Geb. Wolff, Kreuznach, Modell Stumme Geige, vermutlich Deutschland, zwischen 1910 und 1920 Ahorn, Ebenholz, vermutl. Buche Foto: Maria Thrun Geb. Wolff, Kreuznach, Modell Stumme Geige, vermutlich Deutschland, zwischen 1910 und 1920 Ahorn, Ebenholz, vermutl. Buche Foto: Maria Thrun - Mit freundlicher Genehmigung von: mkg

Was: Ausstellung

Wann: 15.06.2013 - 30.12.2013

Hat die Stradivari keine Konkurrenz? Wann verlor die Geige ihren Körper? Was ist eigentlich eine Schnabelflöte? Wie kam die Oboe zu ihrem Namen und die Querflöte zu ihren Klappen? Und seit wann darf auch die Dame Flöte spielen? Viele spannende Fragen entführen die Besucher in die Instrumenten- und Musikgeschichte des 19. und 20. Jahrhun- derts. In sechszehn Kapiteln…
Hat die Stradivari keine Konkurrenz? Wann verlor die Geige ihren Körper? Was ist eigentlich eine Schnabelflöte? Wie kam die Oboe zu ihrem Namen und die Querflöte zu ihren Klappen? Und seit wann darf auch die Dame Flöte spielen? Viele spannende Fragen entführen die Besucher in die Instrumenten- und Musikgeschichte des 19. und 20. Jahrhun- derts. In sechszehn Kapiteln erzählen rund 100 ungewöhnliche Instrumente aus der Sammlung Wolfgang Hanneforths davon, wie Geigenbauer, Ingenieure, Erfinder, Musiker, Uhrmacher, Goldschmiede und andere experimentierfreudige Handwerker Musikinstrumente als technisch-wissenschaftliche Objekte begriffen. Sie tüftelten, forschten, experimentierten und machten sich die neuesten technischen und physikalischen Wissenschaften zunutze, um nach dem perfekten Klang zu suchen. Die Ausstellung zeigt die Ergebnisse: Technisch außergewöhnliche und in ihrer Konstruktion innovative Streich- und Holzblasinstrumente. Zu den herausragenden Stücken der Ausstellung zählen die für frühe Tonaufnahmen von dem Ingenieur Johann Matthias Augustus Stroh entwickelten „Strohgeigen“ mit einem schallverstärkenden Metalltrichter oder Violinen mit außergewöhnlichen Korpusformen, wie die von François Chanot entworfene Violine mit gitarrenähnlichem Klangkörper. Zu sehen sind auch seltene Tanzmeister- oder Taschengeigen (Pochettes), verschiedene Stumme Geigen und Miniaturinstrumente. Von besonderem historischem Wert sind Französische und Englische Flageoletts, darunter Doppelflageoletts der Londoner Werkstatt von William Bainbridge. 42 Audiotracks mit Hörproben der historischen Instrumente, Filme mit Menuett- und Tangotänzen und zwei Hörfeatures lassen die Musikinstrumente, ihren Gebrauch und ihre Zeit lebendig werden. Der Audio-Katalog zur Ausstellung erscheint als kostenlose App für das iPhone mit allen Klang- und Filmbeispielen und bietet einen umfangreichen Rundgang durch die Ausstellung.

Die Physik der Geige: Mit dem Aufschwung der Naturwissenschaften im 17. Jahrhundert setzte auch eine systema- tische Erforschung akustischer Phänomene ein. Schon Galileo Galilei entdeckte durch Experimente grundlegende Gesetzmäßigkeiten der Resonanzbildung und des Schwingungsverhaltens von Saiten. Sein Zeitgenosse, der Theologe, Mathematiker und Musiktheoretiker Marin Mersenne maß erstmals die Schallgeschwindigkeit in der Luft, indem er in einiger Entfernung eine Kanone abfeuern ließ und die zeitliche Verzögerung zwischen dem Aufblitzen des Mündungsfeuers und dem Hören des Schusses bestimmte. Er wurde zum Begründer der wissenschaftlichen Instru- mentenkunde. Die Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaft und die technische und industrielle Entwicklung führten im 19. und 20. Jahrhundert auch im Musikinstrumentenbau zu Verbesserungen und Innovationen. Allein im Bereich der Streichinstrumente wurden seit Gründung des Kaiserlichen Patentamtes 1877 in Deutschland etwa 300 Erfindungen zum Patent angemeldet. Oftmals waren es nicht nur die im traditionellen Handwerk ausgebildeten Instrumentenbauer selbst, sondern Ingenieure, Uhrmacher, Goldschmiede, Mediziner und Physiker, die bahn- brechende Neuerungen entwickelten.

Auf den Trichter gekommen: Spätestens mit der Weltausstellung zur Jahrhundertwende war die Elektrizität aus den Laboren im Alltagsleben angekommen. Völlig neue Medien wie die Telegrafie entstanden. Für eine überzeugende Musikreproduktion konnte jedoch der Lautstärkeumfang von Musikinstrumenten noch nicht angemessen auf die Wachsrolle gebannt werden. Um 1900 wurden die phonographischen Aufnahmen daher oft in sehr kleinen Räumen produziert, in deren Mitte sich ein großer Aufnahmetrichter befand. Die Sänger drängten sich vor dem Trichter, hinter Ihnen das meist stark reduzierte Orchester, erst die leisen Streicher und Holzbläser, dann Blechbläser, tiefe Streicher und Schlagwerk. Die traditionelle Violine war für den damaligen Stand der Aufnahmetechnik viel zu leise und ging im Rauschen des Wachszylinders förmlich unter. So entstand etwa die Trichtergeige, die ihren so typischen hölzernen Klangkörper gegen einen Schalltrichter austauschte.

Vom Segen der Stummen Geige: Die Notwendigkeit von stummen oder zumindest sehr leisen Übungsinstrumenten kam im 19. Jahrhundert auf. Die steigenden Anforderungen an die Virtuosität der Musiker verlangten intensive technische Studien, und reisende Künstler mussten zudem stundenlange Zugfahrten auf sich nehmen. „Diese Erfindung schafft eine Geige, die wenig klingt, die also ein Spielen und Studiren gestattet, ohne einen Andern mit Tönen zu belästigen, die aber in der übrigen Ausstattung von einer klingenden Geige nicht abweicht und auch im Spiel durchaus keine andere Behandlung erheischt.“ Mit diesen Worten preisen die Gebrüder Wolff in Kreuznach die von ihnen produzierte Stumme Violine an, für die sie 1877 ein Patent erhalten haben. Statt des klangverstärkenden Resonanzkörpers besitzt das Instrument lediglich einen massiven Holzrahmen. Es erzeugt daher nur einen sehr leisen Ton, welcher dem Musiker zur Kontrolle seines Spiels ausreicht, sich aber nicht weit ausbreitet. Welchen Segen die Benutzung der Stummen Geige für die Mitwelt des Musikers bedeutet, beschreibt der Werbetext der Gebrüder Wolff in dramatischer Weise: „Wer bisher als ausübender Künstler oder solcher, der es werden will, andere Menschenkinder durch stundenlange, ja sogar tagelange, unausgesetzte unerquickliche Studien peinigen musste, der wird schon aus Menschenfreundlichkeit zeitweise sich dieses höchst practischen Instruments bedienen.“

Das Taschenwunder: Taschengeigen oder Pochettes wurden im 17. und 18. Jahrhundert von Tanzlehrern für ihren Unterricht benutzt. Im Rockschoß ihres Gewandes war eine längliche Tasche eingenäht. Dort wurde die kleine Geige hineingesteckt, wenn der Tanzmeister seine Arme für Erklärungen und Vorführungen gebrauchte. Von der französischen Bezeichnung „Pochette“ für „kleine Tasche“ hat die zierliche Geige ihren Namen. Der Korpus der Pochette ist sehr viel kleiner als der einer herkömmlichen Violine. Oft ist er zusammen mit dem Hals und der Schnecke aus einem Stück Holz gearbeitet. Andere Formen der Pochette sind wie verkleinerte Violinen gebaut. Die Instrumente dienten zwar in erster Linie dazu, Melodie und Takt der einzustudierenden Tänze anzugeben, manch ein Tanzmeister hat es aber auf seiner kleinen Pochette zu wahrer Virtuosität gebracht.

Wie die Oboe zu ihrem Namen kam: Mit ihrem scharfen, durchdringenden Klang gehörten die „kräftigen Bläser“ aus der Familie der Doppelrohrblattinstrumente wie die Musette, die Bombarde und die Schalmei in der Renaissance und im Barock zu den „instruments hauts“, den klangstarken Instrumenten, die bei Turnieren, Aufzügen und Tänzen vor allem unter freiem Himmel eingesetzt wurden. Von ihnen unterschied man die leiseren Kammermusikinstrumente, die „instruments bas“. Zu ihnen gehörten die Saiteninstrumente und die Flöten. Die Oboe hat ihren Ursprung im Frankreich Ludwig XIV. „Hautbois“ heißt übersetzt „hohes oder lautes Holz“. Hautboisten nannte man die Musiker des Freiluftensembles, die die Bombarden und Schalmeien spielten. Berühmte Hautboisten waren die Musiker der Familien Philidor und Hotteterre, die ihre Instrumente auch selbst bauten. Sie waren es vermutlich, die Ende des 17. Jahrhunderts aus der Schalmei ein Instrument entwickelten, das auch für Konzerte zusammen mit den königlichen Streichern geeignet war. Als „Oboe“ wurde dieses neue Kammermusikinstrument mit seiner feinen Ansprache und seinem geschmeidigen Ton bald in ganz Europa bekannt.

Die Flöte des Gentleman – jetzt auch für Ladies!: Die Bezeichnung Flageolett für eine kleine Flöte, abgeleitet vom lateinischen Verb flare=blasen, tauchte zum ersten Mal im 13. Jahrhundert in Frankreich auf. Als Volksinstrument war es im westeuropäischen Raum verbreitet. In einem barocken Traktat wurde das Flageolett sogar als ältestes Musikinstrument überhaupt bezeichnet, da seine Erfindung den Hirten zuzuschreiben sei, und in französischen Opern des 18. Jahrhunderts wurde es gelegentlich zur Imitation von Vogelstimmen eingesetzt. Als Dilettanten- instrument erfreute sich das Flageolett großer Beliebtheit. Die Flageolettschule „The Bird Fancyer’s Delight“ für Amateurmusiker bot 1717 in London eine Anleitung für Vogelliebhaber zum Unterrichten aller Arten von Singvögeln mit dem Flageolett oder der Flöte, einer damals beliebten Beschäftigung. Das Flageolett wurde auch ausdrücklich der musizierenden Frau ans Herz gelegt. Der einflussreiche englische Beamte Samuel Pepys etwa trug sein Flageolett stets bei sich, empfahl es auch seiner Frau und arrangierte Musikstunden für sie. So warb etwa William Bainbridge, der führende englische Flageolett-Hersteller: „Any Lady or Gentleman may learn themselves to play with ease, on this Fashionable Instrument“ – „Jede Dame und jeder Herr kann sich selbst mit Leichtigkeit beibringen, auf diesem neumodischen Instrument zu spielen“.

Der Sammler: Wolfgang Hanneforth war ein engagierter und praktizierender Musikenthusiast und leidenschaftli- cher Sammler von historischen Streich- und Holzblasinstrumenten. 2011 vermachte Hanneforth seine 250 Stücke umfassende hochkarätige Sammlung dem MKG. Schon als Kind erhielt er Unterricht auf dem Klavier und auf der Geige. Einige Jahre später wurde er außerdem Mitglied im Posaunenchor seiner Kirchengemeinde, wo er Trompete, Flügelhorn, Hochbass, Posaune und schließlich Waldhorn spielte, das dann später zu seinem Hauptinstrument im Posaunenchor wurde. Zeitlebens spielte er Bratsche im Streichquartett. Aus den musikalischen Aktivitäten Hanneforths entwickelte sich schließlich eine Sammelleidenschaft für alte Instrumente. Wolfgang Hanneforth wurde am 16. Juli 1936 in Gadderbaum bei Bielefeld geboren. Nach dem zweiten Weltkrieg legte er 1956 die Abiturprüfung ab, der ein Studium der Fächer Biologie, Chemie und Physik an den Universitäten Mainz und Göttingen folgte. Dieses beendete er 1964 mit der Promotion in Göttingen. Seit 1972 arbeitete Hanneforth als engagierter Hochschullehrer an der Fachhochschule Hamburg Bergedorf im Studienbereich Biomedizintechnik, Umwelttechnik und Biotechnologie. Die Hochschule ernannte ihn im Mai 1980 zum Professor.

Hören und Staunen – Der Audiokatalog: Der Audio-Katalog zur Ausstellung erscheint als kostenlose App für das iPhone mit allen Klang- und Filmbeispielen und bietet einen umfangreichen Rundgang durch die Ausstellung. In 42 Audiotracks sind Hörproben und Erklärungen zu zahlreichen Instrumenten zu hören. In 16 Videoclips zeigen Musiker, wie die Trichtergeige, Phonofiddle, Chanot-Geige, Traversflöten, Flageolettes und andere Instrumente im historischen Aufführungszusammenhang wie Renaissance, Jazz oder Tango gespielt werden. In einem Film spielt die Tanzmeisterin eine Tanzmeistergeige, begleitet von einem barocken Ensemble, in einer nachgestellten Übungsstunde zu einem barocken Menuett. Im zweiten Teil begleitet eine Strohgeige Tänzer zum Argentinischen Tango. In einem weiteren Film erklärt ein Akustiker, wie eine Geige funktioniert und wie sie gebaut wird. Hörfeatures entführen interessierte Besucher in die musikalische Zeit und die Geschichte des Stimmtons. Das mediale Vermittlungskonzept wurde von Frank Böhme, Fabian Czolbe und Studierenden der Hochschule für Musik und Theater Hamburg zusammen mit dem Kurator der Ausstellung, Olaf Kirsch, entwickelt.

Sommerferienprogramm für Kinder von 8 – 12 Jahren: Laute Töne, leiser Krach: Instrumentenerfinder-Werkstatt“: 2. bis 6.7., 9. bis 13.7., 16. bis 20.7.2012, jeweils Montag bis Freitag 9.00 bis 14 Uhr In dem 5-stündigen Workshop soll jedes Kind mit einem Zupf-, Blas- oder Schlaginstrument den richtigen feinen, lauten, hohen, langen oder kurzen Ton für sich finden. Und das natürlich auf seinem selbst erfundenen und gebau- ten Instrument. Alles ist erlaubt! … Solange am Ende ein Ton … mindestens ein Ton dabei rauskommt! Ist das Zottelhorn lauter als die Rosenbeettrommel? Und hört man die Mittwochsharfe noch, wenn gleichzeitig die Popause ertönt? Woher kommen eigentlich die Namen der Instrumente und wie heißt ein neu erfundenes Instrument, dass es vorher gar nicht gab? Die Ausstellung „Patente Instrumente“ und die weltberühmten pädagogischen Baschet- Instrumente inspirieren die Kinder und zeigen, wie kreativ und einfallsreich Instrumentenerfinder sein können. Jedes Instrumentenerfinder-Kind bekommt ein Patent-Zertifikat über seine Erfindung ausgestellt. Natürlich kann das eigene Werk mit nach Hause genommen werden! Wer an mehreren Tagen kommt, kann ein aufwändigeres Instrument erfinden und auch mit Pappmaché bauen. Workshop-Leitung: Anna Baumann, Kosten: 15 € pro Kind und Tag inkl. Material, Teilnehmerzahl begrenzt, Anmeldung unter: 428134-301, -303, forumk@mkg-hamburg.de

Die Ausstellung wird ermöglicht durch die freundliche Unterstützung der Gerhard Trede-Stiftung, der Justus Brinckmann Gesellschaft, der Hamburgischen Kulturstiftung und der Ernst August Bester Stiftung.

Johannes Pugh (1851–1939) Violinett/Tischgeige, Altona, um 1905 Nadelholz, Elfenit Foto: Maria Thrun Johannes Pugh (1851–1939) Violinett/Tischgeige, Altona, um 1905 Nadelholz, Elfenit Foto: Maria Thrun - Mit freundlicher Genehmigung von: mkg / Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg Arthur G. Pinfold Metronom, London, um 1891 Messing Foto: Maria Thrun Arthur G. Pinfold Metronom, London, um 1891 Messing Foto: Maria Thrun - Mit freundlicher Genehmigung von: mkg / Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg Stagg-Music, Belgien Elektrogeige, China, um 2005 Ahorn, schwarz lackiert Foto: Maria Thrun Stagg-Music, Belgien Elektrogeige, China, um 2005 Ahorn, schwarz lackiert Foto: Maria Thrun - Mit freundlicher Genehmigung von: mkg / Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
Tags: Antonio Stradivari, Doppelquerflageolett, Geige, Schnabelflöte, Violine