Wir wagen es, einen Blick auf diese Gegenwart zu werfen und werden in drei Ausstellungen zum Thema DIGITAL einen Abriss über die neuen Technologien und die Reaktionen von Künstler:innen darauf präsentieren. Mit ihnen versuchen wir, das Ungreifbare zu erspüren und seine Potentiale und Gefahren einzuschätzen.
In der zweiten Ausstellung der Schwerpunktreihe DIGITAL geht es um das Verhältnis zwischen Technologie und unserem Wahrnehmungsapparat. Mithilfe von digital erzeugten Reizen werden in unseren Gehirnen neue Räume und Erfahrungswelten generiert. Unsere Sinnesorgane fungieren dabei als eine Art Schnittstelle zwischen digitalem Impuls und menschlichem Bewusstsein. Wenn wir uns auf diese Illusionen einlassen und unsere Aktivitäten immer weiter in virtuelle Bereiche auslagern, geschieht nicht nur eine Verschiebung des Wahrnehmungsraumes von der physischen Welt in eine virtuelle Realität: Die Struktur unserer Wahrnehmung beginnt sich zu verändern. Neuartige Perspektiven, sogar die Plätze anderer Spezies, können eingenommen werden, manchmal auch mehrere Positionen gleichzeitig. Oder der Körper kommt gänzlich „abhanden“ und wir finden uns in einem „Raum ohne Ort“ wieder. Bild, Klang und Vibration werden verwendet, um Realitäten zu konstruieren, die nach anderen Regeln funktionieren als die uns vertraute „Kohlenstoffwelt“, wie unsere physische Realität in Abgrenzung zur siliziumbasierten Welt der Mikrochips genannt wird … (Johan Nane Simonsen)
Diver ist eine interaktive Installation von Martin Kusch, die das Potenzial der virtuellen Realität erforscht. Sie zeigt Ansichten von Körpern olympischer Taucher:innen, ausgestattet mit acht Kameras, bei mehreren Tauchgängen. Die Besucher:innen sind eingeladen, ein VR-Headset mit Kopfhörern aufzusetzen. Durch Bewegung verändert er/sie die gleichzeitig übertragenen Blickwinkel, transformiert und kombiniert sie neu und schafft so Beziehungen zwischen dem aufgezeichneten, dem medial erzeugten und dem realen Raum. Die Besucher:innen werden mitten in eine extreme Aktion gestürzt, in einen akrobatischen freien Fall, der von einem heftigen Eintritt ins Wasser unterbrochen wird. Die generischen, athletischen Körper der Taucher:innen werden für die Besucher:innen leicht erreichbar gemacht; diese werden durch körperlichen Einsatz Mitautor:innen der Arbeit. Im Spannungsfeld zwischen Hochleistung und ihrer Repräsentation, dem Organischen, dem Mechanischen und dem Digitalen sowie der Zentralisierung der Kontrolle und ihrer Aufteilung wird eine unentwirrbare posthumane Maschine inszeniert und neu verkörpert.
Ernst Lima thematisiert in ihrer Arbeit LUCID die Auflösung der körperlichen Grenzen durch digitale Tools und macht diese sinnlich erfahrbar. In einer Sound-Installation wird der Prozess des körperlichen Zerfalls in ein ephemeres Medium überführt. Erforscht wird eine verlängerte Existenz, die nicht an physische Körper gebunden ist. Als hypersensorisches Selbst, als das wir uns mit dem Digitalen verbinden und Daten senden und empfangen, haben wir die Wahl, unsere Körper in einer selbstgeschriebenen Hyperrealität zu erweitern. In dem Maße, wie unsere Sinne digitalisiert und damit auf andere übertragbar werden, erweitern wir unsere sensorische Kapazität durch die digitale Schnittstelle, mit der wir verschmelzen. Wir verlassen unsere Körper, um uns neu zu schreiben. Ein Revue-Passieren-Lassen setzt ein, indem unser menschliches Dasein noch einmal an uns vorbeizieht. Zitate von Musiker:innen, die seit den Anfängen der Tonaufzeichnung nicht-binäre Lebenskonzepte vertonten, werden zur Metapher für die letzten Minuten des Lebens, in denen alles Erlebte noch einmal gesehen wird.
Seit 2001 beschäftigt sich Julie Monaco schwerpunktmäßig mit der digitalen Bildgenerierung mittels fraktaler Strukturen und Oberflächen (Renderings) im Dialog mit analogen Elementen. Die Konzentration liegt auf der Erforschung der fraktalen Darstellungsmöglichkeiten mit dafür geeigneter Software. Die Arbeiten sind künstliche, digital erstellte Bilder, die kein Abbild eines vorgefundenen „Realen“ sind. Sie basieren auf numerischen Codes, d.h. sie sind das Ergebnis einer zuvor konkret festgelegten Rechenoption. Das Endergebnis wird durch die mediale Übersetzung des künstlerischen Prozesses – analog wie digital – in die Materialität von Silbergelatinfotografie, C-Print, analogem Druck, Inkjet-Print und Instax-Film erreicht.
endoSensorial mask ist eine interaktive Installation von Patrícia J. Reis mit einer von der Decke hängenden Skulptur – einem Kostüm mit integriertem VR-Headset, das Teilnehmer:innen anlegen und mit dem sie in eine VR-Umgebung eintauchen können. Die Skulptur aus Textilien und Schaumstoff ist als Erweiterung des Körpers der Benutzer:innen gedacht. Das im virtuellen Set gezeigte Bewegtbild entspricht der „realen“ Skulptur. Die Betrachter:innen befinden sich „außerhalb“ des Ausstellungsraums in einer virtuellen Umgebung, einem endlosen, von anderen Wesen besiedelten Raum. Es ist möglich, mit den virtuellen Spezies zu kommunizieren, indem man versucht, diese zu berühren. Die virtuellen Spezies ändern Standort und Aussehen; die realen Spezies werden durch Vibrationsrückkoppelung beeinflusst. Die Installation weist hin auf die Dringlichkeit der Interaktion zwischen mehreren Spezies und der gemeinsamen Schaffung einer ökologisch nachhaltigen Zukunft. Das Kostüm ähnelt einem Oktopus, inspiriert von Vilém Flussers „Vampyroteuthis infernalis“.
Petra Noll-Hammerstiel und Johan Nane Simonsen
Ausstellung Eröffnung: Freitag 24. 06. 2022, 19:00 UhrSamstag 25.0 6. und Sonntag 26. 06. 12:00 - 19:00 Uhr (Independent Space Index Festival)Mo 27.06. / Fr 01.07. / Sa 02.07. 2022, 14:00 - 18:00 Uhr
Medienwerkstatt Wien, Neubaugasse 40a, 1070 Wien
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