Das Original hat es schwer, besonders schwer in einer Zeit, in der detailgetreue Imitationen präzise und nahezu ohne zeitlichen Aufwand hergestellt werden können. Die Welt der schamlos billionenfach gefälschten Markenware, die Welt der 3D-Drucker, die Analogkäse-Welt, diese Welt scheint eine einzige große Beleidigung für das Original zu sein. Als verfolgte die globalisierte Massenproduktion das ausdrückliche Ziel, das Original kränken zu wollen. Doch Imitationen sind in Wahrheit eine einzige große Verbeugung vor dem Original. Je perfekter sie das Original imitieren, desto eher kommt in der Imitation der große Respekt zum Tragen, der dort dem Original entgegengebracht wird. Jede Imitation trägt die Inschrift: EINE WELT OHNE DICH IST UNDENKBAR. AUF DASS ALLE EIN RECHT AUF DICH BEKOMMEN! MADE IN BANGLADESH.Noch deutlicher, noch herzlicher und inniger ist die Beziehung zwischen dem Original und zwei weiteren Formen seiner vermeintlichen Beleidigung. Da wäre zum einen die PARODIE. Auch hier sind die Beschützer des Originals unerbittlich, wenn es um die Ehrenrettung ihrer Schützlinge geht. So wenn, wie vor kurzem, ein dänischer Lokalpolitiker zu Wahlkampfzwecken den Gangnam-Style nachtanzt, das Video auf Youtube stellt und von Universal wegen Urheberrechtsverletzungen auf 32.000 € geklagt wird. Aber ist das Nachtanzen hier nicht viel mehr als Parodie und Imitation? Ist es nicht letztlich eine Ode, im wahrsten Sinne des Wortes ein LOBLIED auf das Original, wenn ihm, wie in diesem Falle, zugestanden wird, über den Unterhaltungswert hinaus die Kluft zwischen politischer Klasse und Wählern zu überbrücken, Politikverdrossenheit zu „heilen“? Ähnlich verhält es sich in der Beziehung von Original und GEGENENTWURF. Sind abstrakte Ausdrucksformen nicht immer eine beinahe pubertäre Ablehnung der elterlich-figurativen? Denkt nicht jeder Marxist im Grunde viel mehr über die Grundstrukturen des Kapitalismus nach, als ein Fondsmanager? Wer beschäftigt sich so intensiv mit Fleisch wie Vegetarier? Gegenentwürfe schielen immer mit mindestens anderthalb Augen auf das Original. IN UNBEABSICHTIGTER WEISE ERRICHTEN SIE DEM ORIGINAL SEIN DENKMAL.
Wenn Imitation, Parodie und Gegenentwurf dem Original huldigen, was bleibt dann noch als Option im Umgang mit dem Original? Die OFFENE Huldigung? Wenn das Original GERADE WEGEN seiner Imitationen, GERADE WEGEN der endlosen Beleidigungen, GERADE WEGEN der unfassbaren Größe der Stückzahlen, in denen es scheinbar zu Tode kopiert wird, fester im konzeptionellen Sattel sitzt als je zuvor, ist es dann überhaupt in Gefahr? Vermutlich ist der einzig gangbare Weg ein viel schonungsloserer Umgang mit der Kritik am Original. Der radikalste ist die MIESE Fälschung, das unbeholfene Umarmen, doch nicht des Originals, sondern seines ZWECKES. In diesem Sinne ist die radikalste Kritikerin des Originals Cecilia Giménez, die ältere spanische Dame, die vor nicht allzu langer Zeit in Eigenregie ein schlecht erhaltenes Originalfresko, ein Porträt Jesu Christi, VERSCHÖNERTE. Hier gibt es nichts unter Anführungszeichen zu setzen. ICH MAG Jesus und schöne Bilder von ihm—Original hin oder her. ICH MAG Glitzerzeug: deshalb trage ich voller Stolz meine Tasche auf der für jeden sichtbar steht: Louis Voitton, Pradah, Gucchi. Original hin oder her. Fran Osrecki
Eva Seiler, geboren 1979 in MünchenSteffi Alte, geboren 1980 in Oranienburg