Jedes Jahr vergibt der Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im BDI den renommierten »ars viva«-Kunstpreis. 2010/2011 stand er unter dem Motto »Labor« und wurde an Nina Canell, Klara Hobza, Markus Zimmermann und Andreas Zybach verliehen. Die mit dem Preis verbundene Werkschau der vier jungen Künstler wird nach Chemnitz und Istanbul nun abschließend von 18. Juni bis 23. Oktober im Kunstmuseum Stuttgart zu sehen sein. Für diese letzte Station haben die Künstler größtenteils neue Arbeiten ge- schaffen und rund 50, zum Teil raumgreifende Werke und Installationen für die ersten beiden Etagen des Ausstellungskubus konzipiert. Ergänzend bietet ein vom Kunstmuse- um konzipiertes Vermittlungsprogramm den Besuchern eine Fülle von Informationen zu den gezeigten Künstlern und dem Thema Wissenschaft und Labor. Das Labor – der diesjährige ›Suchbegriff‹ des »ars viva«-Preises – ist der klassi- sche Arbeitsort des Naturwissenschaftlers; hier werden durch Experimente Er- kenntnisse über die physische Seite unserer Welt gewonnen. Seit dem 19. Jahrhun- dert bestimmen die Naturwissenschaften den Diskurs über das, was Wirklichkeit ist, und lösen zuvor gültige Paradigmen wie die Religion ab. Dieser kulturell prägenden Dominanz tragen auch Künstler Rechnung, indem sie naturwissenschaftliche Verfah- rens- und Denkweisen übernehmen, kommentieren oder auch ein Gegenbild dazu aufbauen.
Die vier preisgekrönten Künstler arbeiten auf unterschiedliche Weise in einem ›künstlerischen Labor‹: Die Arbeiten von Nina Canell wirken oft wie Versuchsanord- nungen. In einer Schale wird Wasser utraschallvernebelt, um in der Nähe gelagerten Zement zum Abbinden zu bringen. Wie lange wird der Prozess in Gang bleiben? Andreas Zybach hat eine neuartige Farbe entwickelt, mit der er einen Raum streicht. Sie besteht nicht aus Pigmenten im herkömmlichen Sinn, sondern aus geschredder- ten Alltagsgegenständen wie Plastikeimern, Türstoppern oder Betonrohren. Kommt so Realität in die Kunst? Fragen zu stellen und zu überlegen, wie man zu adäquaten Antworten kommt, ist die Tätigkeit, die das Labor mit dem Atelier verbindet. Klara Hobza stellt sich Aufgaben, die sie als Künstlerin zu lösen versucht. In ihrem neues- ten Projekt will sie Europa vom Rhein bis zur Donau durchtauchen und die sich ihr stellenden Probleme künstlerisch lösen. Markus Zimmermann lotet die den Raum verändernde Wirkung von Plastiken aus. Er inszeniert einen Wald von Skulpturen, die sich formal zwischen biomorphen Strukturen und Architekturen bewegen. Ein experimenteller Ansatz, ungewöhnliche Fragestellungen und prozesshaftes Ar- beiten sind allen vier prämierten Künstlern eigen. Das heißt jedoch nicht, dass die Werkschau eine Ausstellung zum Thema »Labor« wäre. Der Begriff diente der Jury vielmehr dazu, vier auszeichnungswürdige künstlerische Positionen zusammenzufüh- ren, die vollkommen eigenständig gesehen werden wollen. Darum ist in der Stuttgar- ter Ausstellung jedem Künstler ein eigener Raum gewidmet. Lediglich in drei Verbin- dungsräumen treten ihre Werke in Dialog miteinander.
In einem vierten Verbindungsraum steht den Besucherinnen und Besuchern ein so genanntes »Info-Labor« zur Verfügung, das Gelegenheit für eigene Forschungen und Interventionen bietet. Hier sollen Informationsmaterialien – Fachliteratur, Filme, Off- line-Internetseiten, Fotos – dazu einladen, sich intensiver mit den unterschiedlichen Themen der beiden parallel gezeigten Ausstellungen »Ars Viva. Labor« und »Kunst ist eine Wissenschaft« zu beschäftigen. Zu sehen sind beispielsweise drei kurze Vi- deofilme, die Studierende der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in den Ateliers der »ars viva«-Preisträger gedreht haben. Außerdem soll ein Handapparat mit Fachliteratur zu den Künstlern, aber auch zum Thema Wissenschaft und Labor zu eigenen Recherchen anregen.
Die von Seiten des Museums angebotenen Materialien stellen allerdings keine abge- schlossene, unveränderliche Einheit dar; die Museumsbesucher werden vielmehr dazu aufgefordert, die angebotenen Informationen durch Texte, Publikationen oder Objekte zu erweitern: So rief die Künstlerin Klara Hobza 2008 den »New Millennium Paper Airplane Contest« ins Leben und brachte aus diesem Anlass ein Buch mit rund hundert Faltanleitungen für Papierflieger heraus. Die Besucherinnen und Besucher können im Info-Labor mit Hilfe der Anleitungen selbst Papierflieger anfertigen, mit nach Hause nehmen oder in einer Archivbox hinterlassen. Am Sonntag, 9. Oktober, findet im Foyer des Kunstmuseums um 15 Uhr ein Papierflieger-Wettbewerb statt, bei dem sowohl die Flugeigenschaften als auch das ästhetische Erscheinungsbild der selbst gefalteten Flieger bewertet werden.
Zur Ausstellung ist ein Katalog im Hatje Cantz Verlag mit 176 Seiten und zahlreichen farbigen Abbildungen erschienen.
Realisiert in Zusammenarbeit mit dem Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im BDI e.V.