Bilder des Jubels, Bilder des Schreckens: der Krieg aus Sicht von Zeitzeugen „Es war Mein sehnlichster Wunsch, die Jahre, die Mir durch Gottes Gnade noch beschieden sind, Werken des Friedens zu weihen und Meine Völker vor den schweren Opfern und Lasten des Krieges zu bewahren. Im Rate der Vorsehung ward es anders beschlossen.“ Mit diesen Worten aus der Proklamation „An Meine Völker!“ erklärte Kaiser Franz Joseph Serbien 1914 jenen Krieg, der innerhalb kürzester Zeit zum Weltkrieg werden sollte. 17 Millionen Tote und 20 Millionen Verwundete waren die verheerende Bilanz des Völkerschlachtens.
Doch am Beginn des Krieges stand nicht die Angst vor dem Tod, sondern eine heute kaum mehr vorstellbare Begeisterung: „Die Züge füllten sich mit frisch eingerückten Rekruten, Fahnen wehten, Musik dröhnte, in Wien fand ich die ganze Stadt in einem Taumel“, berichtete der Schriftsteller Stefan Zweig von der Euphorie im August 1914. Die Bilder des Jubels, aber auch jene des Schreckens, der folgte, zeigt eine Medienstation in der Ausstellung: Die zu einem Film zusammengestellten Fotos stammen aus den 118 Alben des k. u. k. Kriegspressequartiers und aus dem kürzlich von der Österreichischen Nationalbibliothek erworbenen Nachlass des Fliegerfotografen Franz Pachleitner. Seine Bilder, die er mit dem Einverständnis seiner Vorgesetzten anfertigte, sind hier zum ersten Mal öffentlich zu sehen. Sie zeigen den Krieg aus der unmittelbaren Sicht des Soldaten an der Front: Ungestellt und nicht für ein Publikum gedacht, dokumentieren sie endlos durch das Nirgendwo marschierende Truppen im Osten und erschöpfte Soldaten, die auf ihren schlammverschmierten Geschützen schlafen.
Vergangenheit in der Gegenwart: Wendepunkte des Krieges in Originalen Doch der Krieg in Schwarz-Weiß ist nur eine Facette der Ausstellung. Ebenso beeindruckend sind die Originaldokumente, die einen unmittelbaren und persönlichen Zugang zu einem Krieg bieten, der, aus der Gegenwart betrachtet, weit in der Vergangenheit zu liegen scheint. So aber stehen BesucherInnen fast wie die Menschen von damals vor einer Kundmachung, die dazu aufruft, sich vor feindlichen Spionen in Acht zu nehmen, betrachten ein Plakat des Österreichischen Flottenvereins, das auffordert, für ein neues U-Boot zu spenden, oder lesen eine bis an den Rand beschriebene Feldpostkarte, die ein Soldat zu Weihnachten 1915 an seine „Liebste Gusti“ schreibt.Natürlich kommen in den 16 Stationen der Schau auch die großen Wendepunkte des Krieges vor: Der Kriegseintritt Italiens, der den beginnenden Zerfall Österreich-Ungarns nocheinmal verschob und die Völker der Monarchie unter dem Schlachtruf „Gott strafe England und vernichte Italien!“ erneut zusammenschweißte. Oder der Tod Kaiser Franz Josephs 1916, von dem die Truppen u. a. mit Flugschriften unterrichtet wurden, und mit dem nicht nur jener Monarch starb, der den Krieg begonnen hatte, sondern auch ein Symbol für die Einheit des Reiches. Er hinterließ eine Lücke, die sein Nachfolger Karl I. trotz einer geballten Öffentlichkeitsarbeit mit Frontbesuchen, Wohltätigkeitsveranstaltungen und huldigenden Vivatbändern nicht ausfüllen konnte. Oder die ambivalente „Nibelungentreue“ zu Deutschland, verherrlicht in zahllosen Marschliedern, Plakaten, Postkarten und sogar auf Tellern, Weckern oder in der Werbung für Cognac.
Sammelt Frauenhaar: das Leben an der „Heimatfront“ Die Ausstellung beleuchtet aber nicht nur das Geschehen an den Fronten und in der Politik, sondern auch den Alltag im Hinterland. Im Zentrum stehen hier die Frauen, die als Schaffnerinnen, Postbotinnen, Zeitungsausträgerinnen und in vielen weiteren Berufen die 8,5 Millionen Männer Österreich-Ungarns ersetzten, die zwischen 1914 und 1918 als Soldaten dienten. Sie waren es, die einen früheren Zusammenbruch verhinderten, indem sie die Kriegswirtschaft mit dringend benötigten Ersatzstoffen versorgten: Kundmachungen riefen sie dazu auf, Maikäfer für die Viehfütterung, Brennesselstengel für die Herstellung von Armeeuniformen oder ausgekämmte Haare für die Produktion von Treibriemen zu sammeln. Und sie waren es auch, denen die Sorge um Haushalt und Kinder anvertraut war. Das bedeutete im Alltag: stundenlanges Schlangestehen, die Zubereitung von Speisen nach „Kriegskochrezepten“ oder die „Befolgung von Maßnahmen zum Schutze der heranwachsenden Jugend vor Verwahrlosung“, wie es auf einem Plakat von 1916 heißt. Kinder, die der Staat vielleicht noch brauchen würde, um sie als Ersatz für ihre gefallenen Väter und Großväter in den endlos erscheinenden Krieg zu schicken. Schon die Jüngsten wurder daher mit patriotischen Kriegsspielen wie etwa Granaten-Puzzles militärisch indoktriniert. Das Ergebnis der pädagogischen Bemühungen zeigt die Ausstellung am Beispiel von Kinderzeichnungen und Schulaufsätzen mit drastischen Titeln wie „Auf welche Weise ich die Engländer besiegen würde“.
Propagandaschlachten: das Ende der großen Illusion Von einem Sieg war man Ende 1918 allerdings weit entfernt. Das Scheitern an der Front und die Verelendung in der Heimat standen in deutlichem Gegensatz zur offiziellen Propaganda des k. u. k. Kriegspressequartiers, das noch immer Kriegserfolge verkündete und Durchhalteparolen ausgab. Bereits mit Kriegsbeginn als Abteilung des Armeeoberkommandos gegründet, sollte es alle Presseund Propagandaaktivitäten Österreich-Ungarns unter Einbeziehung sämtlicher damals verfügbarer Massenmedien koordinieren. Es war eine gigantische PR-Maschinerie, die den Krieg als das größte Ereignis einer Generation inszenierte. Künstler versorgten die illustrierten Blätter mit Schlachtengemälden oder komponierten patriotische Märsche, „embedded journalists“ wie Roda Roda oder Alice Schalek berichteten über die Heldentaten der Soldaten. Mit Kriegsausstellungen, wie jener im Wiener Prater 1916, wurde der Krieg als „Event“ inszeniert, bei dem das Publikum sogar durch eigens ausgehobene Schützengräben flanieren konnte. Selbst die Kinos zeigten zur Unterhaltung Filme wie „Der österreichisch-ungarische Krieg in 3000 Metern Höhe“ oder „Wien im Krieg“, ein, wie es auf dem Plakat heißt, „ernstes und heiteres Zeitbild in 4 Akten“.
Doch sogar die Propaganda musste schließlich vor der Realität kapitulieren. Ein letztes Mal wandte sich ein habsburgischer Kaiser 1918 „An Meine getreuen österreichischen Völker!“, um die „Eintracht der Nationen“ seines Reiches zu beschwören. Zu spät. Die Ausstellung zeigt zum Abschluss das Typoskript der Verzichtserklärung Kaiser Karls, der am 11. November 1918 abdankte. Vier Jahre Krieg und über 600 Jahre Habsburgerherrschaft waren damit zu Ende.
Gedenkjahr 2014: Materialien zum Ersten Weltkrieg Der reich illustrierte Katalog zur Ausstellung „An Meine Völker!“ versammelt neben zahlreichen wissenschaftlichen Beiträgen über die ausgestellten Objekte und ihre Sammlungsgeschichte auch literarische Texte: Zwölf zeitgenössische AutorInnen aus den Ländern und Regionen der ehemaligen Donaumonarchie setzen sich mit dem „Gedächtnisort Erster Weltkrieg“ auseinander und liefern überraschende Momentaufnahmen aus unterschiedlichsten Perspektiven. Dem Thema Erster Weltkrieg widmet sich darüber hinaus eine international besetzte Konferenz: Auf Einladung der Österreichischen Nationalbibliothek diskutieren vom 12. bis 13. Juni 2014 nahmhafte WissenschaftlerInnen über den Erinnerungsraum 1914–2014. Als zentrale Gedächtnisinstitution des Landes bietet die Österreichische Nationalbibliothek aber auch allen Interessierten die Möglichkeit, sich selbst mit Originalquellen aus der Zeit auseinander zu setzen: Über 840.000 Zeitungsseiten aus den Jahren 1914 bis 1918 stehen im digitalen Zeitungslesesaal AustriaN Newspapers Online (ANNO) zur kostenlosen Recherche zur Verfügung. Unter der Webadresse www.bildarchivaustria.at können 38.000 Fotos aus den Alben des k. u. k. Kriegspressequartiers online betrachtet werden; dort sind auch alle Fotos des Fliegerfotografen Franz Pachleitner zu finden. Ab April 2014 sind zudem rund 75.000 digitalisierte Objekte aus den verschiedenen Sammlungen der Österreichischen Nationalbibliothek über die europäische digitale Bibliothek „Europeana“ abrufbar: www.europeana-collections-1914-1918.eu. Und das Web@rchiv Österreich sichert schließlich alle Netz-Aktivitäten zum Gedenkjahr – damit auch in Zukunft gelesen werden kann, wie 2014 über 1914 dachte.
Dienstag – Sonntag 10 – 18 UhrDonnerstag 10 – 21 Uhr
Sommeröffnungszeiten Juni, Juli, August, Septembertäglich 10 – 18 UhrDonnerstag 10 – 21 Uhr
Eintritt € 7,– Ermäßigungen siehe hierKinder und Jugendliche unter 19 Jahren haben freien Eintritt in alle musealen Bereiche.
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