vorfindet, wird vor allem in McCurrys Kriegsfotografien deutlich.
Im Zeitalter der Globalisierung, der fortschreitenden Öffnung des süd- und südostasiatischen Wirtschaftsraumes, hat er Traditionen sowie Szenerien dokumentiert und verewigt, die heute in dieser Form nicht mehr anzutreffen sind. Es sind vielmehr fotografische Zäsuren „im Fluss der Zeit“. In mehrfacher Hinsicht sind McCurrys Fotografien geschichtsträchtig.
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