Zarte Ranken und geheimnisvolle Schattengewächse, zellenartige Strukturen und samtige Farnfächer - Wuchern und Wachsen, wohin das Auge blickt. Die Werke der Basler Künstlerin Mireille Gros (geb. 1954) sind ohne Zweifel eine Hymne an die Natur, wie schon Marie-Laure Bernadac, die bekannte französische Kuratorin und eine ihrer grossen Förderinnen, 2001 in einem Interview konstatiert hatte. Den Auftakt zu der intensiven Beschäftigung von Mireille Gros mit Fragen nach ursprünglichen Entwicklungsformen bildete 1993 ihre Reise in den Urwald an der Elfenbeinküste. Weitere längere Aufenthalte in Mali und in China folgten – stets begleitet von einer lebhaften Auseinandersetzung mit der jeweiligen Kultur und Natur, die etwa auch das Sammeln von einheimischen Pflanzen beinhaltete. Die Faszination für die universell gültigen (Ur)formen und die immanenten Vorgänge in der Natur überträgt die Künstlerin auf ein überaus prozesshaftes Werkverständnis: sie lasse sich von den Dingen durchdringen, sie warte darauf, dass die Arbeit heranreift, wächst, sich entwickelt.In der Tat pflegt Mireille Gros auch in der Graphik eine äusserst spontane Herangehens- weise. Bei den farblich ungeheuer schillernden Werkreihen und technisch aufwendigen Unikaten muss von eigentlichen Experimenten und Prozessen mit der Radiernadel gesprochen werden. Seit Mitte der 1990er Jahre nutzt Mireille Gros dafür regelmässig die grosszügige Ausstattung und professionelle Betreuung im Atelier de gravure in Moutier. Hier arbeitete sie immer wieder an umfangreichen Serien von experimentellen Drucken. Zusammen mit der Druckerin Michèle Dillier erfand sie dabei einen neuartigen Pflanzendruck: eine Kombination von in den Weichgrund gedrückten Pflanzenteilen, die von der Künstlerin zu floralen Phantasiegebilden ergänzt werden. Unkonventionell und situativ entscheidet Mireille Gros während des Druckprozesses laufend über mögliche Varianten: bezieht die natürlichen Oxidationsspuren der Druckplatten ein, lässt mit Hilfe von verschiedenfarbigen Lagen eine Tiefe des Bildraums erzeugen, arbeitet mit handkolorierten Überdrucken. Gerne lässt sie sich von Zufällen inspirieren. Stets wird dabei eine sorgfältige Papierwahl vorgenommen, manchmal auch eine manuelle Färbung der Papiere in den intuitiven Entscheidungsprozess einbezogen.
Mit über hundert Arbeiten ist Mireille Gros im Bestand der Graphischen Sammlung der ETH vertreten. Hier sollen nun die in den letzten zwanzig Jahren gesammelten Werke der Künstlerin in einer Übersicht präsentiert werden. Darunter finden sich neben graphischen Blättern auch Zeichnungen und Künstlerbücher. Geöffnet und ausgebreitet werden soll auch die in den 1980er Jahren begonnene und bis heute auf 144 Bände angewachsene Bücher-Serie La vie en gros – der überaus opulente Fundus an zeichnerischen Versuchen, verbalen Notizen oder auch getrockneten Blumen, ein Bild- und Ideen-Archiv sondergleichen. “Jeden Tag verschwindet eine Pflanze, eine Blume. Jeden Tag erfinde ich eine neue Pflanze", so notierte die Künstlerin im 29. Buch – das Publikum darf auf die facettenreiche Umsetzung dieses Credos gespannt sein.
Anlässlich der Ausstellung erscheint folgende Publikation: MIREILLE GROS – OUVRIR LES ARCHIVES, mit einem Text von Alexandra Barcal, Petersberg: Michael Imhof Verlag, 2014; ca. 70 Seiten, 49 farbige Abbildungen, CHF 24.-, ISBN 978-3-7319-0051-1; Vorzugsausgabe mit einer Originalgraphik, Auflage: 12 Expl., CHF 280.-