Mit James Benning. Decoding Fear setzt das Kunsthaus Graz die Auseinandersetzung mit bewegten Bildern im Raum fort, mit der im Rahmen von Ausstellungen wie Videodreams (2004), Diana Thater. gorillagorillagorilla (2009) oder Screenig Real. Conner Lockhart Warhol (2009/10) bereits mehrfach außergewöhnliche Positionen vorgestellt wurden. In einer von Peter Pakesch kuratierten Ausstellung wird nun James Bennings in Österreich bereits sehr bekanntes filmisches Werk zu anderen bildnerischen Aspekten seines Schaffens in Beziehung gesetzt.Der Filmemacher James Benning (*1942 in Milwaukee, Wisconsin, lebt in Valencia, Kalifornien) ist ein aufmerksamer Beobachter. Seine Filme, die in kontemplativen Totalen das Außergewöhnliche in alltäglichen Situationen aufspüren, sind von Präzision und Ruhe geprägt und geben den Blick frei auf (amerikanische) Lebensmodelle, Landschaften sowie Phänomene der Natur und des Menschen. James Bennings Rolle ist dabei die eines Augenzeugen. Fast würde sein Beobachten dokumentarisch wirken, wäre da nicht die mathematische Präzision, die beim Betrachten seiner Filme augenscheinlich wird. Der Bildausschnitt – meist in der Zentralperspektive – ist stets vollkommen ausgewogen, das Zusammenspiel von Bild- und Tonspur exakt, das Motiv im richtigen Moment mit der Kamera eingefangen. Bennings perspektivische Panoramen, die in ihrem Aufbau einer malerischen Tradition verpflichtet zu sein scheinen, werden nur durch bewegliche Objekte gebrochen, die dem Film eine dritte Dimension verleihen: ein Zug, der ins Bild hinein- und wieder herausfährt (RR, 2007, BNSF, 2013), eine zunächst hinter, dann vor der Kamera galoppierende Reiterin, die im nächsten Moment vom Pferd springt, um eine Ziege zu fesseln (El Valley Centro, 1999, aus California Trilogy), ein Gärtner, der seinen Rasenmäher zur Kamera hin und von ihr weg schiebt (Los, 2000, aus California Trilogy), oder Wolken, die sanft durch die statische Aufnahme einer Hütte inmitten einer Waldlandschaft ziehen (Stemple Pass, 2013). Die Inszenierung ist gerade durch diese scheinbar zufälligen Bewegungen perfekt und Bennings Fähigkeit, den richtigen Moment abzuwarten, eine elementare Voraussetzung für die unbestreitbare Poesie, die dessen Filmen innewohnt.
James Benning hegt eine vorsichtige Begeisterung für Technik; bevor er Künstler wurde, studierte er Mathematik, was sein Denken bis heute beeinflusst. Nicht zuletzt deswegen wäre es weit gefehlt, ihn auf das Filmen poetischer Landschaftssituationen zu reduzieren. Bennings Faszination für die Natur ist nicht auf deren Ursprünglichkeit beschränkt, sondern meist sind es menschliche Eingriffe, die ihn an Landschaftsbildern besonders interessieren. Kritik an den Praktiken der Informationsgesellschaft klingt dabei ebenso an wie die Auseinandersetzung mit Mythen, die sich nicht zuletzt in Figuren der jüngeren amerikanischen Geschichte manifestieren. Ganz konkret sind es zwei „Aussteiger“, die den Ausgangspunkt für Bennings Projekte Two Cabins (2011) und Stemple Pass (2012) bilden: der Schriftsteller und Philosoph Henry David Thoreau (1817–1862) und der zwischen 1976 und 1998 als „Unabomber“ bekannt gewordene Mathematiker Theodor Kaczynski. So unterschiedlich die Philosophien und Lebensgrundsätze der beiden auf den ersten Blick erscheinen, es liegen auch Gemeinsamkeiten auf der Hand, die sich nicht auf ein (im Fall Thoreaus mehr oder weniger) zurückgezogenes Leben in einfachen, abgeschiedenen und selbstgebauten Hütten in den Wäldern beschränken.Auch wenn Thoreaus Aufruf zum zivilen Ungehorsam gewaltlos und ausschließlich an seiner eigenen Person festzumachen ist, waren seine Kritik an technologischen Entwicklungen und deren Folgen, seine reformerischen Ideen und sein damit verbundenes zeitweilig zurückgezogenes Leben ein klares Vorbild für den Bombenleger Kaczynski, der es sich nach einer Biografie des mentalen Widerstands zur Aufgabe gemacht hatte, dem technischen Fortschritt durch gezielte Terrorakte und die dadurch erzielte Aufmerksamkeit für sein Manifest Einhalt zu gebieten.
Und wieder scheint James Benning eine beobachtende Rolle einzunehmen: Er reflektiert die Ansichten beider Protagonisten, nimmt im eigentlichen Sinn ihre Blickwinkel (nämlich die Perspektive aus den Fenstern der beiden Hütten) ein, ohne dabei zu werten oder eine offenkundige Position zu beziehen. Verwoben mit einer Vielzahl an Gegenständen, Nachbauten und malerischen oder typografischen Reproduktionen – die Benning akribisch von Vorlagen, die in der Kaczynski-Hütte aufgefunden wurden, kopiert hat – ergibt die Zusammenschau von Filmen, Objekten und Installationen eine Geschichte, die sich in gegenübergestellten Paaren darstellt und ebenso doppeldeutig lesen lässt. Auf einer anderen Ebene erfährt die omnipräsente und immer mehr im Unbewussten stattfindende Vernetzung durch neue Technologien – die unaufhaltsam gläserne Menschen erzeugt und Geheimdiensten ebenso wie der Industrie eine Flut an Informationen über uns preisgibt – durch Benning in Form von Eisenbahnzügen, die, wie Thoreau richtigerweise darstellte, erstmals die Welt physisch synchronisierten und damit Raum und Zeit in einer zuvor nicht gekannten Weise kontrollierbar gemacht haben, eine metaphorische Analogie.Alles in allem zeigt die Ausstellung die Bedeutung der Aussagen dieses Filmemachers mit seinem scheinbar so zeitlosen Werk gerade für die heutige Zeit, die von technischen Möglichkeiten – im positiven wie im negativen Sinn – geprägt ist. Ihr thematisch weitgefasster Bogen reicht nicht zuletzt in zwei weitere Ausstellungen des Universalmuseums Joanneum hinein: Matheliebe im Naturkundemuseum macht Mathematik, die in Bennings Werk eine zentrale Rolle einnimmt, anhand von Beispielen aus der Natur und dem Alltag sinnlich fassbar. Die zweite Spur führt nach Schloss Trautenfels, wo 2014 ein abwechslungsreicher Parcours gezeigt wird, der den Wald unter anderem als Inspiration für Kunst und Kultur sowie in seiner mythenbildenden Funktion vorstellt.