Eine Welt, die von Strukturen und Systemen regiert wird, in der Leistung und Optimierung ständige Anliegen darstellen und Gamifikation als Mittel der gesellschaftlichen Partizipation eingesetzt wird: Seit den frühen 1980er-Jahren – lange vor der Nutzung von sozialen Medien und virtueller Interaktion – erforschte die Videopionierin Ericka Beckman (* 1951 in New York) diese Themen in ihren Filmen. Die Ausstellung „Fair Game“ in der Kestner Gesellschaft präsentiert die animierte Multimediainstallation „Nanotech Players“ (1989) und zwei Filme von Ericka Beckman, die in ihrem Werk eine zentrale Rolle spielen: ihren ersten 16-mm-Film „You the Better“ (1983) und ihren neuesten Film „Reach Capacity“ (2020), der erstmals in Deutschland gezeigt wird. Die Filme liegen fast 40 Jahre auseinander und doch verhandeln beide ein aktuelles Thema: die Verwendung des Spiels als Strukturierungsmittel der kapitalistischen Gesellschaft. Die Künstlerin stellt die Frage: Kann ein dominierendes System jemals überlistet werden?Mit der Ausstellung, die in Kooperation mit dem M Museum in Leuven, Belgien, entstanden ist, präsentiert die Kestner Gesellschaft die erste institutionelle Einzelausstellung von Ericka Beckman in Deutschland. Damit soll ein Fokus auf die Videopionierin gesetzt werden, die bereits in den 1970er- Jahren mit immersiven Videoräumen und Kritik an kapitalistischen und patriarchalen Strukturen auf sich aufmerksam machte.
In Anlehnung an die visuelle und musikalische Ästhetik eines Low-Budget-Kinderprogramms der 1980er- Jahre produzierte Ericka Beckman den Film „You the Better“. Die meiste Zeit des Films ist eine Gruppe uniformierter Spieler in einem schwarzen Raum zu sehen, die nach wenigen klaren Regeln spielen. Ihr Gegner ist das entpersonalisierte Kapital, das die Spieler kontinuierlich überlistet. So werden Gewinnstrategien im Handumdrehen zu Verliererstrategien. Am Ende steht die Frage im Raum: Wer hat das Spiel überhaupt gewonnen?
Die zweiteilige performative Videoinstallation „Reach Capacity“ realisierte Ericka Beckman 2019 und 2020 als Reaktion auf ihre persönliche Erfahrung mit dem explodierenden Immobilienmarkt in New York: Beckman musste ihre bezahlbare Loft-Wohnung in Lower Manhattan verlassen, da sie zugunsten eines spekulativen Bauprojekts abgerissen wurde. Im ersten Teil des Films scheint das Baufieber unaufhaltsam zu sein. Die Händler in blauen Anzügen investieren unentwegt in neue Gebäude. Im zweiten Teil des Films kippt die Leinwand um 180 Grad. Der Fokus liegt nun auf den Arbeiter*innen, die das kapitalistische Spiel durchkreuzen und am Ende in soziale Gerechtigkeit verwandeln.
„Seit ich in die Stadt gezogen bin, ist mir bewusst, wie die Landschaft aus Entdeckergeist und Verspieltheit entstanden ist. Die Bedrohung unserer natürlichen Ressourcen durch kapitalistische Interessen und Expansion empört mich sehr und ich möchte etwas dagegen tun.“, so äußert sich Ericka Beckman in einem Interview mit Pablo Larios, Frieze.
Während ihrer Recherchephase zu „Reach Capacity“ tauchte Beckman in die Geschichte des wohl berühmtesten Brettspielspiels ein: Monopoly. Während das Spiel heute die ausschweifenden Seiten des Kapitalismus symbolisiert, wollte das Vorgängerspiel die Exzesse des Kapitalismus anprangern. 1904 schuf die Stenografin und Feministin Elizabeth Magie die erste Version – „The Landlord's Game". Es ging ihr darum, eklatante Ungleichheiten wie wachsende Spekulationen, Monopolstellungen und inakzeptable Gehaltsunterschiede in der amerikanischen Gesellschaft aufzudecken.
Magies Hoffnung war es, dass bereits Kinder ihr natürliches Misstrauen gegenüber Ungerechtigkeit im Spiel schärfen und dieses Bewusstsein bis ins Erwachsenenalter bewahren sollten. Als Magies Konzept von den Spieleherstellern Parker Brothers aufgekauft wurde, deuteten sie die ursprüngliche antikapitalistische Idee um und brachten 1935 das Spiel unter dem Titel „Monopoly“ auf den Markt, das zu einem der beliebtesten Spiele weltweit avancierte.
Ericka Beckman lebt und arbeitet in New York. Beckman erwarb 1974 ihren Bachelor of Fine Arts an der Washington University in St. Louis und besuchte 1975 das Independent Study Program des Whitney Museums in New York. Ende der 1970er Jahre macht sie ihren Abschluss am California Institute of the Arts (CalArts) bei Los Angeles. Mit der bahnbrechenden Ausstellung „The Pictures Generation, 1974– 1984 “ im Metropolitan Museum, New York (2009) wurde Beckman als eine der Protagonistinnen der Pictures Generation bekannt. Ihre Werke wurden unter anderem in Einzelausstellungen am MIT List Visual Arts Center, Cambridge, Massachusetts (2019) und in der Secession, Wien (2017) präsentiert. Die Kunst-Werke Berlin zeigten 2018 ein viertägiges Screening mit ihren Arbeiten. In der Kestner Gesellschaft war sie 2019 in der Gruppenausstellung „Wo Kunst geschehen kann. Die frühen Jahre des CalArts“ vertreten. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog bei Mousse Publishing, mit Textbeiträgen von Marie de Brugerolle, Valerie Verhack und Marc Cutler.
Die Ausstellung wird unterstützt vom Kunstfonds im Programm NEUSTART KULTUR und dem Förderkreis der Kestner Gesellschaft. Sie entsteht in Kooperation mit dem M Museum in Leuven, Belgien. Weitere Informationen: www.kestnergesellschaft.de