William Bainbridge Doppelquerflageolett, 1820, London Foto: Roman Raacke William Bainbridge Doppelquerflageolett, 1820, London Foto: Roman Raacke - Mit freundlicher Genehmigung von: mkg

Was: Ausstellung

Wann: 15.06.2012 - 30.12.2012

Hat die Stradivari keine Konkurrenz? Wann verlor die Geige ihren Körper? Was ist eigentlich eine Schnabelflöte? Wie kam die Oboe zu ihrem Namen und die Querflöte zu ihren Klappen? Und seit wann darf auch die Dame Flöte spielen? Viele spannende Fragen entführen die Besucher in die Instrumenten- und Musikgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. In sechszehn Kapiteln erzählen…
Hat die Stradivari keine Konkurrenz? Wann verlor die Geige ihren Körper? Was ist eigentlich eine Schnabelflöte? Wie kam die Oboe zu ihrem Namen und die Querflöte zu ihren Klappen? Und seit wann darf auch die Dame Flöte spielen? Viele spannende Fragen entführen die Besucher in die Instrumenten- und Musikgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. In sechszehn Kapiteln erzählen rund 100 ungewöhnliche Instrumente aus der Sammlung Wolfgang Hanneforths davon, wie Geigenbauer, Ingenieure, Erfinder, Musiker, Uhrmacher, Goldschmiede und andere experimentierfreudige Handwerker Musikinstrumente als technisch-wissenschaftliche Objekte begriffen. Sie tüftelten, forschten, experimentierten und machten sich die neuesten technischen und physikalischen Erkenntnisse der jungen Wissenschaften zunutze, um nach dem perfekten Klang zu suchen. Die Ausstellung zeigt die Ergebnisse: Technisch außergewöhnliche und in ihrer Konstruktion innovative Streich- und Holzblasinstrumente. Zu den herausragenden Stücken der Ausstellung zählen die für frühe Tonaufnahmen von dem Ingenieur Johann Matthias Augustus Stroh entwickelten „Strohgeigen“ mit einem schallverstärkenden Metalltrichter oder Violinen mit außergewöhnlichen Korpusformen, wie die von François Chanot entworfene Violine mit gitarrenähnlichem Klangkörper. Zu sehen sind auch seltene Tanzmeister- oder Taschengeigen (Pochettes), verschiedene Stumme Geigen und Miniaturinstrumente. Von besonderem historischem Wert sind Französische und Englische Flageoletts, darunter Doppelflageoletts der Londoner Werkstatt von William Bainbridge. 42 Audiotracks mit Hörproben der historischen Instrumente, Filme mit Menuett- und Tangotänzen und zwei Hörfeatures lassen die Musikinstru-mente, ihren Gebrauch und ihre Zeit lebendig werden.

Die Physik der Geige: Mit dem Aufschwung der Naturwissenschaften im 17. Jahrhundert setzte auch eine systema-tische Erforschung akustischer Phänomene ein. Schon Galileo Galilei entdeckte durch Experimente grundlegende Gesetzmäßigkeiten über Resonanzbildung und über das Schwingungsverhalten von Saiten. Sein Zeitgenosse, der Theologe, Mathematiker und Musiktheoretiker Marin Mersenne maß erstmals die Schallgeschwindigkeit in der Luft, indem er in einiger Entfernung eine Kanone abfeuern ließ und die zeitliche Verzögerung zwischen dem Aufblitzen des Mündungsfeuers und dem Hören des Schusses bestimmte. Er wurde zum Begründer der wissen-schaftlichen Instrumentenkunde. Die Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaft und die technische und industrielle Entwicklung führten im 19. und 20. Jahrhundert auch im Musikinstrumentenbau zu Verbesserungen und Innovationen. Allein im Bereich der Streichinstrumente wurden seit Gründung des Kaiserlichen Patentamtes 1877 in Deutschland etwa 300 Erfindungen zum Patent angemeldet. Oftmals sind es nicht nur die im traditionellen Handwerk ausgebildeten Instrumentenbauer selbst, sondern Ingenieure, Uhrmacher, Goldschmiede, Mediziner und Physiker, die bahnbrechende Neuerungen entwickeln.

Auf den Trichter gekommen: Spätestens mit der Weltausstellung zur Jahrhundertwende war die Elektrizität aus den Laboren im Alltagsleben angekommen. Völlig neue Medien wie die Telegraphie entstanden. Für eine überzeugende Musikproduktion konnte jedoch der Lautstärkeumfang von Musikinstrumenten noch nicht angemessen auf die Wachsrolle gebannt werden. Um 1900 wurden die phonographischen Aufnahmen daher oft in sehr kleinen Räumen produziert, in deren Mitte sich ein großer Aufnahmetrichter befand. Die Sänger drängten sich vor dem Trichter, hinter Ihnen das meist stark reduzierte Orchester, erst die leisen Streicher und Holzbläser, dann Blechbläser, tiefe Streicher und Schlagwerk. Die traditionelle Violine war für den damaligen Stand der Aufnahmetechnik viel zu leise und ging im Rauschen des Wachszylinders förmlich unter. So entstand etwa die Trichtergeige, die ihren so typischen hölzernen Klangkörper gegen einen Schalltrichter austauschte.

Vom Segen der stummen Geige: Die Notwendigkeit von stummen oder zumindest sehr leisen Übungsinstrumenten kam im 19. Jahrhundert auf: Die steigenden Anforderungen an die Virtuosität der Musiker verlangten intensive technische Studien, und reisende Künstler mussten zudem stundenlange Zugfahrten auf sich nehmen. „Diese Erfindung schafft eine Geige, die wenig klingt, die also ein Spielen und Studiren gestattet, ohne einen Andern mit Tönen zu belästigen, die aber in der übrigen Ausstattung von einer klingenden Geige nicht abweicht und auch im Spiel durchaus keine andere Behandlung erheischt.“ Mit diesen Worten preisen die Gebrüder Wolff in Kreuznach die von ihnen produzierte stumme Violine an, für die sie 1877 ein Patent erhalten haben. Statt des klangverstärken-den Resonanzkörpers besitzt das Instrument lediglich einen massiven Holzrahmen. Es erzeugt daher nur einen sehr leisen Ton, welcher dem Musiker zur Kontrolle seines Spiels ausreicht, sich aber nicht weit ausbreitet. Welchen Segen die Benutzung der stummen Geige für die Mitwelt des Musikers bedeutet, beschreibt der Werbetext der Gebrüder Wolff in dramatischer Weise: „Wer bisher als ausübender Künstler oder solcher, der es werden will, andere Menschenkinder durch stundenlange, ja sogar tagelange, unausgesetzte unerquickliche Studien peinigen musste, der wird schon aus Menschenfreundlichkeit zeitweise sich dieses höchst practischen Instruments bedienen.“

Das Taschenwunder: Taschengeigen oder Pochettes wurden im 17. und 18. Jahrhundert von Tanzlehrern für ihren Unterricht benutzt. Im Rockschoß ihres Gewandes war eine längliche Tasche eingenäht. Dort wurde die kleine Geige hineingesteckt, wenn der Tanzmeister seine Arme für Erklärungen und Vorführungen gebrauchte. Von der französischen Bezeichnung „Pochette“ für „kleine Tasche“ hat die zierliche Geige ihren Namen. Der Korpus der Pochette ist sehr viel kleiner als der einer herkömmlichen Violine. Oft ist er zusammen mit dem Hals und der Schnecke aus einem Stück Holz gearbeitet. Andere Formen der Pochette sind wie verkleinerte Violinen gebaut. Die Instrumente dienten zwar in erster Linie dazu, Melodie und Takt der einzustudierenden Tänze anzugeben, manch ein Tanzmeister hat es aber auf seiner kleinen Pochette zu wahrer Virtuosität gebracht.

Wie die Oboe zu ihrem Namen kam: Mit ihrem scharfen, durchdringenden Klang gehörten die „kräftigen Bläser“ aus der Familie der Doppelrohrblattinstrumente wie die Musette, die Bombarde und die Schalmei in der Renaissance und im Barock zu den „instruments hauts“, den klangstarken Instrumenten, die bei Turnieren, Aufzügen und Tänzen vor allem unter freiem Himmel eingesetzt wurden. Von ihnen unterschied man die leiseren Kammermusikinstrumente, die „instruments bas“. Zu ihnen gehörten die Saiteninstrumente und die Flöten. Die Oboe hat ihren Ursprung im Frankreich Ludwig XIV. „Hautbois“ heißt übersetzt „hohes oder lautes Holz“. Hautboisten nannte man die Musiker des Freiluftensembles, die die Bombarden und Schalmeien spielten. Berühmte Hautboisten waren die Musiker der Familien Philidor und Hotteterre, die ihre Instrumente auch selbst bauten. Sie waren es vermutlich, die Ende des 17. Jahrhunderts aus der Schalmei ein Instrument entwickelten, das auch für Konzerte zusammen mit den königlichen Streichern geeignet war. Als „Oboe“ wurde dieses neue Kammer-musikinstrument mit seiner feinen Ansprache und seinem geschmeidigen Ton bald in ganz Europa bekannt.

Die Flöte des Gentleman – jetzt auch für Ladies!: Die Bezeichnung Flageolett für eine kleine Flöte, abgeleitet vom lateinischen Verb flare=blasen, taucht zum ersten Mal im 13. Jahrhundert in Frankreich auf. Als Volksinstrument ist es im westeuropäischen Raum verbreitet. In einem barocken Traktat wird das Flageolett sogar als ältestes Musikinstrument überhaupt bezeichnet, da seine Erfindung den Hirten zuzuschreiben sei, und in französischen Opern des 18. Jahrhunderts wird es gelegentlich zur Imitation von Vogelstimmen eingesetzt. Als Dilettanten-instrument erfreut sich das Flageolett großer Beliebtheit. Die Flageolettschule „The Bird Fancyer’s Delight“ für Amateurmusiker bietet 1717 in London eine Anleitung für Vogelliebhaber zum Unterrichten aller Arten von Singvögeln mit dem Flageolett oder der Flöte, einer damals beliebten Beschäftigung. Das Flageolett wird auch ausdrücklich der musizierenden Frau ans Herz gelegt. Der einflussreiche englische Beamte Samuel Pepys etwa trägt sein Flageolett stets bei sich, empfiehlt es auch seiner Frau und arrangiert Musikstunden für sie. So wirbt etwa William Bainbridge, der führende englische Flageolett-Hersteller: „Any Lady or Gentleman may learn themselves to play with ease, on this Fashionable Instrument“ – „Jede Dame und jeder Herr kann sich selbst mit Leichtigkeit beibringen, auf diesem neumodischen Instrument zu spielen“.

Der Sammler: Wolfgang Hanneforth war ein engagierter und praktizierender Musikenthusiast und leidenschaftli-cher Sammler von historischen Streich- und Holzblasinstrumenten. 2011 vermachte Hanneforth seine 250 Stücke umfassende hochkarätige Sammlung dem MKG. Schon als Kind hatte er Unterricht auf dem Klavier und seit 1946 auch auf der Geige erhalten. Einige Jahre später wurde er außerdem Mitglied im Posaunenchor seiner Kirchenge-meinde, wo er Trompete, Flügelhorn, Hochbass, Posaune und schließlich Waldhorn spielte, das dann später zu seinem Hauptinstrument im Posaunenchor wurde. Zeitlebens spielte er Bratsche im Streichquartett. Aus den musikalischen Aktivitäten Hanneforths entwickelte sich schließlich eine Sammelleidenschaft für alte Instrumente. Wolfgang Hanneforth wurde am 16. Juli 1936 in Gadderbaum bei Bielefeld geboren. Nach dem zweiten Weltkrieg legte er 1956 die Abiturprüfung ab, der ein Studium der Fächer Biologie, Chemie und Physik an den Universitäten Mainz und Göttingen folgte. Dieses beendete er 1964 mit der Promotion in Göttingen. Seit 1972 arbeitete Hanneforth als engagierter Hochschullehrer an der Fachhochschule Hamburg Bergedorf im Studienbereich Biomedizintechnik, Umwelttechnik und Biotechnologie. Die Hochschule ernannte ihn im Mai 1980 zum Professor.

Hören und Staunen – Vermittlung: Das mediale Vermittlungskonzept zur Ausstellung wird von Frank Böhme, Fabian Czolbe und Studierenden der Hochschule für Musik und Theater Hamburg zusammen mit dem Kurator der Ausstellung, Olaf Kirsch, entwickelt. In über 40 Audiotracks sind Klangbeispiele und Erklärungen zu zahlreichen Instrumenten zu hören. In 16 Videoclips zeigen Musiker, wie die Trichtergeige, Phonofiddle, Chanot-Geige, Traversflöten, Flageolettes und andere Instrumente im historischen Aufführungszusammenhang wie Renaissance, Jazz oder Tango gespielt werden. In einem Film spielt die Tanzmeisterin, begleitet von einem barocken Ensemble, in einer nachgestellten Übungsstunde zu einem barocken Menuett eine Tanzmeistergeige. Im zweiten Teil begleitet eine Strohgeige Tänzer zum Argentinischen Tango. In einem weiteren Film erklärt ein Akustiker, wie eine Geige eigentlich funktioniert und wie sie gebaut wird. Hörfeatures entführen interessierte Besucher in die musikalische Zeit und die Geschichte des Stimmtons.

Die Ausstellung wir ermöglicht durch die freundliche Unterstützung der Ernst August Bester Stiftung gefördert.

Kurator: Olaf Kirsch

 

Öffnungszeiten: Di –So 11 – 18 Uhr, Do 11 – 21 UhrEintrittspreise: 8 € / 5 €, Do ab 17 Uhr 5 €, bis unter 18 Jahre frei

Tags: Erfindungen, Geige, Hamburg, Musikinstrumente, Sammlung, Wolfgang Hanneforth