Wie verändern die Künste heute die Wirklichkeit? Wie verhalten sich ästhetische Produktion und politischer, gesellschaftlicher Raum zueinander? Mit SCHWINDEL DER WIRKLICHKEIT stellt die Akademie der Künste die Frage nach der Konstruktion und Dekonstruktion von Wirklichkeit in den Künsten. Die tief greifenden Veränderungen der Kunstpraxis durch die Neuen Medien, insbesondere durch die Digitalisierung, haben zu immer neuen Strategien geführt, in und mit den Künsten Wirklichkeit zu konstruieren oder zu dekonstruieren, um im Sinne einer kritischen Reflexion einen Beitrag zur Aufklärung und zum Widerstand zu leisten. Das Projekt sucht Antworten auf die Frage nach der Neupositionierung des Betrachters zwischen Kunstwerk und Wirklichkeit, beleuchtet Schlüsselbegriffe wie Partizipation und Interaktivität und ergründet Veränderungen in unserer Selbstbestimmung, die alle Lebensbereiche der Gegenwart betreffen.Das Programm im Herbst umfasst eine groß angelegte Ausstellung, das Metabolische Büro zur Reparatur von Wirklichkeit sowie ein dichtes Veranstaltungsprogramm mit über 40 Vorträgen, Performances, Konferenzen, Konzerten, Workshops und Führungen. Die Ausstellung stellt künstlerische Strategien und Arbeitsweisen vor, in denen die Wahrnehmung des Betrachters im Zentrum steht. Das Kunstwerk verwirklicht sich nur in und durch ihn selbst. Dabei stehen die aktuellen Entwicklungen der Game Art in einer Tradition künstlerischer Auseinandersetzungen seit den 1960er Jahren, insbesondere von Closed Circuit Videoinstallationen, aber auch Performances, Partizipationsprojekten, Filmen, Fotografien und Spiegelobjekten. einer kritischen Reflexion einen Beitrag zur Aufklärung und zum Widerstand zu leisten. Das Projekt sucht Antworten auf die Frage nach der Neupositionierung des Betrachters zwischen Kunstwerk und Wirklichkeit, beleuchtet Schlüsselbegriffe wie Partizipation und Interaktivität und ergründet Veränderungen in unserer Selbstbestimmung, die alle Lebensbereiche der Gegenwart betreffen.
Mit einem Gastspiel ist es, wie beim Kofferpacken vor einer Reise: Man überlegt, was man wohl brauchen wird und lebt aus dem Gepäck. Auf Einladung der Akademie der Künste, Berlin, ist Kolumba eine Woche lang zu Gast im »Metabolischen Büro« der Ausstellung »Schwindel der Wirklichkeit«. Spätestens mit der zum Jahrtausendwechsel gezeigten Ausstellung »Über die Wirklichkeit« wurde sichtbar, dass das Kunstmuseum des Erzbistums Köln einer Reflexion über existenzielle Grundlagen mit den Möglichkeiten der Kunst Raum geben möchte. Die Einladung nach Berlin begründet sich auch in der seit 1993 bestehenden Verbindung des Museums zu dem Komponisten Manos Tsangaris, seit 2012 Direktor der Sektion »Musik« der Akademie der Künste. Das Gastspiel bietet die Möglichkeit, einen Ausschnitt der vielfältigen Museumsformate zu diskutieren und sich mit eigenen Fragen einzubringen. Dazu wird Kolumba mit Werken der eigenen Sammlung anreisen und mit einer Ausstellung, die während der Öffnungszeiten vor und mit Publikum inszeniert wird, sowie in Tischgesprächen, Lesungen und Performances eine Woche lang im »Schwindel der Wirklichkeit« kreisen. Mit im Gepäck sind u.a. Werke von Kurt Benning, Thomas Böing, Felix Droese, Olaf Eggers und Thomas Rentmeister.
Felix Droese. Der Grafenberg, 1971/1972, vielteiliges Konvolut Das frühe Werk von Felix Droese thematisiert beispielhaft einen Ausschnitt kuratorischer Arbeit und steht auch deshalb im Mittelpunkt des Kolumba-Gastspiels. An ihm werden die prozessorientierte und am Dialog in jeder Form interessierte Vorgehensweise des Kolumbateams deutlich. Bei auch bei der Frage, wie man das mehrere hundert Blätter und Realien umfassende Konvolut »Der Grafenberg« ausstellen soll, gehen die Kuratoren vom Werk aus. In diesem Fall handelt es sich um einen dicht gefüllten Umzugskarton ohne jegliche Ausstellungsanweisung. Es existiert neben der »Lagerform« keine vom Künstler autorisierte »Werkform«. Was also ist Bestandteil des Werkes und wie sollte es ausgestellt sein? Worin besteht sein spezifischer Werkcharakter? Mit Blick auf die Vielfalt der Materialien, bei denen es sich in der Summe um ein herausragendes Dokument der Psychiatrie in Deutschland handelt, schied eine konventionelle Präsentation in Wechselrahmen ebenso aus, wie jeder Versuch einer Ordnung.
Im Ergebnis der Überlegungen zur Präsentation werden zahlreiche gebrauchte Tische aus den unterschiedlichen Lebenszusammenhängen über den Raum verteilt, darauf verglaste Kästen unterschiedlicher Größe – eine einfache Form der Tischvitrine. Blickt man in sie hinein, öffnet sich eine eigene Welt: vollgekritzelte Seiten und Papierfetzen, Anstaltskleidung, Medikamentenpackungen, kleine Blätter mit Aquarell- und Wasserfarbenmalerei, Korrespondenz, Briefentwürfe, Bücher, Schlüssel, Zeitungsausschnitte, zerdrückte Fliegen unter Klebeband, Fotos und ein DIN A3-Bogen mit der Überschrift »Manifest der Idioten«, geschrieben von verschiedenen Verfassern. Dessen zentraler Satz »Das hartnäckige Bestehen auf (dem Prinzip des) Glück(s) vergrößert das Leid und frisst sich selber auf.« schwebt wie ein Motto über der Arbeit Felix Droeses, die er als Zivildienstleistender zu Beginn der 70er Jahre im Landeskrankenhaus Düsseldorf-Grafenberg zusammenstellte. Quelle war die Begegnung mit den Patienten der geschlossenen Abteilung, deren künstlerische und schriftliche Äußerungen er sammelte und mit eigenen Werken mischte. Das so entstandene Konvolut bietet eine Fülle an unterschiedlichem Material. Während auf unscharfen Fotos immer wieder Menschen zu sehen sind, die in dem ummauerten Garten des Krankenhauses rätselhaften Beschäftigungen nachgehen, zeigen die kleinen Bleistift- und Farbmalereien z.B. düstere Landschaftsszenarien, traumartige Ereignisse, fratzenhafte und lebensnahe Portraits oder auch naive Blumenwiesen – Bilder, die durch große Intensität bestechen. Während die Qualität der Arbeiten den Gegenstand der Darstellung zeitweise fast vergessen lässt, weisen eingestreute Zeitungsartikel und Schriftzeugnisse immer wieder auf die Zustände in den »Irrenhäusern« hin. »Warum bin ich hier?«, ist die schriftlich fixierte Frage eines Patienten, »die Leute sollte man laufen lassen«, notiert jemand an anderer Stelle. In einer Vitrine am entgegengesetzten Ende des Raumes gelingt die Flucht in die Poesie: »Die Wörter zeichnen wohl mehr / die Vergangenheit am Nordstrand / über den Süden an der Post vorbei / zur Buhne hinten am Westen wo / Braun graut vom Waschwasser / und die Schiffahrtsfahne vor / dem Bogen dampft.«
Dr. Stefan Kraus, Museumsleiter Kolumba, Kunstmuseum des Erzbistums Köln