Drei der bedeutendsten Künstler der Gegenwart treffen in der kestnergesellschaft zum ersten Mal aufeinander: die Fotokünstler Andreas Gursky (*1955), Jeff Wall (*1946) und der Maler Neo Rauch (*1960). Querverbindungen in ihrem umfangreichen Schaffen bilden den Ausgangspunkt für diese ungewöhnliche Zusammenführung. An ausgewählten Werken wird deutlich, wie die drei Künstler in je eigenen Ansätzen an die Tradition des figurativen Bildes anknüpfen, diese entscheidend weiterentwickeln und aktualisieren.Auch wenn in der Ausstellung keine Malerei zu sehen sein wird, schafft sie als gemeinsame Spielfläche für die präsentierten Arbeiten von Gursky, Rauch und Wall wichtige Bezugspunkte. Von allen drei Künstlern werden traditionell eigentlich mit der Malerei verknüpfte Mittel, Kategorien und Konventionen in anderen Medien fortgeführt, neu modelliert und zur Aufführung gebracht: in Zeichnungen und Skulpturen bei Rauch oder in großformatigen Fotografien bei Gursky und Wall. In der Ausstellung zum visuellen Experiment angeordnet, entwickeln diese eigenständigen Werke das Potential zu unerwarteten Entdeckungen, Kontrasten und Verweisen. Dabei eröffnet sich ein weites Spektrum bildlicher Darstellungsmöglichkeiten: Sie reichen vom dokumentarischen Abbild, der kinematografischen Inszenierung, über die fantastische Kombination und irreale Konstruktion bis hin zur formalen Abstraktion.
Zwei Themenstränge der Ausstellung ergeben sich aus den zwei neuen »Lehmbruck«-Arbeiten (2013 und 2014) von Andreas Gursky. Mit Mitteln digitaler Fotomontage hat Gursky auf diesen Bildern die modernistischen Ausstellungsräume des Lehmbruck Museums in Duisburg mit einer fiktiven Sammlung zeitgenössischer Kunstwerke gefüllt – darunter ein Dia-Leuchtkasten von Jeff Wall und eine Skulptur von Neo Rauch, die auch in der Ausstellung zu sehen ist. Zum einen ist es die Idee des Bildfundus, die hier beschworen wird – in einem kühlen Blick auf die Institution Museum, deren Konservierungsauftrag für die auserwählten Werke untrennbar mit einer Deutungshoheit verbunden ist. Wer entscheidet, was erhalten und ausgestellt wird?
Zum anderen ist es die Darstellung der menschlichen Figur, die in den »Lehmbruck«-Arbeiten als ein zentrales Thema bildnerischer Auseinandersetzung vorgeführt wird. Zwei weitere, erstmalig in Deutschland präsentierte Fotografien von Gursky interpretieren Hollywood Comic Helden vor idealisierten Landschaftskulissen, während in anderen Arbeiten das Individuum einer strengen Choreografie unterworfen ist oder in der Übermacht des Kollektivs verschwindet. Digital aus vielen Einzelansichten konstruiert, folgen die monumentalen Fotografien Gurskys oft einer formalen Struktur und verdichten sich zu Bildern, die das Sichtbare ins Absolute übersteigern.
Von Neo Rauch werden nicht seine bekannten Malereien zu sehen sein, sondern eine umfangreiche Mappe von Zeichnungen und zwei Skulpturen, die bisher nur vereinzelt präsentiert wurden. In ihrer Spontanität sind die Zeichnungen flüchtige Zeugnisse verinnerlichter Bilder, die ungefiltert zu Papier gebracht wurden. Paare oder kleine Figurengruppen, in undurchschaubare Zusammenhänge verwoben, unbeholfene Helden und Fabelwesen, fantastische Metamorphosen, traumartige Visionen und komische Kollisionen – immer wieder ist es das scheinbar Unzusammenhängende, das Rauch in diesen Improvisationen zusammenführt. Wie die Zeichnungen sind auch die zwei lebensgroßen Bronzeplastiken »Die Jägerin« (2011) und »Nachhut« (2011) Formulierungen eines malerisch ausgeformten Bildvokabulars in anderen Medien.
Jeff Walls fotografische Arbeiten entwickeln sich im Spannungsverhältnis von kinematografischer Inszenierung und dem »fast Dokumentarischen« (»near-documentary«, Jeff Wall). In der Ausstellung liegt der Fokus auf großflächigen Farbdrucken und schwarz-weiß Abzügen der letzten Jahre. In diesen Arbeiten führt Wall seine Auseinandersetzung mit dem Realismus fort und greift verstärkt dokumentarische Ansätze auf. Die Aufnahmen lenken den Blick auf das vermeintlich Unspektakuläre, auf triste Antihelden und unprivilegierte Gestalten, die banalen Tätigkeiten nachgehen. Sie scheinen der Zufallsästhetik einer sozial motivierten Straßenfotografie zu folgen. Doch sind es bewusst komponierte, inszenierte oder nachgestellte Szenarien, die wie im gemalten Tafelbild das Alltägliche zu Bildern übergeordneter Bedeutsamkeit einfrieren.
Parallel zu dieser Ausstellung wird im Obergeschoss der kestnergesellschaft eine Einzelausstellung der amerikanischen Malerin Dana Schutz (* 1976) gezeigt. (25. Juli bis 26. Oktober 2014)