Als der Maler, Zeichner, Designer und Erfinder Hasso Gehrmann im Jahr 1960 von Frankfurt am Main nach Bregenz zog, traf er in Vorarlberg auf eine kleine Gruppe von Künstlern, die das Erbe von Rudolf Wacker sowie den in Wien nach 1945 entstandenen „phantastischen Realismus“ eigenständig weiterentwickelten. Eine starke Verbindung zu den internationalen Tendenzen der Nachkriegs-Abstraktion war in der Region jedoch kaum vertreten. Ausnahmen bildeten etwa der Bildhauer Emil Gehrer mit seinen kristallin-geometrischen Skulpturen, die Maler Fritz Pfister und Alois Schwärzler mit ihren gegenstandslosen Form- und Farb-Kompositionen sowie der aus der Wotruba-Schule stammende Bildhauer Herbert Albrecht mit seinen „postkubistisch“-reduzierten Figurationen.Mit der von ihm bereits seit den späten 1940er Jahren entwickelten Bildsprache einer „konstruktiven“ Abstraktion brachte Gehrmann eine weiterentwickelte Strömung der klassischen Moderne nach Vorarlberg, die hier in dieser Form bislang einzigartig war. Seine „Zeichentafeln“ und „Kompositionen“, die sich jeder literarischen Deutung und somit auch einer politisch-ideologischen Vereinnahmung entzogen, fanden zunächst weniger Anklang als zuvor in Paris. Dort hatte er 1953 und 1955 als Mitglied des von Sonja Delaunay initiierten „Salon des Réalités Nouvelles“ ausgestellt.
Um 1960 markierte sein künstlerischer Werdegang jedoch eine Wende: Entgegen der damals vorherrschenden informellen, gestischen Abstraktion wandte er sich erneut verstärkt der Figuration zu. In seiner Malerei und Zeichnung sowie in seinen Wohn- und Designprojekten rückte der Mensch zunehmend ins Zentrum seines Schaffens, insbesondere in Bezug auf ein künstlerisch und funktional gestaltetes Umfeld. Ein Beispiel hierfür ist das Wohnprojekt „Totale Wohnung“ mit der „Ersten vollautomatischen Küche der Welt – Elektra Technovision“.
Ab 1975 widmete sich Gehrmann verstärkt seiner Erfindung der „Subjektiven Geometrie“, die er zu einem kosmologischen Alternativmodell zur Urknall-Theorie ausbaute. Diese neuen Erkenntnisse beeinflussten ab 1980 auch sein malerisches Werk, was schließlich ab 1990 zu einer zweiten Phase der Abstraktion führte. Die in der Ausstellung gezeigten „Y-Bilder“ zeigen, wie sich das zuvor flächig angelegte Tafelbild zu einer neuen räumlichen Dimension erweitert. Durch verschiedene Perspektiven werden die Blicke der Betrachter auf imaginäre Punkte im „Unendlichen“ gelenkt. Dazu schreibt Andreas Müller im Katalog zur aktuellen Ausstellung von Hasso Gehrmann im vorarlberg museum: „Das Unendliche wird von einem qualitativen zu einem quantitativen Wert überführt, vom Subjekt zum Objekt und zurück.“
Dazu erscheint der KatalogHasso Gehrmann. Vom Tafelbild zur MetakunstHerausgegeben von Lucas Gehrmann, Michael Kasper und Ute Pfanner, Vorarlberg MuseumTextbeiträge von Renate Breuß, Hasso Gehrmann, Lucas Gehrmann, Michael Kasper, Markus Krajewski, Andreas Müller, Ute Pfanner und Karlheinz Pichler164 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, Hardcover, 26 x 19,5 cmGrafische Gestaltung: Andreas MüllerWien: Verlag für moderne Kunst 2025ISBN 978-3-99153-166-1, € 29,50