Mit der Erfindung der Daguerreotypie hat sich die Fotografie in Leipzig schnell etabliert. Bis heute – über 170 Jahre später – kann das Medium nicht nur auf eine reiche Geschichte in der Stadt verweisen, sondern auch auf eine fotografische Produktivität und Vielfalt, die einzigartig ist. In der Ausstellung sind nicht nur die entwicklungsgeschichtlichen Linien von der Daguerreotypie bis zum digitalen C-Print zu sehen. Es werden auch die ästhetischen wie funktionalen Fragen an das Medium, die sich wandelnde Rolle des Fotografen und der Fotografin und das Sammeln von Fotografie in Leipzig reflektiert. „Leipzig. Fotografie seit 1839“ ist zugleich eine Entdeckungsreise in die umfangreichen Leipziger fotografischen Sammlungen. Die zahlreichen Bilder der über 190 ausgestellten Fotografinnen und Fotografen, regen an, über die spezifischen Eigenarten der Fotografie nachzudenken und die ungebrochene Wirkung der Fotografie zu erleben.
Im GRASSI Museum für Angewandte Kunst sind die Anfänge der Fotografie und ihre Entwicklung bis ins frühe 20. Jahrhundert zu sehen. Die rasante Entwicklung der Fotografie zum (Ab)bildmedium des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts wird nachvollziehbar – zum Beispiel am Wandel vom Unikat, der Daguerreotypie, zum Massenprodukt, der unbeschränkt reproduzierbaren Papierfotografie. Seltene frühe Arbeiten von unbekannten Wanderdaguerreotypisten sind ebenso zu entdecken wie die Werke aus Leipziger Fotografenateliers, die sich seit 1842 gründeten. Hervorzuheben ist hier vor allem das Atelier der aus Cottbus gebürtigen Daguerreotypistin Bertha Beckmann, die 1843 nach Leipzig zog und heute als erste Berufsfotografin der Welt gilt. Nach ihrer Heirat 1845 betrieben Eduard und Bertha Wehnert geb. Beckmann ein gemeinsames Atelier, welches Bertha nach dem frühen Tod von Eduard Wehnert 1847 noch 36 Jahre lang erfolgreich führen sollte.
Wie produktiv das Atelier Wehnert-Beckmann war, bezeugen die 3.452 Glasnegative, die sich neben zahlreichen Daguerreotypien und Papierabzügen im Stadtgeschichtlichen Museum und weiteren Leipziger Sammlungen befinden. Neben den Daguerrotypien, Ambrotypien und Ferrotypien sind fotohistorisch bedeutsame Zeugnisse der frühen Papierfotografie ausgestellt. Durch die Einführung der bis heute vertrauten Positiv-Negativverfahren auf Papier konnte sich die Fotografie schnell verbreiten, der Reproduzierbarkeit waren kaum noch Grenzen gesetzt. Ein frühes Beispiel der Popularisierung des noch jungen Mediums sind die Visitkartenporträts – Cartes de visite – die André Adolphe-Eugène Disdéri 1854 in Frankreich patentieren ließ und die weltweit Erfolg hatten. Neben den Porträtaufnahmen sind die zahlreichen Stadtaufnahmen, die die Veränderungen des Leipziger Stadtbildes und seiner Bewohner dokumentieren, zu sehen. Hermann Walter, dessen fotografischer Nachlass weitgehend erhalten geblieben ist, ist für die Dokumentation der Leipziger Baugeschichte von großer Bedeutung. Seine Fotografien sind sowohl wertvolle künstlerische als auch sozial-historische Zeugnisse.
Im Stadtgeschichtlichen Museum sind Fotografien vom Ende des Ersten Weltkriegs bis zum Mauerbau 1961 ausgestellt. Seltene Fotodokumente kommen zur Ansicht. Die rege Bautätigkeit in den 1920er Jahren bot Anregungen für zahlreiche Architekturfotografen wie das Atelier Hermann Walter, Anton Blaschke oder Heinrich Kirchhoff. Das breite Spektrum der Werke des Bauhausfotografen Albert Hennig wird durch sozialdokumentarische Fotografien und durch Stillleben dargestellt. Die Bildwelt der Zeit des Nationalsozialismus ist nur rudimentär überliefert, wird aber anhand einiger herausragender Beispiele vorgestellt.
Für das Ende des Zweiten Weltkrieges steht das berühmte Foto des „Letzten Toten des Zweiten Weltkrieges“ des Amerikaners Robert Capa, der mit den US-Truppen nach Leipzig kam. Aufnahmen von Johannes Widmann, Roger und Renate Rössing, Karl Heinz Mai zeigen auf bewegende Weise die Ruinen in Leipzig und das Leben in der Leipziger Nachkriegszeit. Die Beiläufigkeit und berührende Schlichtheit, mit der Karl-Heinz Mai aus seinem Invalidenrollstuhl heraus unermüdlich Menschen und Alltag in der Nachkriegszeit dokumentierte, macht die besondere Qualität seiner Bilder aus. Von Johannes Widmann befinden sich im Stadtgeschichtlichen Museum 1.877 Negative, die vorwiegend das kriegszerstörte Leipzig zeigen – in menschenleeren Aufnahmen von hoher Präzision und Sachlichkeit. Er lehrte als Leiter und einziger Professor des Instituts für Fotografik seit 1946 an der HGB. Seine Studenten F. O. Bernstein, W. G. Schröter, Volkmar Jaeger, Rosemarie Fret, K. - Heinz Müller sowie Roger und Renate Rössing sind in der Ausstellung vertreten. Ihr Blick auf die Menschen und die Stadt Leipzig zeigt ihr Engagement für einen Neubeginn in der Fotografie nach der nationalsozialistischen Diktatur.
In der Ausstellung gut nachvollziehbar wird W. G. Schröters Interesse für Bewegungen und für die in den 1950er Jahren noch unglaublichen Möglichkeiten der Farbfotografie. Seine Bilder verschafften ihm schnell den Ruf, ein wegweisender Experimentator zu sein.
Der Ausstellungsteil im Museum der bildenden Künste reicht von 1961 bis heute und umfasst ein besonders vielfältiges Kapitel der Fotografie in Leipzig. Nach dem Mauerbau im August 1961 wurden die kulturpolitischen Weichen in der DDR neu gestellt. Sozialistische Aufbauleistungen und der „Sozialstaat auf Pump“ kommen ins Bild. Während die staatlich gelenkten Presseagenturen Durchhalteparolen knipsten, haben eine Vielzahl von Fotografinnen und Fotografen die Auswirkungen der Misswirtschaft ausgiebig dokumentiert und die Arroganz der Macht ins Bild gerückt. Stagnation und allgemeines Unbehagen lassen sich in den Bildern von Magrit Emmrich, Markus Hawlik, Stefanie Ketzscher, Harald Kirschner, Thomas Kläber, Hans-Wulf Kunze, Peter Langner, Ute und Werner Mahler, Florian Merkel, Barbara Metselaar Berthold, Manfred Paul, Karin Plessing, Jens Rötzsch, Thomas Sandberg, Rudolf Schäfer, Michael Scheffer, Gundula Schulze, Erasmus Schröter, Thomas Steinert, Jörn Vanhöfen, Norbert Vogel, Wolfgang Zeyen und vielen, vielen anderen ausmachen.
anderen ausmachen. Dass es zu einer selbstbewussten Entwicklung in der Fotografie kommen konnte, ist nicht zuletzt dem stillen und doch zugleich Augen öffnenden Wirken von Lehrern wie Evelyn Richter und Arno Fischer an der HGB in Leipzig zu verdanken. Arno Fischer leitete 1972 bis 1973 und von 1985 bis 1992 jeweils eine Fachklasse, zu seinen Studenten gehörten Tina Bara, Gerhard Gäbler, Andreas Rost, Susanne Schleyer, Anett Stuth, Maria Sewcz, Peter Thieme und Harf Zimmermann. 1980 begann Evelyn Richter an der Hochschule in Leipzig zu lehren. Sie konnte Studenten wie Peter Oehlmann, Grzegorz Fudala, Christiane Eisler, Marion Wenzel, und Bertram Kober zu eigenständigen Arbeiten motivieren und durch ihre eigene kritische, offene Haltung überzeugen 1990 begann ein Umstrukturierungsprozess an der HGB. Das Engagement von Professoren und künstlerischen Mitarbeitern wie Tina Bara, Joachim Brohm, Florian Ebner, Karin Geiger, Jochen Gerz, Matthias Hoch, Astrid Klein, Christopher Muller, Peter Piller, Timm Rautert und Heidi Specker hat Leipzig neu auf der Weltkarte der Kunst positioniert. In der Ausstellung ist eine große Bandbreite junger Positionen vertreten, die facettenreich die Vielfalt der zeitgenössischen künstlerischen Fotografie darstellen, wie u.a. Laura Bielau, Kerstin Flake, Ulrich Gebert, Falk Haberkorn, Sven Johne, Edgar Leciejewski, Nadine Rüfenacht, Ricarda Roggan, Adrian Sauer, Arne Schmitt, Albrecht Tübke und Tobias Zielony.
Kurator „Leipzig. Fotografie seit 1839“ wird von Christoph Tannert, Berlin, kuratiert. Ihm stehen in den Häusern zur Seite: Christoph Kaufmann/Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Eberhard Patzig/GRASSI Museum für Angewandte Kunst, Dr. Jeannette Stoschek/Museum der bildenden Künste Leipzig.
Unterstützung Die Ausstellung wurde ermöglicht durch die freundliche Unterstützung von: Kulturstiftung des Freistaates Sachsen, VNG-Stiftung, Freundeskreis GRASSI Museum für Angewandte Kunst e.V., Förderer des Museums der bildenden Künste Leipzig e.V., Hieronymus-Lotter- Gesellschaft zur Förderung des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig e.V.
Eintrittspreise | Adressen | Öffnungszeiten Kombiticket zum Besuch aller 3 Ausstellungsteile: Euro 12, ermäßigt Euro 9
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