Mit der Ausstellung Kunst & Textil greift die Staatsgalerie in diesem Frühjahr eine aktuelle Tendenz in der künstlerischen Entwicklung auf. Überall wird in zeitgenössischen Ateliers gehäkelt, gestrickt, gestickt, mit Stoff und anderen bislang eher unüblichen Materialien gearbeitet. Aber wer bei dem Titel der Präsentation nur an Geknüpftes oder Gewebtes denkt, liegt falsch: Die Ausstellung führt eindrücklich vor Augen, was das Textile – gleichermaßen als Material wie als Idee – für die Bildende Kunst bis heute bedeutet.An mehr als 100 Werken von 46 Künstlern, begleitet von Exponaten, deren Schöpfer nicht überliefert sind, wird die Geschichte der modernen Kunst neu lesbar und sinnlich erfahrbar. Das Außergewöhnliche und Reizvolle dieser Präsentation ist neben ihrer historischen Reichweite die multimediale und interdisziplinäre Ausrichtung. Nicht nur Kunstwerke aus Stoff, sondern auch Gemälde, die Stoffe abbilden, und Videoarbeiten sind in der Ausstellung zu sehen.
Die Gegenüberstellung von abstrakten Kunstwerken mit Exponaten, die gewöhnlich in Völkerkundemuseen präsentiert werden, lässt Gemeinsamkeiten kreativer Ideen im horizontalen und vertikalen Raster gewebter Stoffe über Zeiten und Räume erkennen. Meisterwerke von Gustav Klimt bis Henri Matisse, von Joseph Beuys bis Gerhard Richter oder von Anni Albers bis Louise Bourgeois veranschaulichen in diesem Dialog den Ursprung der globalen Kunst. Dergestalt umspannt die Ausstellung Jahrhunderte und verschiedene Regionen der Welt, um zu zeigen, wie das Textile nicht nur unser menschliches Sein bestimmt, sondern vor allem auch ein wichtiger Impulsgeber für die Entwicklung der Moderne war.
Diese von Markus Brüderlin für das Kunstmuseum Wolfsburg konzipierte Ausstellung wurde für die Staatsgalerie Stuttgart in Kooperation der beiden Museen adaptiert. Bewusst haben wir diese zweite, konzentrierte Station der Schau nach Baden-Württemberg geholt. Hier ist die Textilindustrie nach wie vor mit großen wie auch mit zahlreichen kleinen Unternehmen vertreten. Viele textile Herstellungsprozesse und Techniken sind dadurch noch lebendiger als andernorts in Deutschland. Es ist daher besonders reizvoll, deren Auswirkungen auf die Kunst, jenseits des Kunsthandwerklichen, aufzuzeigen.