Die Hall Art Foundation richtet eine Ausstellung der in New York ansässigen brasilianisch-japanischen Künstlerin Lydia Okumura aus. Seit über fünfzig Jahren arbeitet Okumura mit geometrischer Abstraktion, um unser Verständnis von Raum zu explorieren und seine Möglichkeiten durch Form und Farbe zu erweitern. Mit Materialien wie Garn, Draht, Acrylfarbe, Glas, Aluminium, Holzkohle und Graphit erstellt Okumura ortsspezifische Installationen, die aus Wand und Boden hervortreten und die Grenzen zwischen dem Zwei- und Dreidimensionalen verwischen. In dieser Ausstellung werden fünfzehn Werke gezeigt, die fast drei Jahrzehnte in Okumuras Schaffen umspannen. Darunter befinden sich auch einige ihrer bekanntesten Gemälde, Skulpturen und großformatigen Installationen.Geboren in São Paulo als Tochter japanischer Eltern unterlag Okumura schon immer vielfältigen Einflüssen, wie etwa der japanischen Schrift- und Malkunst, konkretistischen und neokonkretistischen Kunstströmungen in Brasilien, aber auch amerikanischer und europäischer Konzeptkunst, die in ihrer einzigartigen, Länder und Kulturgrenzen überschreitenden Herangehensweise an Minimalismus gipfelten. Eine Reihe ihrer Skulpturen mit dem Titel The Appearance entstand 1976 kurz nach ihrer Übersiedelung aus Brasilien nach New York. In jeder dieser Skulpturen sind einfache Graphitzeichnungen an der Wand durch geradlinig verlaufende Garnfäden mit dem Boden verbunden. Die so entstehenden dreidimensionalen Gebilde, etwa ein Würfel, eine Dreieckspyramide oder ein Paar Rhomben, sind zugleich voluminös und doch federleicht. Okumuras Fähigkeit, den Raum mit geringsten Mitteln zu transformieren, schlägt sich in der groß angelegten Installation In Front of Light, São Paulo Biennial 1977 (1977) nieder. Darin bildet Okumura einander überlappende, auf einen Mittelpunkt hin ausgerichtete Dreiecke mit weißem Garn vor einer langen, schwarz gestrichenen Wand. Die Fäden werden dabei so angebracht, dass die Überlappung der Dreiecke zur Mitte hin immer dichter wird und dadurch wieder eigene, ineinander verwobene geometrische Formen entstehen. Die Komplexität der Installation wird noch erhöht durch sieben dreieckige Glasstücke, die in einem Halbkreis aus der Wand hervortreten und die Installation noch weiter in den Raum hinein erweitern.
In den Achtzigerjahren begann Okumura, ihre „Situationen“ zu entwickeln, ortsspezifische geometrische Installationen aus Farbfeldern, die direkt auf die Wand gemalt und durch Garnfäden und gezeichnete Graphitlinien miteinander verbunden werden. Untitled I, Installation at Pratt Institute Gallery, New York 1980 (1980) ist ein dreidimensionales Wandbild, das zwei Wände über Eck verbindet. Formen in kräftigen Violett-Tönen werden direkt auf einander gegenüberstehende Wände gemalt und aus ihren Ecken heraus mit gezeichneten Graphit-Linien oder Garnfäden verlängert. Die drei Materialien, Graphit, Garn und Acrylfarbe, sind die Grundlage von Okumuras atmosphärischen Installationen. Mit den „Situationen“ fanden kräftige Farben Eingang in Okumuras Praxis und machten ihre dreidimensionalen Garn-Konstruktionen sichtbarer.
Okumuras bildhauerische Arbeiten nach 1984 stellen einen weiteren Entwicklungsschritt in ihrem Empfinden für Farben und Materialien dar. Labyrinth (1984) ist eine große freistehende gerollte Struktur aus Maschendraht mit aufgemalten, einander überlagernden Formen in kräftigen Primärfarben. Erstmals 1984 am Museu de Arte Moderna in São Paulo realisiert, war die Skulptur zu der Zeit die größte, die je ein Künstler geschaffen hatte. Sie war so groß, dass die Museumsbesucher hineingehen und sich darin bewegen konnten. In dieser Installation verarbeitete Okumura auch erstmals industrielle Rohmaterialien wie etwa den Maschendraht. In Labyrinth windet sich der Maschendraht um einen Innenraum und ist auf einer Seite etwas ausgestellt, damit die Betrachter die Skulptur betreten können. Obwohl der Maschendraht viele runde Hohlräume lässt, überlappt das Material doch so, dass am Ende gesättigte Farbfelder entstehen, die sich immer wieder verändern, wenn der Betrachter sich innerhalb der Skulptur bewegt.
Lydia Okumura wurde 1948 in São Paulo in Brasilien als Tochter einer japanischen Einwandererfamilie geboren. Ihr Interesse an Kunst wurde zuerst durch ihren Vater geweckt, der selbst ausgebildeter Kalligraph war. Vor ihrer Übersiedelung nach New York 1974 studierte Okumura an der FAAP School of Visual Arts in São Paulo. 1968 hatte sie im Alter von neunzehn Jahren ihre erste Einzelausstellung an der Galerie Veranda in Brasilien und 1973 wurde sie eingeladen, als Teil des Kollektivs Equipe3 an der Biennale von São Paulo mitzuwirken. In New York setzte Okumura ihr Studium am Pratt Graphics Center fort. Zwischen 1973 und 1984 nahm sie an fünf Biennalen in São Paulo teil und hatte außerdem zahlreiche Ausstellungen in Galerien und Museen in den USA, Lateinamerika und Japan. Ihre Arbeiten wurden 1984 in einer bedeutenden Einzelausstellung am Museu de Arte Moderna, São Paulo gezeigt. In jüngerer Zeit gastierte eine von der University of Buffalo (New York) organisierte Retrospektive mit dem Titel Lydia Okumura: Situations an vielen Orten in den USA. Okumura lebt und arbeitet derzeit in New York und wird von Galeria Jaqueline Martins, São Paulo und Brüssel, vertreten. Detaillierte Informationen und Bildmaterial stellt das Verwaltungsbüro der Hall Art Foundation unter info@hallartfoundation.org zur Verfügung.