Der Hamburg-Teil porträtiert den Kreativstandort an der Elbe. Hamburg beheimatet eine vielfältige und lebendige Comic-Szene mit Verlagen, Läden, Galerien und Kultureinrichtungen, die sich über den gesamten Stadtraum verteilt. Der eigens für die Ausstellung entworfene Comic-Stadtplan von Verena Braun kartographiert diese verschiedenen Akteure auf spielerische Weise und vermittelt so einen Überblick auf das Geschehen. Parallel fängt eine großformatige Projektion Hamburg, seine bekannten Sehenswürdigkeiten und versteckten Winkel, aus Sicht der Comickünstler/innen ein. Hinzu kommen Originalzeichnungen von namhaften Hamburger Zeichner/innen wie Isabel Kreitz, Arne Bellstorf, Philip Cassirer und Sascha Hommer, die Einblick geben in den Entstehungsprozess von Comics und Graphic Novels. Bezogen auf das Thema Ausbildung nimmt die Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) nicht nur innerhalb Hamburgs sondern bundesweit eine herausragende Stellung ein. Comicleben_comiclife stellt aktuelle Arbeiten der Comic-Klasse von Prof. Anke Feuchtenberger vor und dokumentiert mit einem Tableau aus Comic-Titelseiten die bereits erfolgreich publizierten Werke verschiedener Absolvent/innen der HAW.
Die sechs biografischen Perspektiven auf das Thema Comic
Cosplay ist ein internationales Phänomen mit vielen unterschiedlichen Ausprägungen und Szenen. Während bei ameri-kanischen Conventions, wie der Dragon Con in Atlanta, hauptsächlich Fans von Superhelden, Science Fiction und Fantasy in ihren spektakulären Verkleidungen erscheinen, zieht die Veranstaltung Connichi im nordhessischen Kassel
vor allem Publikum aus den Bereichen Manga und Anime an. Bereits seit 2003 werden auf der traditionsreichen Leipziger Buchmesse die besten Cosplayer ausgezeichnet, ihre Inspiration beziehen sie größtenteils aus Mangas und Computerspielen.
Nicole S.: Cosplayerin / Manga: In Japan sind Comics (jap. Manga) selbstverständlicher Teil der Kultur. Sie werden von allen Altersgruppen gelesen. Nicoles Begeisterung für japanische Comics begann wie bei vielen Mangafans in Deutsch-land mit den japanischen Trickfilmen (jap. Animes) Sailor Moon und Dragon Ball. Später kaufte sie die gedruckten Mangas, die Verlage wie Carlson seit 1997 im japanischen Leseformat - von hinten nach vorn und von rechts nach links - verlegen. Mit der Manga-Fankultur entstand auch die Cosplay-Szene. Im Cosplay (engl. costume play, Kostümspiel) finden Anime und Manga zusammen. Cosplayer schlüpfen in die Rollen ihrer Manga-Helden, inszenieren Abenteuer. Sie treffen sich bei Manga-Conventions, auf Comic- und Buchmessen und auf Japanfesten. Dort treten sie manchmal in Bühnenwettbewerben auf. Inszenierung ist auch ein wichtiger Aspekt der beliebten Fotoshootings von Cosplayern und Sammlern von „BJD’s“ (Kugelgelenkpuppen in Manga-Ästhetik). Die Bilder werden anschließend auf speziellen Inter-netplattformen gezeigt und kommentiert. Inszenierung, Interaktion und ständige Kommunikation sind ein Wesenszug der national und international gut verknüpften Manga-, Cosplay- und BJD-Szene. Nicole S. ist in allen zu Hause.
Webcomics: Webcomics sind Comics im Internet. Auch wenn sie Printcomics in der Ästhetik häufig ähneln, unterliegen sie jedoch anderen Bedingungen ihrer Gestaltung und Veröffentlichung. Digitale Daten kennen keine papiernen Grenzen, dafür aber neue Gestaltungsmöglichkeiten. So erlaubt das Konzept der infinite canvas (engl., unendliche Leinwand) es, ein Comic an jeder beliebigen Stelle anzufangen und in alle Richtungen beinahe unendlich weiterzu-zeichnen. Technische Gimmicks wie Soundeffekte, wechselnde Farben und bewegte Bausteine erweitern den Comic. Zusätzliche versteckte Inhalte wie ein Kommentar werden erst sichtbar, wenn man mit der Maus über das Bild fährt (sog. mouse-over). Ständig entstehen neue Varianten mit verschiedensten technischen Spielereien. Die andere Besonderheit: Webcomic-Autoren können ihre Comics ohne einen Verlag direkt im Internet veröffentlichen. Es entstehen keine Verlags- und Druckkosten. Verlagsprofile und Wirtschaftlichkeit spielen keine Rolle mehr für die Themenwahl. Dadurch finden auch Nischenthemen ihr Publikum. Die Webcomics erreichen ihre Zielgruppe durch das Verschicken eines Strips per E-Mail, Verlinken und Besprechen in sozialen Netzwerken, oder durch Abonnieren des Lieblingscomics per App auf dem Mobiltelefon.
Dirk Rehm – Verleger/Autorencomic: 1991 gründet Dirk Rehm seinen eigenen Comicverlag Reprodukt. Mit ihm will er dem alternativen Comic und dem Autorencomic in Deutschland mehr Raum schaffen. Der alternative bzw. Under-ground-Comic entsprang den 1960er-Jahren in den USA. Comicautoren wie Robert Crumb brachen mit den üblichen Stilen und Themen der Mainstream-Comics. Mit ihren im Eigenverlag publizierten in Inhalt und Zeichenstil individu-ellen, alternativen Comics wurden sie zum Sprachrohr und Vorbild einer neuen Generation, auch in Westeuropa. Die ersten Autoren die Dirk Rehm verlegt, repräsentieren mit Love and Rockets von Los Bros Hernandez oder Eightball von Daniel Clowes die sog. New Comics aus den USA. Diese neue Autorengeneration ist stark vom Lebensgefühl des Punk geprägt. Rehm schätzt die unverwechselbare Handschrift und einzigartige Ästhetik diese Autorencomics. Sie sucht er, wenn er europaweit, aber auch in den USA, nach Talenten Ausschau hält. Dafür ist das größte europäische Comicfestival in Angolêm, Frankreich ein wichtiger Ort. Heute veröffentlicht Reprodukt ca. 40 Comicbücher jährlich. Vor allem die Graphic Novels der letzten Jahre tragen zum wachsenden Erfolg von Reprodukt bei.
Carsten Laqua – Galerist/US-amerikanische Comicklassiker: Carsten Laqua ist Comichändler und Comickenner. Seine besondere Liebe gilt den Anfängen der US-amerikanischen Comics. Zu ihnen gehören die ab dem Ende des 19. Jahrhunderts in Wochenzeitungen abgedruckten Comicstrips und farbigen Comic-Sonntagsbeilagen. Sie haben die Vorstellung vom Comic als der Bildgeschichte mit der Sprechblase auch in Europa bis heute entscheidend und nachhaltig geprägt. Carsten Laquas liebste Figuren sind die Ikonen der US-amerikanischen Zeichentrickfilm – und Comicgeschichte Micky Maus (*1928) und Donald Duck (*1934) sowie der hierzulande weniger bekannte Pogo (*1942). Mit Micky Maus begann seine Begeisterung für die Bildgeschichten. Als junger Erwachsener und Hausbesetzer faszinierten ihn dann die rebellischen alternativen Comics aus den USA: Underground-Comics von Robert Crumb, Bill Griffith und Gilbert Shelton sowie Autorencomics von Moebius (Jean Giraud) und Gottlieb. Seit dreißig Jahren handelt
er mit Comics. Erst auf dem Wochenmarkt in Westberlin, heute über das Internet. Seine Galerie Laqua versorgt eine internationale Kundschaft mit einem breiten Angebot. Dazu gehören vor allem Originalzeichnungen, antiquarische Comics, Plakate und die Zeugnisse der frühen US-amerikanischen Comickultur wie Disneyana.
Ulli Lust – Künstlerin/Graphic Novel: Seit 1995 lebt und arbeitet die österreichische Zeichnerin Ulli Lust in Berlin. Ihre Comics fangen das alltägliche Leben ein: Aus der genauen Beobachtung ihrer Umgebung und aufgeschnappten Gesprächsfetzen entstehen Comicreportagen, die dem Betrachter Bekanntes in neuem Licht vorführen und den Blick für den flüchtigen Moment schärfen. Ihren Durchbruch feierte sie mit der autobiografischen Graphic Novel Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens (avant-verlag, 2009). Auf über 460 Seiten erzählt Lust darin, wie sie mit 16 Jahren von zu Hause fortläuft. Es wird der schonungslose Bericht einer abenteuerlichen Reise von zwei freiheitsliebenden und naiven Punkmädchen, die ohne Geld, Gepäck und Ziel durch Italien trampen. In Deutschland als Sensation gefeiert wird das Buch 2011 auf dem bedeutendsten Comicfestival Europas in Angoulême, Frankreich mit dem Prix Révélation ausgezeichnet. Der von Will Eisner geprägte Begriff „Graphic Novel“ (dt. „Comicroman“) bezeichnet Bildgeschichten, die sich in ihrer Komplexität von klassischen, kürzeren Comics unterscheiden. Er dient dazu, Vorurteile gegenüber der Kunstform „Comic“ abzubauen und signalisiert, dass auch sie anspruchsvolle Inhalte von literarischer Qualität transportieren können.
Marko Djurdjevic – Künstler/Superheldencomics: Marko Djurdjevic ist einer der erfolgreichsten Zeichner von Covern für Superheldencomics. Das erste, 1938 veröffentlichte Superman-Heft begründete dieses Comic-Genre. Die Protagonisten sind muskulöse Männer und Frauen, die mit besonderen Fähigkeiten ausgestattet gegen das Böse ankämpfen. Sie sichern den Verlagsgiganten der US-amerikanische Comicindustrie Marvel und DC Umsatzzahlen im zweistelligen Millionenbereich. Marko Djurdjevic kreierte über 300 Titelblätter für Marvel. „Draw or Die!“ (Zeichne oder Stirb!) lautet das Motto des Autodidakten mit deutsch-serbischen Hintergrund. Seine Cover basieren auf Bleistiftskizzen, die er am elektronischen Zeichenbrett weiterbearbeitet und in digitale Kunstwerke umwandelt. Er spielt mit Perspektiven, Emotionen, der Ausgestaltung von Licht, Schatten und Volumina. 2011 löst er seinen Exklusivvertrag mit Marvel auf, auch um sich als Künstler neu zu orientieren. Nach Zwischenstationen in den USA lebt und arbeitet er heute in Berlin. Mit seiner Firma SIXMOREVODKA realisiert er jetzt vor allem die künstlerische Gestaltung von Computerspielen und die Entwicklung neuer Charaktere.
Dietrich Grünewald – Wissenschaftler/Geschichte der Bildgeschichte: Dietrich Grünewald ist Professor für Kunstdidaktik. Sein Blick auf den Comic ist der eines analytischen Wissenschaftlers. Obgleich seine Kindheit in die Zeit der Schmutz- und Schunddebatte fällt, begeistert er sich bereits damals für Comics. Die Debatte basiert auf der Studie des deutsch-amerikanischen Psychiaters Fredric Wertham (1895–1981), der Comics pauschal als gewaltverherrlichend diffamierte. Die Studentenbewegungen der 1960er-Jahre und die damit einhergehende Liberalisierung kommen Grünewald als Germanistik- und Kunstwissenschaftsstudent entgegen. Er beginnt, sich wissenschaftlich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Als Dozent und später Professor kämpft er für den Comic als Forschungsgegenstand und veröffentlicht mehrere Bücher zum Comic und seiner Entstehungsgeschichte. Diese reicht von den Bildergeschichten Wilhelm Buschs und Rodolphe Töpffers, über die Bilderbogen und Bänkelbildern des 19. Jahrhunderts zurück bis zu mittelalterlichen Handschriften, die Bild und Text kombinieren. Besonders die Leerstellen zwischen den einzelnen Bildern faszinieren den Analytiker Grünewald. Je länger der dadurch markierte zeitliche oder räumliche Abstand ist, desto mehr Interpretationsarbeit wird vom Leser verlangt. Er füllt diese Zwischenräume mit Handlung – und wird so zum Co-Autor.
Der Comicstandort Hamburg
1867 als Gewerbeschule gegründet, entwickelte sich die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) seit den 1950er Jahren erst zur Meister- und später zur Fachhochschule im Bereich Gestaltung. Angesiedelt zwischen Grafik, Illustration und Design, entsteht eine Bildungseinrichtung, die inzwischen eine führende Position in der Ausbildung von Comic-Schaffenden in Deutschland einnimmt. Als einzige Hochschule in Deutschland bietet die HAW den Studiengang Illustration an, dessen Spektrum von „Informativer Illustration“ über „Kinderbuchillustration“ und „Medienillustration“ bis zu „Comics und Zeichnen“ reicht. Im Zuge der Ausbildung experimentieren die Studierenden
mit verschiedenen künstlerischen Methoden und Stilen und entwickeln einen eigenen künstlerischen Ausdruck. Besondere Bedeutung kommt den Abschlussarbeiten zu, die den Einstieg in den Comic-Markt bedeuten können. Eine Schlüsselfunktion bei der Ausbildung junger Kreativer nimmt Anke Feuchtenberger ein, die selbst künstlerisch tätig ist und als stilprägende Protagonistin der europäischen Comic-Avantgarde gilt. Sie hat zahlreiche Bücher veröffentlicht und wurde 2008 als „Beste deutschsprachige Comic-Künstlerin“ mit dem Max-und-Moritz-Preis des Internationalen Comic-Salons Erlangen ausgezeichnet. Seit 1997 lehrt Anke Feuchtenberger als Professorin für Zeichnen und Illustration an der HAW und hat mehrere, erfolgreich publizierende Comic-Künstler_innen ausgebildet. Unter dem Titel „Aus dem Leben eines Zaunkönigs. Tiere in Bildgeschichten 2013“ präsentiert die Comic-Klasse von Anke Feuchtenberger Arbeiten aus verschiedenen Stadien des kreativen Prozesses. Obwohl den Werken unterschiedliche Materialien und Arbeitsweisen zugrunde liegen, verbindet alle das Motiv des Tieres, das in jeder der Arbeiten grafisch und erzählerisch ausgestaltet wird. Tiere als klassische Figuren des Comics erfahren dabei eine künstlerische Aufarbeitung und Neuinterpretation, abseits traditioneller Bildformen und Klischees.
Die Ausstellung wurde im Museum Europäischer Kulturen – Staatliche Museen zu Berlin in Zusammenarbeit mit dem Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin entwickelt. Die Adaption für die Hamburger Station entstand in Kooperation mit der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg und.
Die Hamburger Station der Ausstellung wird kuratiert von Dennis Conrad und Simon Klingler.
Öffnungszeiten: Di – So 10 – 18 Uhr, Do 10 – 21 UhrEintrittspreise: 10 € / 7 €, Do ab 17 Uhr 7 €, bis 17 Jahre frei
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