Róza El-Hassan (* 1966 geb. in Budapest) zählt zu den prominentesten Vertretern der zeitgenössischen Kunst Ungarns. Mit Zeichnungen, Objekten, Installationen, Videos und Aktionen sowie mit kuratorischen und sozialen Projekten hat sich die Künstlerin in den letzten zwanzig Jahren international einen Namen gemacht. 1993 war sie bereits an der Aperto der Biennale von Venedig eingeladen, 1997 bespielte sie dort den Ungarischen Pavillon. Vor fünf Jahren fand in der Kunsthalle Budapest eine Retrospektive statt, jetzt zeigt das Kupferstichkabinett des Kunstmuseums Basel mit 115 Werken den ersten Über- blick über ihr zeichnerisches Schaffen, der durch wenige Objekte und Plastiken ergänzt wird. Die Hälfte der ausgestellten Werke stammen aus der Sammlung des Kupferstichka- binetts, die ergänzt werden durch Leihgaben aus dem Kunsthaus Zürich, der evn collec- tion in Österreich und Privatsammlungen in Frankreich, Ungarn und der Schweiz sowie aus dem Atelier der Künstlerin. Das Zeichnen spielt eine zentrale Rolle in Róza El-Hassans Kunst. Es bildet eine alles verbindende Konstante inmitten der unterschiedlichen Aktivitäten. Der intuitive Zeichen- prozess führt über das Erkunden des Materials immer zur Frage, was dieses Medium und die Kunst schlechthin heute noch leisten können. Dieses Hinterfragen führt die Künstlerin in den 1990er-Jahre zu konzeptuell geprägten Zeichnungen, die Formate sprengen und in den Raum hinauswachsen. Unter Spannung gesetzte Objekte, wirr verwobene Drähte, mit Bleistift gezeichnete Netze und Knäuel verdichten sich zu Metaphern gesellschaftlicher Prozesse.
Sensibilisiert durch den Balkankonflikt und die Anschläge des 11. Septembers 2001 be- ginnt El-Hassan explizit politische Fragen zu stellen. Ethnische und religiöse Verfolgung und die Konzepte von Solidarität und Kollektivschuld beschäftigen sie als Frau mit unga- risch-christlichen und syrisch-muslimischen Wurzeln auch persönlich. Die grosse Werk- gruppe „R. Thinking / Dreaming about Overpopulation“, die Zeichnungen, Aktionen und Plastiken umfasst, weist schon im Titel darauf hin, dass Denken und Träumen, Intellekt und Unterbewusstsein im Widerstreit sind. Die abstrakten Knäuel und Netzte der früheren Zeichnungen werden in dieser Werkgruppe abgelöst durch tagebuchartige Skizzen und Collagen. Auch diese Zeichnungen fallen durch ihre Leichtigkeit und Fragilität auf. Sie lassen viel Leerraum, bleiben somit offen und provisorisch. Seit 2001 initiiert El-Hassan zahlreiche Projekte ausserhalb von Ausstellungsräumen. Dazu gehört ein Projekt mit Korbflechtern einer verarmten Roma-Gemeinschaft in Ungarn, das die Verbindung von zeitgenössischem Design mit einem traditionellen Handwerk beabsichtigt. In der Folge dieser Tätigkeit sind neuerdings in ihren Zeichnungen wieder Flecht- und Netzwerke zu finden, die mit den Zeichnungen der 1990er-Jahre zusammen- hängen. Die zeichnerische Tätigkeit ist für die Künstlerin stets eine Suche nach der eigenen Iden- tität und die Auseinandersetzung mit grundlegenden Fragen nach künstlerischer Autono- mie, politischer Relevanz und ästhetischem Anspruch.
Veranstaltungshinweis Am Donnerstag, 16. Februar 2012, um 18.30 Uhr wird Róza El-Hassan im Rahmen der Reihe „Künstler – Reden“ im Kunstmuseum Basel in Deutsch über ihre künstlerische Tätigkeit Auskunft geben.
Ausstellungskatalog Der Ausstellungskatalog Róza El-Hassan – In Between mit einem Vorwort von Christian Müller und Anita Haldemann sowie Beiträgen von Anita Haldemann und Eva Scharrer, 120 Seiten, 144 Abbildungen, erscheint im Verlag Hatje Cantz