Zum neuerlichen Auftakt der Pinakothek der Moderne im September 2013 lag es nahe, sich Gedanken zu machen über ein übergreifendes Thema, das wirklich ein Zeichen setzt. Und wir sind überzeugt, ein solches Thema gefunden zu haben: Es markiert den Beginn der Moderne. Und dies aus so ungewöhnlicher Perspektive, dass es bisher kaum Beachtung gefunden hat: Nomadenteppiche aus Marokko und die westliche Avantgarde-Kunst des 20. Jahrhunderts – das ist mehr als die Suche nach dem Exotisch-Orientalischen, es ist vielmehr eine Erkundung der Wurzeln der Kunst der Moderne und ihrer verblüffenden Gemeinsamkeiten mit Textilien aus dem Maghreb.“ Florian Hufnagl, Direktor, Die Neue Sammlung – The International Design Museum Munich (Staatliches Museum für angewandte Kunst)Verschiedene Inspirationsquellen der modernen Kunst sind bisher in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt: etwa japanische Farbholzschnitte und Katagami, ostasiatische Keramiken und Möbel, afrikanische Skulpturen und das Phänomen des sogenannten „Primitivismus“. Die marokkanischen Teppiche – eine Kunst von Frauen – warten noch auf ihre Entdeckung mit ihren Wechselwirkungen oder Analogien zur europäischen und amerikanischen Malerei des 20. Jahrhunderts. Marokkanische Nomadenteppiche lassen uns heute an Mark Rothko, Cy Twombly, Josef Albers, Paul Klee oder Kasimir Malevich denken. Im frühen 20. Jahrhundert faszinierten sie Künstler wie Wassily Kandinsky, Le Corbusier und Frank Lloyd Wright. Die Auseinandersetzung mit der islamisch geprägten Kultur Nordafrikas und den Teppichen aus Marokko führt somit zu den Wurzeln für die Kunst der europäischen Avantgarde. Die islamische Bilderfeindlichkeit inspirierte die Berber im Maghreb zu radikaler Abstraktion und einem völlig freien, in unseren Augen modern anmutenden Umgang mit Farben und Formen. In der Ausstellung und im begleitenden umfangreichen Buch stellt sich daher ganz allgemein auch die Frage nach den Grundbedingungen von Kunst, nach ihren Ursprüngen und nach dem Weg zur Abstraktion.
In Zeiten der Globalisierung mit zunehmender Dominanz rein westlicher Vorstellungen einerseits und der Radikalisierung des Islam andererseits besitzt es hohe Aktualität, anhand dieses Themas den Blick auf die geistigen Zusammenhänge und den kulturellen Austausch an einer Schnittstelle zwischen Orient und Okzident zu richten – auch, um in Dialog treten und Perspektiven für die Zukunft entwickeln zu können.
Die Ausstellung der Neuen Sammlung – The International Design Museum Munich – konzentriert sich auf die reichhaltige Sammlung marokkanischer Teppiche aus Besitz des Münchner Architekten Professor Jürgen Adam. Im Lauf von Jahrzehnten hat er während seiner Forschungsarbeit zu den Lehmbauten in Marokko eine der weltweit bedeutendsten Privatsammlungen zu diesem Thema zusammengetragen. Die Ausstellung wird in der Pinakothek der Moderne, München, stattfinden, denn dort können besonders eindrücklich auch die inneren Zusammenhänge zwischen den Kunstgattungen beleuchtet werden, die die Basis für die Konzeption dieses weltweit einzigartigen, Disziplinen übergreifenden Hauses bilden.
Die umfangreiche Publikation ist als maßstabsetzendes Standardwerk angelegt und legt erstmals die Zusammenhänge dar. Das Buch – zweisprachig deutsch und englisch – wird in Kooperation mit Arnoldsche Art Publishers realisiert. Mit aussagestarken Bildtafeln, Vergleichsbeispielen aus dem Bereich der modernen Kunst und einführenden Texten wendet es sich bewusst auch an Nicht-Fachleute, an eine Öffentlichkeit, die sich für moderne Kunst und ihre Ursprünge interessiert, für die Kultur Nordafrikas oder eines „anderen“ Islam und – für die „magiciennes de la laine“, wie man die Berber-Künstlerinnen nennen könnte.
Eine Ausstellung der Neuen Sammlung – The International Design Museum Munich. Unterstützt durch Jan Fischer und PIN. Freunde der Pinakothek der Moderne e.V. Die Publikation entstand mit großzügiger Unterstützung der Ernst von Siemens Kunststiftung.