Die Ausstellung ist Abschluss eines langjährigen, von der Frankfurter Stiftung Gabriele Busch-Hauck geförderten Forschungsprojekts. In dessen Verlauf konnten die Zeichnungen der italienischen Renaissance bis 1600 aus der Sammlung des Städel unter Auswertung neuerer wissenschaftlicher Arbeiten umfassend untersucht werden; mehr als ein Drittel aller ausgestellten Werke wurde überhaupt zum ersten Mal thematisiert und wird nun in dem im Rahmen der Ausstellung erscheinenden Bestandskatalog publiziert.
„Unser Bestand von insgesamt etwa 450 Blättern der italienischen Renaissance zählt zu den herausragendsten in Deutschland. Sie prägen den Ort, an den sie gebunden sind, und leisten einen wesentlichen Beitrag zur unverwechselbaren Identität des Städel. Um diese Identität lebendig zu halten, gilt es, die eigenen Bestände immer wieder kritisch zu überprüfen und kontinuierlich wissenschaftlich zu erforschen. Die Ausstellung ‚Raffael bis Tizian‘ ist eine ebenso bedeutende wie beeindruckende Visualisierung dieser ansonsten oft im Verborgenen stattfindenden Kernaufgabe unseres Museums“, so Städel-Direktor Max Hollein.
„Zeichnungen gehören zu den kostbarsten Äußerungen künstlerischer Schaffenskraft. Sie bieten den einmaligen Reiz, das Denken und oft sogar den ersten künstlerischen Impuls eines Meisters nacherleben zu können. Die in der Ausstellung vertretenen Meisterwerke geben einen ungemein intimen und aufschlussreichen Einblick in die italienische Hochrenaissance – eine der wichtigsten und bedeutsamsten Epochen der Kunstgeschichte“, so Kurator Dr. Joachim Jacoby über ein Leitmotiv seiner Ausstellung.
Die Präsentation in der Ausstellungshalle der Graphischen Sammlung versammelt eine repräsentative Auswahl von italienischen Handzeichnungen aus der Zeit zwischen etwa 1430 und 1600, an denen die unterschiedlichen künstlerischen Strömungen der weltberühmten Epoche, die verschiedenen Techniken und Funktionen der Zeichnungen, aber auch sammlungsgeschichtliche Aspekte besonders anschaulich demonstriert werden.
Die überhaupt selten erhaltenen Zeichnungen des 15. Jahrhunderts bilden den Auftakt der Ausstellung und sind mit rund fünfzehn Beispielen vertreten. Zu sehen sind etwa eine Zeichnung mit vier eleganten gotischen Standfiguren aus dem Kreis von Pisanello (um 1430), die eindringlichen Entwürfe einer Totentrauer des in Venedig lebenden Marco Zoppo (um 1470) sowie die Zeichnung eines nach oben blickenden jungen Mannes (um 1500) aus der Hand eines unbekannten venezianischen Meisters.
Die zweite Abteilung ist den Künstlern der Hochrenaissance gewidmet – einer relativ kurzen Zeitspanne zwischen 1500 und 1525, in der die Kunst Europas eine völlig neue Ausrichtung erhielt und die bereits von Giorgio Vasari in der Mitte des 16. Jahrhunderts als ein „Punkt der höchsten Vollendung“ angesehen wurde, der das Fundament für kommende Generationen bildete. Maßgeblich geprägt wurde diese Phase von den in der Ausstellung gezeigten Künstlern Fra Bartolommeo und Michelangelo in Florenz, Raffael in Rom, Correggio in Parma und Tizian in Venedig. Hier begegnen dem Besucher ebenso kostbare wie fragile Meisterwerke wie Michelangelos Groteske Köpfe (um 1525), Raffaels Entwurf für die „Disputa“ (um 1508/09), Correggios Sitzender Prophet mit Buch (um 1523) oder Tizians einzigartige Studie für den heiligen Sebastian des Hochaltars in SS Nazaro e Celso in Brescia (um 1519/20).
Der weitere Verlauf bis zum Ende des 16. Jahrhunderts ist in zwei Abschnitte unterteilt: zum einen in Arbeiten aus Mittelitalien, zum anderen in Werke aus dem großen Gebiet zwischen Genua und Venedig im Norden Italiens. Die Zeichnungen der ersten Gruppe sind in chronologischer Abfolge nach den Zentren Florenz und Rom unterschieden und versammeln Arbeiten zur politischen Machtdemonstration und höfischen Repräsentation – wie Bronzinos Entwurf für ein Deckenfresko im Palazzo Vecchio in Florenz (um 1539/40) – oder auch Zeichnungen, denen als Planungsinstrument und Demonstrationsobjekt eine zentrale Bedeutung zukam, darunter Blätter von Pontormo, Zuccari oder Poccetti.
Die Anordnung der Zeichnungen aus dem nördlichen Italien folgt einer geografischen Gliederung, von Ligurien im Westen bis ins Veneto im Osten. Die Kunstzentren im Norden Italiens bildeten in der Renaissance keine Einheit. Den politischen Herrschaftsgebieten entsprechend aufgeteilt, brachten sie teilweise eigene Stilformen hervor. In diesem Ausstellungsabschnitt werden unter anderem Venus trauert um Adonis (um 1560) von Luca Cambiaso aus Genua, Die Anbetung der Könige (um 1527/30) des ungemein einflussreichen Künstlers Parmigianino aus Parma oder auch die Studie nach dem Kopf von Michelangelos „Giuliano de’ Medici“ (um 1545/60?) präsentiert, die der in Venedig lebende Tintoretto vermutlich nach einem Abguss der in Florenz befindlichen Skulptur in der Medici-Kapelle anfertigte.
Insgesamt vermittelt die Ausstellung nicht nur einen umfassenden Überblick über die verschiedenen Strömungen und regionalen Ausprägungen der italienischen Renaissancekunst. Auch die zahlreichen Funktionen und Techniken des Mediums Zeichnung werden beleuchtet, etwa durch die von Raffael und seiner Werkstatt gefertigte Kreidezeichnung Drei Figuren aus der „Schule von Athen“ (Stanza della Segnatura) (um 1510/12), eine Silberstiftstudie nach dem lebenden Modell für einen Gekreuzigten aus dem 15. Jahrhundert, die fast abstrakt anmutende Studie einer liegenden Figur (um 1567?) in mehrfarbigen Kreiden von Jacopo Bassano oder Giuseppe Cesaris Darstellung des selbstverliebten Narziss (um 1595/1600) in schwarzem Stift, eine für sich stehende, autonome Arbeit.
Bereits zur Gründungsstiftung des Städelschen Kunstinstituts im Jahr 1815 konnte die Städelsche Sammlung einen bedeutenden Bestand an Altmeister-Zeichnungen aufweisen. Dieser erfuhr um die Mitte des 19. Jahrhunderts durch Johann David Passavant (1787–1861) eine entscheidende Erweiterung und markante Strukturierung. Passavant, der als Inspektor von 1840 bis zu seinem Tod 1861 für die Sammlungen des Städel Museums verantwortlich war, vertrat die Strategie gezielter Erwerbungen einzelner und, wie er schrieb, „nur ausgezeichneter“ Werke, um den Besuchern des Museums durch konzentrierte Qualität eine eindrucksvolle Anschauung der Kunstgeschichte und ein intensives Erlebnis der Kunst „aller Zeiten und Schulen“ zu ermöglichen. Passavant hatte seine Laufbahn als nazarenischer Maler begonnen und seine Verehrung der großen Vorbilder Raffael und Dürer zu einer fundierten Kennerschaft auf den Gebieten der italienischen und deutschen Renaissance ausgebaut. So bildeten sich hier Schwerpunkte, die in der Zeichnungssammlung des Instituts nach wie vor besonders deutlich zutage treten. Der Bestand der italienischen Renaissancezeichnungen, dem die Ausstellung gewidmet ist, zählt heute – auch dank einzelner ergänzender Erwerbungen späterer Zeit – zu den wichtigsten in Europa, und in keiner anderen deutschen Sammlung ist Raffael mit mehr Zeichnungen vertreten.
Zur Ausstellung erscheint ein umfassender Katalog im Michael Imhof Verlag, verfasst von Joachim Jacoby. In den Katalogtexten wird jede Zeichnung ausführlich dokumentiert (mit technischen Daten, gegebenenfalls Wasserzeichen, Provenienz, Literatur), eingehend analysiert und mit Blick auf das Œuvre des betreffenden Künstlers diskutiert. Alle Zeichnungen werden abgebildet (soweit erforderlich mit Recto und Verso sowie Wasserzeichen); zusätzlich wird mit zahlreichen Vergleichsabbildungen wichtiger Referenzarbeiten – Zeichnungen, Gemälden, Druckgrafiken – ein hoher Grad an Anschaulichkeit gewährleistet.
Öffnungszeiten Städel Museum: Dienstag, Mittwoch, Samstag und Sonntag 10.00–18.00 Uhr; Donnerstag und Freitag 10.00–21.00 UhrÖffnungszeiten Studiensaal, Graphische Sammlung: Mittwoch, Freitag 14.00–17.00 Uhr; Donnerstag 14.00–19.00 Uhr
Eintritt: 12 Euro, ermäßigt 10 Euro, Familienticket 20 Euro; freier Eintritt für Kinder bis zu 12 Jahren; Samstag, Sonn- und Feiertag 14 Euro, ermäßigt 12 Euro, Familienticket 24 EuroKartenvorverkauf unter: tickets.staedelmuseum.de
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