Immer wieder griff Alexander McQueen für seine Entwürfe beispielsweise auf die Beziehung von Natur und Technik zurück. Sowohl die Verbindung als auch der Gegensatz der beiden finden sich wiederholt in seinen Kollektionen. Grafische Motive und Fotografien von Tieren, die durch digitale Technik gespiegelt, gedreht und neu arrangiert werden, entwickelt er zu neuen phantastischen Mustern. In Kombination mit den Schnitten wirken sie fast wie eigenständige Organismen. Die Ästhetik technischer Bauteile, das reizvolle Spiel mit den Variationen eines Motivs, zeigen die 1999 für Givenchy entworfenen Haute Couture-Kleider ebenso wie ein Herrenmantel mit passendem Anzug, bedruckt mit der Montage historischer Fotos.
Die technische Grundlage seiner Entwürfe war Alexander McQueens Meisterschaft im Erstellen von Schnitten. Sein Handwerk hatte er bei den zwei traditionsreichen Maßateliers Anderson & Sheppard und Gieves & Hawkes in der renommierten Londoner Straße Savile Row, der ultimativen Adresse für feine Herrenanzüge, sowie bei einem Unternehmen für Film- und Theaterausstattung erlernt. Historische Schnittformen von der Antike über das Mittelalter bis in die Kostümgeschichte des 20. Jahrhunderts gehörten ebenso zu seinem Repertoire wie außereuro-päische und folkloristische Elemente. Bevorzugt arbeitete McQueen an der Schneiderpuppe, an der er die Modelle drapierte und zuschnitt. Seine Beherrschung des Metiers befähigte ihn nicht nur Kleidungsstücke zu konstruieren, sondern auch zu dekonstruieren. Beispielhaft ist der Damenmantel der Pre Fall-Kollektion 2009, für den McQueen einen Herrenmantel im Stil des beginnenden 20. Jahrhunderts durch Einschnitte und Einsätze neu interpretierte.
Die Herrenmode spielte für Alexander McQueens schon zu Beginn seiner Karriere eine wichtige Rolle. Seine Lehrherren, die Herrenschneider Anderson & Sheppard und Gieves & Hawkes, gelten als Meister des perfekten Schnitts und arbeiten auch für das britische Königshaus. Bereits 1996 startete Alexander McQueen eine erste Herrenkollektion, die er nach eigenem Bekunden 2002 wieder einstellte, weil sie angeblich nur von Robbie Williams getragen wurde. Eine neue, weiterentwickelte Herrenlinie brachte er ab Herbst/Winter 2004 auf den Markt. Sie wurde seitdem auf der Modewoche in Mailand gezeigt. 2007 wurde Alexander McQueen mit dem GQ Menswear Designer Award ausgezeichnet. Außer Robbie Williams tragen auch David Bowie, Sting und David Beckham Mode von Alexander McQueen.
Als Alexander McQueen sich am 11. Februar 2010 in London das Leben nahm, waren 16 Entwürfe für die Herbst/ Winter-Kollektion 2010 fertig. Einen Monat später wurde diese fragmentarische Kollektion mit dem inoffiziellen Titel Angels and Demons in einem Pariser Palais ausgewählten Pressevertretern vorgestellt. Drei der dort gezeigten Modelle hat das MKG erworben und widmet ihnen in der Ausstellung besondere Aufmerksamkeit. Vorbild für die Arbeiten waren zwei Altarbilder und ein mittelalterlicher Krönungsornat. McQueen übernahm jeweils nur Teile der Gemälde und Stickereien und ließ sie zu fantastischen Seidenprints und aufwendigen Geweben verarbeiten. Die gezielte Bearbeitung von Bildvorlagen, die perfekte Interaktion von Musterung und Schnitt gehören zu den Spezialitäten von Alexander McQueen.
Die folgenden sechs Modelle geben beispielhaft einen Einblick in das Schaffen des Modedesigners:
Kurzes Abendkleid/Cocktailkleid
Alexander McQueen (1969-2010), London, Herbst/Winter-Kollektion 2010, bedruckter Seidensatin und vergoldete Gänsefedern, Foto: Maria Thrun
Der Altar der Kölner Stadtpatrone von Stefan Lochner (um 1442, Kölner Dom) stand Pate für dieses Kleid. Aus den Drapierungen des asymmetrischen Kleides blickt der Heilige Gereon mit seinem Gefolge. Goldene Federn blitzen unter dem Saum hervor. Angeblich ist dieses das letzte Kleid, an dem Alexander McQueen gearbeitet hat.
Abendmantel
Alexander McQueen (1969-2010), London, Herbst/Winter-Kollektion 2009, Thema: The Horn of Plenty, Seiden/Polyamid-Cloqué, Foto: Maria Thrun
Die Oberfläche dieses edlen Abendmantels erinnert ironischerweise an Verpackungsfolie. Auch der Titel der Modenschau (Das Füllhorn) und der Untertitel „Everything but the Kitchen Sink“ (Alles und Jedes) können als Kritik an der Überflussgesellschaft und damit am Modebusiness selbst aufgefasst werden.
Schwarzes Abendkleid mit Ballonrock
Alexander McQueen (1969-2010), London, Prefall-Kollektion 2009, Seidenfaille, bestickter Tüll, Foto: Maria Thrun
Das extrem figurbetonte Kleid schränkt die Bewegungsfreiheit der Trägerin stark ein und verweist damit auf die so genannte „Humpelrock-Mode“, die zu Beginn des 20. Jahrhun-derts en vogue war. Die gesamte Kollektion wurde auf dem Laufsteg mit schwarzen Herrenhüten und Spazierstöcken präsentiert.
Jackencape
Alexander McQueen (1969-2010), London, Herbst/Winter-Kollektion 2010
Seiden-Jacquardgewebe, Foto: Maria Thrun
Das rote Jackencape mit goldenen Löwen bezieht nicht nur das Muster vom Krönungsmantel Roger II von Sizilien (1133/34, Schatzkammer Wien), sondern interpretiert auch die Form des halbkreisförmigen Kleidungsstückes neu.
Abendkleid
Alexander McQueen (1969-2010), London, Herbst/Winter-Kollektion 2010, Seiden-Jacquardgewebe, Foto: Maria Thrun
Die strenge Linie des langen Abendkleides folgt der Engelsfigur und integriert auch die Rahmenarchitektur der Tafelmalerei. In der Rückenansicht werden die Engelsflügel sichtbar und finden ihre Entsprechung in der körperfernen Drapierung. Das Motiv des Verkündigungsengels findet sich an der Außenseite des Portinari-Altars, gemalt von Hugo van der Goes, 1495, in den Uffizien in Florenz.
2002
Herrenanzug und Mantel
Alexander McQueen (1969-2010), London H/W 2000, Bedruckter Wollköper
Das feine Wolltuch für Anzug und Mantel ist mit dem sepiabraunen Foto einer gigantischen Stahlfachwerk-Konstruktion bedruckt. Schnittführung, sowie Spiegelungen und Wiederholungen des Bildausschnitts, verleihen den Kleidungsstücken eine eigenartige räumliche Tiefe und Unschärfe.
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