Salzgefäße in Form eines muscheltragenden Oktopus, filigraner Schmuck aus Büroklammern und Edelsteinen, scharfkantig gezackte Teeservice, Dosen aus gelötetem Silberdraht, zeitlos schöne Kannen, archetypische Vasen, die sich an der rauen Industrieästhetik orientieren – das hanseatische Silber- und Metallgerät des 20. und 21. Jahr-hunderts ist sehr vielseitig und steht nun erstmals im Fokus der aktuellen Neupräsentation der Sammlung Hamburg Moderne im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MKG). Als Freie und Hansestadt besitzt Hamburg eine lange und reiche Tradition der Silberschmiedekunst. Sie war selbst wichtigster Auftraggeber für den Ratssilberschatz der Stadt, der bis heute im Hamburger Rathaus bewahrt wird. Aufwendig verziertes Geschirr, üppige Pokale und dekorative Plastiken erzählen von Reichtum und Macht der Hansestadt und offenbaren die prunkvollen Facetten der Silberschmiedekunst. Die Neupräsentation im MKG mit 106 Objekten beleuchtet erstmals die Entwicklung des Silberschmiedens in Hamburg seit 1900: Vom Armband zum Zierpokal, von Alexander Schönauer (1871-1955) bis Jan Wege (*1964). Auf pinkfarbenem und violettem Grund in historischen Vitrinen kommt das Material Silber besonders gut zur Geltung. Mit Möbeln aus verschiedenen Epochen und extravaganten Tapeten der Designer Karim Rashid und Marcel Wanders werden die Objekte Teil eines Raumensembles.Zu den stilprägenden Silberschmieden um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert gehört Alexander Schönauer, der sich nicht nur mit Neuschöpfungen für das Ratssilber und höchst eigenwilligen Jugendstilentwürfen für Privatkunden einen Namen macht, sondern auch als Lehrer die folgende Generation der Hamburger Silberschmiede nachhaltig beeinflusst. Seine bekanntesten Schüler sind Otto Stüber (1885-1973) und Christoph Kay (1869-1943). Beide entwickeln ebenfalls eine sehr individuelle Handschrift, die man auch als „Hamburger Art déco“ bezeichnen könnte.
Mit Naum Slutzky (1894-1965), der in den 1920er Jahren in Hamburg für einige Jahre Station macht, erhalten die neuen gestalterischen Maxime der Bauhaus Moderne Einzug in die Elbmetropole. Von Max Sauerlandt (1880-1934), dem zweiten Direktor des MKG, dazu ermutigt, entwirft Slutzky in seiner Hamburger Zeit primär Schmuck, der in seiner gestalterischen Radikalität seiner Zeit weit voraus ist. Das MKG besitzt mit 20 Unikaten eine vergleichsweise umfangreiche Sammlung des ansonsten eher raren Slutzky- Schmucks.
Wolfgang Tümpel (1903-1978), der in den 1950er Jahren die Leitung der Metallklasse an der früheren Landeskunst-schule am Lerchenfeld, heute Hochschule für Bildende Künste (HFBK), übernimmt, absolviert seine Ausbildung sowohl am Bauhaus Weimar als auch an der Burg Giebichenstein in Halle an der Saale. Er ist denn auch beides: Gold- und Silberschmied sowie Formgestalter für die Industrie. In seiner Arbeit folgt er dem Credo „modern, aber nicht modisch“. Zu Tümpels Schülern zählt, neben Hartwig Ullrich (*1932), auch Ragna Sperschneider (1928-2003), die die anspruchsvolle Kunst des Emaillierens mit großer Virtuosität beherrscht und zu neuer Blüte führt. Von dieser Künstlerin besitzt das MKG ebenfalls eine größere Anzahl an Arbeiten, die seit längerer Zeit erstmals wieder zu sehen sind. Nach Tümpels Ausscheiden 1968 verliert Hamburg als wichtige Ausbildungsstätte für Silberschmiede an Bedeutung.
Das aktuelle Feld der Silberschmiedekunst in Hamburg wird vor allem durch zwei große Namen bestimmt: Wilfried Moll (*1940) und Jan Wege (*1964). Für Moll, der neben vielen anderen Preisen auch mit dem renommierten, dänischen Karl Gustav Hansen Preis ausgezeichnet wurde, stehen die ideale Form und Proportion, die sich erst in einem langen Arbeitsprozess findet, im Vordergrund. Sein umfangreiches Oeuvre umfasst neben zahlreichen Unikaten auch Prototypen für die serielle Fertigung. Seine Bestecke, die er für die bedeutende Flensburger Manufaktur Robbe & Berking entwirft, gehören inzwischen zu den Klassikern des edlen Tafelgeräts. Der Justus Brinckmann Preisträger Jan Wege verfolgt in seiner Arbeit zwei Linien. Auch ihm geht es um das ‚klassische‘ Silbergerät, die Suche nach der zeitlosen, klaren Form. Parallel dazu experimentiert er mit der kupferhaltigen Messinglegierung Tombak. Aus diesem stellt er archetypische Vasen oder Kerzenleuchter her, die formalästhetisch von Fundstücken aus dem gesamten Arsenal der Industriearchitektur inspiriert sind.