Für…
Für…
Für die Ausstellung »No Body Get a Head, 1991–2020« im Kunstverein Hannover wurden über 60 Werke, darunter zahlreiche Gemälde sowie Reliefe, Installationen und Filme, versammelt. Das in der Ausstellung präsentierte, über die Zeitspanne von 30 Jahren entstandene Œuvre zeugt nicht nur von handwerklicher Virtuosität, sondern gibt viel mehr einen Einblick in die verschiedenen Dimensionen zwischenmenschlicher Interaktion, insbesondere unter dem Einfluss der wachsen- den Digitalisierung. Pieter Schoolwerth versteht es, die Kunstgeschichte mit Ästhetiken virtueller Welten und gleichzeitig altmeisterliche Techniken mit digitalen Möglichkeiten der Bildkomposition zu verbinden.
Bereits der Titel spielt sowohl mit der Frage des kopflosen Körpers (Niemand bekommt einen Kopf) oder einer möglichen Absurdität des nicht Voran- oder Weiterkommens in dieser Welt (to get ahead) als auch mit dem Verschwinden des Körpers. Viele der Werktitel Schoolwerths tragen eben diesen doppeldeutigen Humor in sich und sind gleichsam von konzeptueller Intelligenz ge- speist. Inhaltlich befasst sich der Künstler mit nichts Geringerem als dem Porträt des Menschen zwischen Stillstand und Bewegung in all seiner Vielschichtigkeit und Fragmentierung, als »delirie- rendem« Wesen zwischen analogem und virtuellem Raum.
Durchgängig in dieser Ausstellung sind auftauchende Körperkonturen oder auch Schatten zu se- hen, die gewissermaßen aus einem digitalen, diffus anmutenden Raum im Bild hervortreten. Die Ausstellung vollzieht die Entwicklung der Schoolwerthschen Bildwelten von zunächst psychede- lisch entwickelter Kartografie bis hin zu Bildkompositionen, die schließlich in mehreren Arbeits- schritten – von der digitalen Konzeption bis zur analogen Bearbeitung – durch malerische Gesten finalisiert werden. Aus jeder seiner Werkserien wurden exemplarische Werke ausgewählt, sodass sich die Entwick- lung der Malereisprache von Pieter Schoolwerth geradezu abschreiten lässt. Mit der Werkreihe »Portraits of Paintings« (2009–2012) beginnt Pieter Schoolwerth, digitale Bilder altmeisterlicher Werke des 16. bis 18. Jahrhunderts für seine Malereien zu verwenden. Hierfür werden Abbildun- gen der Gemälde alter Meister digital bearbeitet, auf die Leinwand gedruckt und malerisch weiter- verarbeitet.
Eigens für den großen Oberlichtsaal hat Pieter Schoolwerth ein verschachteltes Raumsystem aus farbigen Wänden mit Ausschnitten in der Größe von Tafelbildern bauen lassen, in welchem er zahlreiche Malereien, Collagen und Readymades inszeniert. Basis hierfür bilden Text und Plot des mit Alexandra Lerman kreierten Films »Your Vacuum Sucks« (2015). Unterteilt in sieben Episo- den, taucht wiederkehrend ein schattenartiger Protagonist auf, der sich umgangssprachlich mit Menschen in privater häuslicher Umgebung über absurde Themen des Alltäglichen austauscht. Einer von ihnen hält einen Staubsauger in der Hand und spricht mit dem durch Umrisse zu se- henden Schattenwesen über das Saugen (to suck). Der Begriff des Vakuums, der im Englischen verkürzt den Staubsauger (Vacuum Cleaner) bezeichnet, interessiert den Künstler hier wiederum als Zustand. Die Frage ist, wer sich in welchem Vakuum befindet und mit welchen Kuriositäten des Alltags zu kämpfen hat.
In einer weiteren Serie hat Pieter Schoolwerth das Bildnerische ins Dreidimensionale gewandt und in Reliefe übertragen, wovon drei verschiedene Varianten zu sehen sind. Den inhaltlichen Impuls für die Serie »Model as Painting« (2015–2019) liefert das in den 1990er-Jahren erschienene Buch »Painting as Model« von Yve-Alain Bois, das insbesondere abstrakte Malerei thematisierte und zum Klassiker avancierte. Das Zusammenspiel aus digital bedruckten Bildelementen und ge- malten Gesten nimmt in dieser Werkserie von Pieter Schoolwerth an Komplexität zu, und das Se- hen an sich wird mehr als auf die Probe gestellt. Die neuste, unter den Bedingungen der Pandemie entstandene Arbeit ist »Shifted Sims #4 (Dine Out Expansion Pack) (2020)«, die bewusst auf die durch social distancing nötigen digitalen Alter- nativen zur sozialen Interaktion in Form von Videospielen wie das hier zitierte Sims referiert. Wie bereits bei den frühen Werken aus den 2000er-Jahren lässt sich anhand der Ausstellung gleich- zeitig die mediale Entwicklung und das zunehmend präsenter werdende Digitale in den Bildern von Pieter Schoolwerth ablesen – von Menschen, die über klassische Mobiltelefone kommunizie- ren oder iPods tragen bis hin zur Gaming-Kultur und deren Einfluss auf unser Denken und Han- deln.
Ein umfangreiches digitales Rahmenprogramm mit Dialogführungen mit Maler*innen aus Hanno- ver und Vorträgen, u. a. von der Theoretikerin und Hochschulprofessorin Prof. Dr. Isabelle Graw, hat bereits ebenso wie unser vielfältiges Vermittlungsprogramm für Kinder und Jugendliche ge- startet und wurde und wird flächendeckend genutzt. Sobald es möglich ist, werden wir diese An- gebote im Hof des Künstlerhauses oder in unseren Räumen analog, hybrid oder rein digital weiter- führen.
Eröffnung: Samstag, den 24. Oktober 2020, von 18 bis 21 UhrInstitut für moderne Kunst im Atelier- und Galeriehaus Defet Gustav-Adolf-Straße 33, 90439 NürnbergAusstellungsdauer: 25. Oktober 2020 bis 17. Januar 2021Öffnungszeiten: Samstag und Sonntag 13.00 bis 17.00 UhrGeschlossen: 21. Dezember 2020 bis 8. Januar 2021
Copyright © 2024 findART.cc - All rights reserved