Die Autorin des Trailers der Diagonale’21, Jennifer Mattes, hat im und rund um das Kunsthaus eine Installation geschaffen, die grundsätzliche Themen wie Sehnsucht oder Begehren aufgreift. Mattes inszeniert im Außenraum, auf der BIX-Fassade, im Erd- und im Untergeschoss des Kunsthauses Gefundenes, Erinnertes und Geschriebenes in klassischer Montagetechnik und macht mit viel Farbe und Augenzwinkern den elitären Raum des Museumsgebäudes zum lustvollen Filmset. Bars von Atlantis ist von 8. Juni bis 8. August bei freiem Eintritt zu sehen.Jennifer Mattes (* 1982) nutzte das lange letzte Jahr, um eine filmische Installation über den gedehnten Raum des Wartens zusammenzustellen. Bars von Atlantis beginnt im Außenraum und auf der BIX-Fassade mit der Arbeit Magic Flight und zieht sich über den Katzenbaum für die Kunst bis in das Untergeschoss. So entsteht ein mehrteiliger Bühnenraum. Wer den Spuren nachgeht, taucht – fast wie Alice im Wunderland – in eine berauschende Welt schlafwandlerischen Abwartens ein. Jennifer Mattes, Künstlerin dieser mehrteiligen Installation, ist übrigens auch die Autorin des Trailers der Diagonale’21.
Ein selbstfabriziertes, nass anmutendes Netz schillert in bunten Farben am Mast des Katzenbaums für die Kunst im Kunsthaus-Foyer. Im Untergeschoss klingt leise die ewig sich wiederholende, schwermütige Musik von Heaven der Talking Heads rauchig aus dem alten Lautsprecher. Daneben liegt müde die betagte Discokugel neben der leeren Bar. Von irgendwo wummert ein Bass. Quasi traumwandlerisch inszeniert die Filmemacherin, schreibende und bildende Künstlerin Jennifer Mattes einen schier endlos gedehnten Raum des Wartens. Die mit dem Birgit-Jürgenssen-Preis 2014 und 2019 auch mit dem Diagonale-Preis für den besten innovativen Film prämierte Künstlerin nutzte das vergangene Jahr, um die filmische Installation wachsen zu lassen. „Am tiefsten Punkt der Erde liegen die Temperaturen nahe am Gefrierpunkt. Dennoch gibt es Lebewesen, Zwangsvorstellungen und Neurosen. Ab und zu bekommen diese einen blauen Sonnenbrand, wenn sie sich in den Bars von Atlantis, die sich irgendwo am Grund des Meeres befinden, getroffen oder eben verpasst haben. Und sich betranken oder nüchtern blieben. Sich ihr Gegenüber durch die Gläser und Spiegel dieser Bars vorgestellt haben. Das Imaginäre beobachteten. Hindurchgesehen haben. Durch das Gegenüber. Hier unten gibt es kein Wetter, über das man sich unterhalten könnte … Nur Einsamkeit. Und Müll“, so Mattes. In der Fortsetzung ihrer künstlerischen Praxis der Arbeit mit bestehendem Filmmaterial inszeniert Mattes für ihre Installation im Erdgeschoss und im ersten Untergeschoss des Kunsthauses Graz Gefundenes wie verrostete Blechdosen, Erinnertes und Geschriebenes in klassischer Montagetechnik. Sie nutzt das Haus und seine Zwischenorte als definitionsoffene Orte des Übergangs und verwendet dabei unterschiedliche Requisiten der Reise, des Transfers und der inneren und äußeren Flucht.
Displays, praktische Objekte und Nutzgegenstände sieht sie neu und schafft über kleine Verschiebungen wie das Anbringen unüblicher Materialien, Lichter und Musik eigene Stimmungen; sie lässt uns andocken an ihr Set der untergetauchten Träume und eröffnet im Sinne Gaston Bachelards endlose Möglichkeitsräume, die zur Tanzfläche unserer Gedanken und Erinnerungen werden. „In seinen tausend Honigwaben speichert der Raum verdichtete Zeit. Dazu ist der Raum da“, soBachelard in seiner Poetik des Raumes 1957. Wie Bachelard, der den Raum als offenes Konstrukt unserer Erinnerungen und Vorstellungswelten jenseits seiner bloßen Geometrie erfasst, wendet Mattes die Montage und Überlagerung von klassischen Filmzitaten in Anlehnung an Sprach-, Film- und Literaturbilder als Öffnung des (Film-)Raums an.
„Sowohl bei den Filmen, die ich mache, wie auch bei den Installationen ist es so, dass ich viele Dinge ansammle und zu einer Montage zusammenwachsen lasse. Insgesamt geht es im Trailer für die Diagonale und auch in meiner Installation im ganzen Haus um grundsätzliche Themen wie Sehnsucht oder Begehren. Anhand der Funde, die ich dann als Props bearbeite, suche ich nach Erinnerungen. Zu denen gehören auch Filme wie Rainer Werner Fassbinders Petra von Kant oder eben Titanic, die sich in unsere unterbewussten Erinnerungsräume verflechten: es spiegelt sich eine Unterwelt, ein Hades“, erklärt die Künstlerin Jennifer Mattes.
Kuratorin Katrin Bucher Trantow ergänzt: „Jennifer Mattes fügt in einer hemmungslosen Montage Trash und Pop mit Erinnerungsfetzen aus ikonischen Szenen der Filmgeschichte zusammen. Experimentelles Kino, Neue Sachlichkeit oder Hollywood-Sentimentalitäten spielen sich dabei gegenseitig in die Hand und stehen unbewertet nebeneinander. Lampen aus dem 1-Euro-Laden bringt sie mit grell besprühten Naturfunden zusammen und macht mit viel Farbe den grau-elitären Raum des Museumsgebäudes zum lustvollen Filmset, wo Besucher*innen zu willkommenen Protagonist*innen eines noch unbekannten Filmes werden.“
Als nebelhafte Erzählung berichten die Bars von Atlantis von der Logik von Beziehungsstrukturen und der verbindenden Bedeutung von Sehnsucht und Begehren. „Die Bars von Atlantis sind Schall und Rausch. Eigentlich hängt alles davon ab, welche Musik hier gespielt wird. Wüsten von gestern sind manchmal nur Schnee von heute. ‚Du bist ja nur hier wegen meinem Körper‘, sagt der eine. Und der andere dann so: ‚Nein, wegen meinem!‘ Niemand braucht sich hier unten lebendig zu stellen. Hier regieren Zwielicht und Sehnsucht. Und die Ewigkeit dauert lange, besonders gegen Ende, sagt Woody Allen“, so Künstlerin und Kuratorin.
Ein kurzes Gespräch zwischen der Kuratorin und der Künstlerin ist digital unter www.kunsthausgraz.at/JenniferMattes zu finden.