Das Paris von heute und morgen wartet auf seinen Maler; der moderne Maler ist der Fotograf. Paul Morand 1928Die Moderne Galerie des Saarlandmuseums präsentiert vom 9. Dezember 2023 bis 10. März 2024 die Ausstellung Mythos Paris. Fotografie 1860 bis 1960. Besucher*innen erwarten über 200 Exponate, darunter wertvolle Leihgaben aus prominenten Sammlungen Frankreichs und Deutschlands, wie dem Centre Pompidou Paris, die Bibliothèque nationale de France, dem Museum Folkwang Essen und dem Museum Ludwig Köln. Vertreten sind namhafte Künstler*innen, unter anderem Henri Cartier-Bresson, Robert Doisneau, Brassaï, Édouard Baldus und Sabine Weiss.
Paris ist einer der entscheidendsten Orte für die Geschichte der Fotografie. Hier wurde das Patent Daguerres der Welt übergeben. Viele der bedeutendsten Fotograf*innen sind mit Bildern aus dieser Stadt berühmt geworden. Diese Motive haben den Mythos der modernen Metropole geprägt. Unser heutiger Blick richtet sich auf das, was wir aufgrund dieser Bilder erwarten.
Dr. Andrea Jahn, Kunst- und kulturwissenschaftliche Vorständin der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz: „Es ist mir eine große Freude und Ehre mit „Mythos Paris“ in der Modernen Galerie Saarbrücken ein Ausstellungsprojekt vorstellen zu können, das in besonderer Weise die deutsch- französischen Beziehungen in den Blick nimmt. Es ist der fotografische Blick auf eine Stadt, die wie keine andere die Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts geprägt und zugleich die künstlerische Fotografie hervorgebracht hat. Als melting pot unzähliger deutscher und französischer Künstlerexistenzen, deren Werke auch bei uns im Saarlandmuseum prominent vertreten sind, ist sie eng mit unserer eigenen Geschichte verwoben und weist zugleich weit über diese hinaus.
Die Saarbrücker Ausstellung widmet sich im Jubiläumsjahr des Elysée-Vertrages, der die Freundschaft Deutschlands und Frankreichs als Aufgabe formuliert, Fotografien, die in Paris zwischen 1860 und 1960 - innerhalb von 100 Jahren - entstanden sind: von dem Album Photographies de Paris von Édouard Baldus aus den 1850er und 1860er Jahren, bis zum Ende der Saarbrücker Wirkungszeit Otto Steinerts 1960. In Saarbrücken hatte er die drei legendären Ausstellungen subjektive fotografie ins Leben gerufen und die Basis für sein eigenes Werk entwickelt.
In diesen 100 Jahren fasziniert die Fotografie nicht nur in technischer, sondern vor allem in ästhetischer Hinsicht: vom frühen Dokumentarismus, den Baldus mit seinen klaren Kompositionen vertrat, über den Piktorialismus, der mit seinen weichzeichnenden Effekten die Nähe zur Malerei suchte, über das Neue Sehen mit seinen kühnen Perspektiven und der Freude am technischen Fortschritt bis hin zum fotografischen Humanismus, der von Stars wie Robert Doisneau, Henri Cartier-Bresson, Brassaï oder Sabine Weiss vertreten wird und den Menschen ins Zentrum des fotografischen Bildes stellt. Schließlich reflektiert die Ausstellung, welche Rolle Paris für die experimentierfreudige subjektive fotografie und die Gruppe fotoform gespielt hat. All dies hat das Bild von Paris mit seinen Monumenten, seinem Flair, seinen Bewohnern, wie wir es auch heute noch sehen, stark geprägt.
„Die Idee zu dieser Ausstellung begann mit einem bemerkenswerten Zufallsfund. Die Mitarbeiterinnen unserer Museumsbibliothek fanden 2022 im Zuge der wissenschaftlichen Katalogisierung heraus, dass eine Publikation, die sie zunächst für ein Buch hielten, in Wahrheit ein Album war: Édouard Baldus` „Album Photographies de Paris“ mit 30 Fotografien auf Albuminpapier aus den 1860er Jahren. Sie gaben das Album an mich weiter, und dies war die Geburtsstunde der Ausstellung Mythos Paris. Fotografie 1860 bis 1960,“ so Dr. Roland Augustin, Kurator der Ausstellung und Leiter der Fotografischen Sammlung.
Baldus, dem 1977 auf der documenta 6 postum erneut Aufmerksamkeit geschenkt wurde, zählt zu den berühmtesten Fotografen des 19. Jahrhunderts und spielte auch für die dokumentarische Fotografie des 20. Jahrhunderts eine bedeutende Rolle. Vor allem den langen Belichtungszeiten geschuldet, bietet sich in seinen Fotografien ein uns heute fremdes Bild von Paris ohne Autos und Menschenmassen, und dennoch sind hier wesentliche Merkmale der Metropole, auch nach heutigem Verständnis, fotografisch definiert worden.
Mythos Paris. Fotografie 1860 bis 1960 geht zunächst von zwei Positionen aus, die am Ausstellungsort Saarbrücken eine wichtige Rolle für das Thema Paris spielen. Einerseits ist hier Otto Steinert zu nennen, der in Saarbrücken drei internationale Ausstellungen mit dem Titel subjektive fotografie ins Leben rief. Er selbst und zahlreiche seiner Schüler*innen besuchten die Stadt, ließen sich dort inspirieren und genossen Stipendien an den dortigen Akademien. Otto Steinert plante auch ein fotografisches Buch zu Paris, in dem er eine neue Sicht auf die Stadt, ihre Urbanität und die Formen ihrer Gestalt festhalten wollte. Auch eines seiner bekanntesten Luminogramme entstand auf der Place de la Concorde, wo der Kunsthistoriker Schmoll gen. Eisenwerth den Fotografen am Mantelzipfel festhielt, damit er die Spuren bewegten Lichts mit geöffneter Kamerablende festhalten konnte. Darüber hinaus unterhielt Steinert enge Kontakte zur Groupe des XV, humanistischer Fotograf*innen, die – wie oftmals in der Fotografiegeschichte beschrieben - angeblich einen ganz anderen Ansatz als Steinert verfolgten: weniger formalistisch und vielmehr am Leben der dargestellten Menschen ausgerichtet.Aus diesen beiden Polen ergibt sich eine Zeitspanne von etwa einhundert Jahren, genau die Zeit, in der die Fotografie ihre größte Bedeutung als technisches (Massen-) Medium erlebte und gleichzeitig viele künstlerische Ansätze (vor-) formulierte.
„Die Möglichkeit das Jahr der Deutsch-Französischen Freundschaft mit der Förderung einer Ausstellung zum fotografischen Mythos von Paris zu begleiten, muss man wahrnehmen. In sehr spannender und erkenntnisreicher Weise widmet sich die Ausstellung der Hochzeit der Fotografie von der Mitte des 19. Jhd. bis in die Mitte des 20. Jhd. im Fokus des Inbilds der Modernen Metropole. Dabei wurde das Vorhaben vom Glück der Entdeckung eines Albums des berühmten Fotografen Édouard Baldus aus den 1860er Jahren begleitet, dessen wissenschaftliche Erfassung nun den Grundstein der Ausstellung legte. Zusammen mit dem Werk Otto Steinerts entsteht eine erfrischende, vergleichende Sicht auf die französische Hauptstadt. Sehr eindrucksvoll zeigt die Ausstellung, wie Fotografen und Fotografinnen Klischees hinterfragen, Mythen brechen und neue aufleben lassen,“ freut sich Dr. Martin Hoernes, Generalsekretär der Ernst von Siemens Kunststiftung.
Mythos Paris. Fotografie 1860 bis 1960 stellt einen fulminanten Abschluss der zahlreichen Feierlichkeiten und Veranstaltungen zum Jubiläumsjahr des Elysée-Vertrages dar, der am 2. Juli 1963 in Kraft trat und die Basis für die deutsch-französische Freundschaft bildet. Gleichzeitig stimmt uns die Ausstellung künstlerisch auf Paris als Austragungsort der Olympischen Sommerspiele ein, die uns 2024 erwarten.