Alba D’Urbano Jackenkleid „Il Sarto Immortale“, Leipzig, 1999, Vorder- und Rückansicht Eigentum der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen Foto: Maria Thrun Alba D’Urbano Jackenkleid „Il Sarto Immortale“, Leipzig, 1999, Vorder- und Rückansicht Eigentum der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen Foto: Maria Thrun - Mit freundlicher Genehmigung von: mkg

Was: Ausstellung

Wann: 07.06.2013 - 13.10.2013

Ein Mantel mit vier Ärmeln, ein Kleid wie ein Schlangengrube, Anzüge, bedruckt mit nackter Haut oder Ziegelsteinen – das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MKG) zeigt Mode, die vor allem performativ und nicht immer tragbar ist. Mit rund 55 Modellen von Designer-Ikonen wie Rei Kawakubo, Martin Margiela, Alba d’Urbano oder Iris van Herpen und Videoarbeiten lenkt die…
Ein Mantel mit vier Ärmeln, ein Kleid wie ein Schlangengrube, Anzüge, bedruckt mit nackter Haut oder Ziegelsteinen – das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MKG) zeigt Mode, die vor allem performativ und nicht immer tragbar ist. Mit rund 55 Modellen von Designer-Ikonen wie Rei Kawakubo, Martin Margiela, Alba d’Urbano oder Iris van Herpen und Videoarbeiten lenkt die Ausstellung den Blick auf Mode, die das Innere nach außen kehrt und Oberflächen aufbricht. Die Spielarten der rund 30 gezeigten Designer sind vielfältig: Die Entwürfe verfremden die menschliche Silhouette wie die 2D-Kleider des japanischen Avantgardelabels Comme des Garçons, die die Körperdimensionen mit scheinbar übergroßen geometrischen Kleidern sprengen. Sie benutzen ihn als Projektionsfläche wie Henry Gordon, der ein Kleid durch einen Aufdruck zum Poster Dress macht, oder täuschen das Auge des Betrachters mit Camouflage- oder Tierfellmustern. Designer wie Martin Margiela orientieren sich an Kunstströmungen wie der Arte Povera und machen die Konstruktion der Kleidungsstücke sichtbar mit nach außen gestülpten Nähten und offenen Säumen. Andere spielen mit dem Ver- und Enthüllen des Körpers. Ein elastische Schlauchkleid des französischen Produktdesigners Philippe Starck beispielsweise zeichnet die Körperkontur exakt nach, während die raffinierten Schnitttechniken anderer Designer dokumentieren, wie unterschiedlich man das jeweils herrschende Schönheitsideal umsetzen kann. „Inside Out“ fasst diese Positionen, die sich an sich selbst oder am menschlichen Körper „abarbeiten“, in vier Kapiteln zusammen: Simulation, Enthüllung, Verfremdung und Verformung. Historische Modelle geben außerdem einen Einblick in die Wechselwirkungen von Innovationen, Wiederholungen und Zitaten in der Geschichte der Mode und zeigen, wie sich Designer mit Vorhandenem auseinandersetzen.

SimulationKleidung kann mittels Oberflächengestaltung suggerieren, zitieren oder vortäuschen, etwas anderes zu sein. Das Snake Dress der Niederländerin Iris van Herpen repräsentiert eine solche Entwicklung, die von der herrschenden Mode abweicht. Wie Tentakel, die sich um den Körper winden, quellen flexible Röhren aus dem kurzen Kleid, das schuppen-artig mit transluzenten schwarzen Folienstreifen besetzt ist. Spielerisch überschreitet die gefeierte Newcomerin die Grenzen zwischen Kleid und Skulptur, zwischen Mode, Kostüm und Objekt.

Computergestützte Bildbearbeitungs- und Druckverfahren geben textilen Flächen Anmutungen, die von der Form des Kleidungsstücks sowohl unterstützt als auch konterkariert werden können. Die Mode der Pop-Ära griff in den 1960er und 1970er Jahren die Werbeästhetik auf und machte Kleidung selbst zum Träger von Botschaften. In einen neuen Kontext oder auf ein neues Medium gesetzt, entstehen neue Zusammenhänge und Assoziationen. Der amerikanische Grafiker Harry Gordon machte beispielsweise 1968 das Fotomotiv Mystique Eye zum Poster Dress. Es lenkt den Blick des Betrachters vom Kleid weg- und hin zum Motiv des lockenden Blicks.

Das Trompe-l'œil, die Kunst der Illusion, ist ein wiederkehrendes Thema in der Konzeptmode von Maison Martin Margiela. 1996 wurden beispielsweise Kleidungsstücke mit Fotografien anderer Kleidungsstücke bedruckt. Original und Kopie sind nicht voneinander zu trennen, weniger noch, wenn eine Neuauflage für den Modehersteller Hennes & Mauritz von 2012 dazu kommt. Die Ausstellung stellt beides nebeneinander und hält noch weitere optische Täuschungen bereit. Im weiteren Sinn gehört zum Trompe-l’œil auch das (Ver-)Kleiden in fremden Häuten, das seit jeher große Anziehungs-kraft ausübt. Fellimitationen und „Animal Prints“ werfen ein Schlaglicht auf diesen besonders klischeebehafteten Bereich der Mode, dessen Variationen unbegrenzt erscheinen und die seit Jahrzehnten Bestandteil nahezu jeder Saison sind. In einer kurzen Videosequenz inszeniert der niederländische Künstler und Textildesigner Bart Hess etwa Zwitterwesen aus Mensch und Tier.

EnthüllungWährend Kleider aus durchscheinenden Materialien erotisch erscheinen, kann entblößte Haut unter zerrissener oder aufgeschlitzter Kleidung eher verstörend wirken, so wie die Modelle von Bernhard Willhelm. In den seltensten Fällen wird der unmittelbare Blick auf intime Körperstellen freigegeben, vielmehr wird die Vorstellung von Blöße erzeugt. Das Spiel mit der Transparenz, das seit der Französischen Revolution periodisch wiederkehrt, illustriert eine Gruppe transparenter, überwiegend weißer Kleider. Darüber hinaus gewähren transparente Kleidungsstücke zwangsläufig Einblicke in ihre eigene Konstruktion und eignen sich daher wenig als Versteck von Pölsterchen oder für Tricks zur Optimierung von Kleid oder Figur.

Eine besonders innige Verbindung gehen Körper und Kleid in stark figurbetonender Garderobe ein. Die Entwicklung elastischer Fasern ermöglicht es, Kleidungsstücke auf die Haut zu modellieren, ohne auf Maßanfertigungen angewiesen zu sein. Eine Gegenüberstellung von Kleidung aus den letzten fünf Jahrzehnten zeigt diese Entwicklung und den unterschiedlichen Umgang mit der jeweils herrschenden Vorstellung vom idealen Frauenkörper. Während die Stretchkleider des Designers Azzedine Alaïa den Körper trotz flexiblem Material eher modellieren, passen sich die Schlauchkleider, die Philippe Starck für die Marke Wolford kreierte, dem Körper bedingungslos an.

VerfremdungSeit den 1980er Jahren durchbrechen avantgardistische Designer die vorherrschende Ästhetik des Neuen und Perfekten mit ihren Entwürfen. Sie folgen anderen Gestaltungsprinzipien und sind beeinflusst von Kunstströmungen und der Jugendkultur wie die Arte Povera und der Punk. Auch greifen sie zurück auf Ideen, die in Notzeiten wie jene nach dem Zweiten Weltkrieg entstehen. Die aus Resten zusammengesetzten Kleidungsstücke wirken oft überraschend modisch. Ein zusammengesetzter Trenchcoat mit vier Ärmeln von Martin Margiela ist das Ergebnis dieses neuen Gestaltungsprinzips.

Als zur gleichen Zeit Nähte nach außen gekehrt, Säume nicht mehr geschlossen und Taschenbeutel oder andere Elemente aus dem Innenleben von Kleidung zur Schau gestellt werden, wird der aus der Kunst und Philosophie entlehnte Begriff Dekonstruktion erstmals auch auf Mode angewendet. Auch die außergewöhnlich farbstarken Modelle aus Filz von Rei Kawakubo (Comme des Garçons) unterscheiden sich diametral von den herkömmlichen Entwürfen anderer Designer. Die flachen, geometrischen, übergroßen Formen, die sie für die Wintersaison 2012/2013 entwirft, scheinen vom Körper abgekoppelt zu sein und entfalten doch eine überraschende Eleganz, wenn sie getragen werden. Ins Überdimensionale aufgeblasene Punktmuster, Rosenblüten, Camouflage- oder Raubtierdrucke persiflieren gängige Stoffdessins.

VerformungKleidung manipuliert die natürlichen Körperformen beider Geschlechter, besonders aber die der Frau. Das führt dazu, dass sie die Bewegungsfreiheit der Trägerin mitunter erheblich einschränkt. Aktuelles Modedesign greift immer wieder historische oder kulturelle Referenzen auf und verarbeitet sie zu neuen, gelegentlich extremen Formen. Historische Beispiele in der Ausstellung zeigen verschiedenen Verformungen des Körpers durch Kleidung: Die Überformung von Schulterlinie und Ärmeln bei einem Sommerkleid mit Keulenärmeln von ca. 1825, die ein Einengung von Oberkörper und Taille durch Schnürung mit einem Mieder, (18. Jh.), die Betonung des Gesäßes mit Hilfe einer Tournüre (um 1880) oder die Einschnüren durch Kleider mit langen, sehr engen Röcken. Eine aktuelle Interpretation und Zuspitzung des Themas „bis zur Bewegungsunfähigkeit schön“ ist ein Kleid aus der Sommerkollektion 2012 von Comme des Garçons. Ein elastischer Schlauch verpackt die Trägerin nahezu vollständig und lässt nur Öffnungen für Gesicht und Füße zu, für die Hände gibt es lediglich zwei Öffnungen in Hüfthöhe.

Videoarbeiten ergänzen die gezeigten Mode-Objekte. Das Video Divina und das Haut-Kleid aus dem Projekt Il sarto immortale (1999) der italienischen Künstlerin Alba D’Urbano verdeutlichen beispielsweise die Ambivalenz von Kleidung und Körper. Das Innere ist nach außen gekehrt. Kleid und Jacke werden zum Abbild des unbekleideten Frauenkörpers und bekommen in ihrer ungeschönten Nacktheit etwas sehr Verletzliches.

Designerinnen und Designer: AF Vandevorst; Azzedine Alaïa (*um 1940); AwA Belgian Design Studio; Walter van Beirendonck (*1957); Bless | Desiree Heiss (*1971), Ines Kaag (*1970); Comme des Garçons | Rei Kawakubo (*1942); Roberta di Camerino | Giuliana Coen Camerino (1920-2010); Bart Hess (*1984); Hussein Chalayan (*1970); John Galliano | Bill Gaytten (*1960); Gianfranco Ferré (1944-2007); Iris van Herpen Haute Couture | Iris van Herpen (*1984); JOOP! | Wolfgang Joop (*1944); Milan Knižak (*1940); Fridtjof Linde (*1977); Maison Martin Margiela | Martin Margiela (*1957); Maison Martin Margiela für Hennes & Mauritz; Alexander McQueen (1969-2010); Meadham Kirchoff | Edward Meadham, Benjamin Kirchhoff; Moschino | Rosella Jardini (*1952); Sibilla Pavenstedt (*1965); Poster Dress 1st Edition | Harry Gordon (1930-2007); Gareth Pugh (*1981); Simone Rocha (*1986); Heinz Schulze-Varell (1907-1985); Alba D’Urbano Couture | Alba D’Urbano (*1955); Vivienne Westwood Man | Vivienne Westwood (*1941); Bernhard Willhelm (*1972); Wolford | Philippe Starck (*1949)

Das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg dankt der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen für die herausragenden Neuerwerbungen, durch die diese Ausstellung realisiert werden konnte.

Maison Martin Margiela Abendkleider für H&M, Paris, Frühling/Sommer 1996, Rückansicht Eigentum der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen Foto: Maria Thrun Maison Martin Margiela Abendkleider für H&M, Paris, Frühling/Sommer 1996, Rückansicht Eigentum der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen Foto: Maria Thrun - Mit freundlicher Genehmigung von: mkg / Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
Tags: Anzüge, Hamburg, Kleider, Mode, Model

Öffnungszeiten: Di – So 10 – 18 Uhr, Do 10 – 21 UhrEintrittspreise: 10 € / 7 €, Do ab 17 Uhr 7 €, bis 17 Jahre frei