Bernhard Heisig, Lob der gelegentlichen Unvernunft, 1979 / 80, © VG Bild-Kunst, Bonn 2021, Foto: Kunsthalle St. Annen Bernhard Heisig, Lob der gelegentlichen Unvernunft, 1979 / 80, © VG Bild-Kunst, Bonn 2021, Foto: Kunsthalle St. Annen - Mit freundlicher Genehmigung von: LuebeckerMuseen

Was: Ausstellung

Wann: 09.11.2021 - 23.01.2022

Nach 31 Jahren Deutscher Einheit werfen die Kunsthalle St. Annen in Lübeck und die Kunsthalle Rostock in der Doppelausstellung „Perspektivwechsel“ vom 10. November 2021 bis 23. Januar 2022 zeitgleich einen gemeinsamen Blick auf die Geschichten der Häuser und die Entwicklung ihrer Sammlungen aus der Zeit der innerdeutschen Teilung bis in die Gegenwart. Gemälde, Grafiken,…
Nach 31 Jahren Deutscher Einheit werfen die Kunsthalle St. Annen in Lübeck und die Kunsthalle Rostock in der Doppelausstellung „Perspektivwechsel“ vom 10. November 2021 bis 23. Januar 2022 zeitgleich einen gemeinsamen Blick auf die Geschichten der Häuser und die Entwicklung ihrer Sammlungen aus der Zeit der innerdeutschen Teilung bis in die Gegenwart. Gemälde, Grafiken, Plastiken und Installationen aus den Beständen beider Museen werden in der Schau zusammengeführt. Der Dialog der Kunstwerke ermöglicht es, Haltungen und Sehgewohnheiten in Frage zu stellen und eröffnet die Chance, einen Austausch zwischen den Institutionen und insbesondere mit den Besucher:innen zu schaffen. Gemeinsam mit ihnen lässt sich die Kunst und ihre Wahrnehmung in Ost- und Westdeutschland vor und nach 1990 sowie die Frage nach heutigen Grenzen und kulturellen Barrieren diskutieren. Diese Begegnungen sollen neue Synergien schaffen, inspirieren und den Austausch beleben. Schirmherr des Ausstellungsprojekts ist Björn Engholm, Ministerpräsident a. D. des Landes Schleswig-Holstein. Kuratiert wurde die Schau von Ann-Kristin Jürgensen und Melanie Ohst, wissenschaftliche Mitarbeiterinnen der Kunsthalle St. Annen und der Kunsthalle Rostock.

Monika Frank, Senatorin für Kultur und Bildung der Hansestadt Lübeck, freut sich, dass solche Projekte, die in den langen Jahren der innerdeutschen Teilung undenkbar gewesen wären, heute möglich sind. „Diese Ausstellung zweier Kunsthallen auf beiden Seiten der ehemaligen innerdeutschen Grenze spiegelt die deutsche Geschichte der letzten Jahrzehnte wider“, erklärt sie. Prof. Dr. Hans Wißkirchen, Leitender Direktor des Verbundes der LÜBECKER MUSEEN, sieht es als ein schönes Signal an, dass gerade am Jahrestag des Mauerfalls diese besondere Doppelausstellung eröffnet wird: „Die Kooperation zwischen der Lübecker Kunsthalle St. Annen und der Kunsthalle Rostock hat eine Ausstellung ermöglicht, die Raum für Begegnungen und Austausch schafft. Diese Verbindung sollen und müssen wir fördern, da auch nach über 30 Jahren nach der Wiedervereinigung Nachholbedarf existiert. Wir sind sicher, dass noch weitere Kooperationen zwischen Lübeck und Rostock folgen werden.“

Dr. Antje-Britt Mählmann, die Leiterin der Kunsthalle St. Annen, fügt hinzu: „In der Vorbereitung dieser Ausstellung haben wir viele Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede unserer Häuser und Städte entdeckt und gesehen, wie diese sich produktiv nutzen lassen. Der gemeinsame Blick auf unsere beiden Sammlungen eröffnet noch unerforschte Perspektiven auf die moderne und zeitgenössische Kunstgeschichte der Region.“

Gezeigt werden Arbeiten von über 90 Künstler:innen aus Ost und West, Norddeutschland und dem Ostseeraum; darunter Norbert Bisky, Jørgen Buch, Hede Bühl, HAP Grieshaber, Manaf Halbouni, Angela Hampel, Leiko Ikemura, Hanna Jäger, Jo Jastram, Susanne Kandt-Horn, Per Kirkeby, Wolfgang Mattheuer, Maix Mayer, Jonathan Meese, Røde Mor, Sabine Moritz, Andreas Mühe, Max Neumann, Otto Niemeyer-Holstein, A. R. Penck, Sigmar Polke, Emil Schumacher, Ramona Seyfarth, Willi Sitte, Walter Stöhrer, Rainer Erhard Teubert, Fred Thieler, Werner Tübke, Günther Uecker, Andy Warhol, Willy Wolff und weitere. Gegliedert wird die Ausstellung in beiden Häusern durch die Themenbereiche „Polaritäten“, „Parallelen“, „Brückenschlag und Austausch“, „Wiedervereinigung“ und „Gegenwart“, wobei die Kunsthalle St. Annen den Schwerpunkt vornehmlich auf die Gegensätze vor 1989, die Biennale der Ostseeländer, die individuellen Erwerbungswege zwischen Ost und West sowie auf künstlerische Positionen der Gegenwart aus den Beständen beider Häuser legt. In Rostock werden anhand von Exponaten und Archivmaterialien grenzübergreifende Verbindungen im Norden Deutschlands vor 1990 rekonstruiert sowie die Sammlungsgeschichten beider Häuser im Prozess der Wiedervereinigung näher in den Blick genommen.

Ein wesentliches Bestreben dieser Museumskooperation liegt in der Präsentation zum Teil lange im Depot verwahrter und bisher kaum erforschter Werke. In Lübeck wird u. a. die kurze Erwerbungsphase des Sammlungsbereichs von Kunst aus der DDR neu betrachtet. Bezeichnend hierfür ist die Erwerbung des monumentalen Gemäldes Lob der gelegentlichen Unvernunft (1979/80) von dem Leipziger Maler Bernhard Heisig im Jahr 1982 mit Mitteln des Vereins der Freunde. Dank der Unterstützung der Corona-Förderlinie der Ernst von Siemens Kunststiftung konnten dieses Werk sowie das sehr gegensätzliche abstrakte Gemälde Anessen 3 von dem westdeutschen Künstler Walther Stöhrer kürzlich restauriert werden. Beide Werke werden nun erstmals nach langer Zeit in der Kunsthalle St. Annen wieder öffentlich präsentiert. In der Sammlung der Kunsthalle Rostock hingegen sind die Erwerbungen abstrakter bzw. gegenstandsloser Positionen wie Willy Wolff (DDR), Gerhard Hoehme (BRD) oder Lauri Ahlgrén (Finnland) hervorzuheben und intensiver zu betrachten sowie die Erwerbungen von Kunstwerken aus dem Westen. Vor allem die Ausrichtung der Biennalen der Ostseeländer ermöglichte den Erwerb bedeutsamer Werke aus Westdeutschland, darunter der Farbholzschnitt Hommage à Caspar David Friedrich, 1974 von HAP Grieshaber.

Crossoverprojekt BILDKLANG – Film/Podcast/MusikBegleitet wird die Schau an beiden Ausstellungsorten von einem neuen Format, das Museumsbesucher:innen ein neuartiges, multisensorisches Erlebnis aus Kunst, Musik, Podcast, Film und Konzert bietet. Zur Nutzung des BILDKLANG eGuides auf dem Smartphone wird gebeten, eigene Kopfhörer mitzubringen.

Die zu ausgewählten Werken komponierten Musikstücke von SYNTHESIA (Rostock) in Zusammenarbeit mit dem Kontrabassisten Florian Galow, Verein WaldZimmerKultur e. V. (Lübeck), geben den Besucher:innen die Möglichkeit, ihre ästhetischen Eindrücke zu erweitern. Ein Dokumentarfilm und mehrere Podcasts berichten zusätzlich von den Hintergründen des Ausstellungs- und Bildklang-Projektes. Zur Ausstellung erscheint darüber hinaus ein eigens für die vertonten Bilder komponiertes Musikalbum von SYNTHESIA im Verlag 22D Music Royal Flame. Die CD ist für 15 Euro im Handel erhältlich. Die Kunsthallen Lübeck und Rostock – Gründung und Entwicklung Die Gründungen der Kunsthallen Lübeck und Rostock und die Entwicklung ihrer Sammlungen unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht. In Rostock wurde die Kunsthalle für die Biennalen der Ostseeländer geplant und 1969 zur dritten Biennale eröffnet. Durch ihre Sammlungstätigkeit etablierte sie sich als Museum für zeitgenössische Kunst in der DDR. Neben dem Ausstellen und Sammeln von Werken der Künstler:innen aus der Region, den Kunstzentren der DDR und der Sowjetunion stand bis 1989 im Mittelpunkt der musealen Tätigkeiten Kunstströmungen der Ostseeländer zu zeigen. Während der offizielle politische Auftrag lautete, realistische Kunst zu präsentieren, gelang es aber auch einen Teil gegenstandsloser Kunst auszustellen und zu erwerben.

Etwa zeitgleich zu Rostock wurde auch die Sammlung der Lübecker „Museen für Kunst und Kulturgeschichte“ gezielt um Kunst nach 1945 erweitert. Die Interessenschwerpunkte lagen, neben der Kunst aus der Region und dem Ostseeraum, vor allem im Bereich der Abstraktion und der informellen Malerei in Deutschland. Grundlegend für die Erweiterung der Sammlung war hier bürgerliches Engagement: Der 1980 explizit zur Förderung von Gegenwartskunst gegründete Verein der Freunde der Museen sowie zahlreiche private Lübecker Sammler:innen, Galerien und Stiftungen spielen bis heute eine wesentliche Rolle. Eine eigene Ausstellungshalle für diesen Sammlungsbereich erhielt Lübeck schließlich im Jahr 2003. In Rostock wandte man sich in den 1990er Jahren unter neuer Leitung vermehrt (inter‑) nationalen Positionen aus dem Westen zu. Ab den 2000er Jahren wurde in Ausstellungen die kritische und reflexive Auseinandersetzung mit Kunst aus der DDR begonnen und damit ein Beitrag zur Aufarbeitung geleistet.

Heute scheint das Ziel in Lübeck und Rostock sehr ähnlich: Neben dem Sammeln und Ausstellen der Kunst der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, mit den historisch bedingten unterschiedlichen Ausrichtungen, ist ein Anliegen beider Kunsthallen, Positionen regionaler, nationaler und internationaler zeitgenössischer Kunst zu präsentieren.

KatalogZur Doppelausstellung erscheint ein wissenschaftlicher Katalog mit zahlreichen Farbabbildungen (deutsch/englisch) im Wienand Verlag. Er setzt bewusst auf eine multiperspektivische Sichtweise und nähert sich so, nach über 30 Jahren Wiedervereinigung, auf eine spannende Weise einem bedeutenden Thema regionaler und nationaler Kunst- und Kulturgeschichte. Der Katalog ist für 29,90 Euro erhältlich.

Tags: Gemälde, Grafik, Installationen, Kunst nach 1945, Plastiken, Wolfgang Mattheuer

Dienstag - Sonntag01.01. - 31.03.11 - 17 Uhr
Montag - Sonntag01.04. - 31.12.10 - 17 Uhr