„Seit gut drei Wochen läuft nun die neue Corona-Förderlinie der Ernst von Siemens Kunststiftung für freiberufliche Restauratoren und Wissenschaftler in den Museen. Das Programm ist eingeschlagen wie eine Bombe. Inzwischen haben wir über 600.000 € ausgeschüttet, ca. 60 Projekte und damit noch mehr Freiberufler unterstützt. Nochmal so viel ist in der Pipeline. Für die Freiberufler sind Aufträge wichtiger als Kredite, die sie im Zweifel nicht mehr zurückzahlen können!“ freut sich der Generalsekretär der Stiftung Dr. Martin Hoernes, Berlin.
Epitaph Wittinghoff, St. Annen-Museum: Bereits sehr lange auf der Liste der notwendigen Restaurierungen steht das Epitaph Wittinghoff im St. Annen-Museum. Es wurde 1552 von Hans Kemmer gemalt und ursprünglich für die Marienkirche geschaffen, bevor es 1852 in das St. Annen-Museum Lübeck gelangte. Das Werk gilt als bemerkenswertes Beispiel der Lübecker Reformationskunst. Der Lübecker Maler Hans Kemmer, eine Schüler Lukas Cranachs, war der bekannteste Reformationsmaler der Hansestadt. Über sein Leben und seine Verbindungen zu den einflussreichsten Reformatoren Lübecks ist einiges bekannt. Die Motive des Bildes sind besonders spannend, da sie sehr deutlich zeigen, dass sich die Bildinhalte in der Reformationszeit merklich ändern. So wird die Taufe Christi etwa mit Bildelementen von „Gesetz und Gnade“- Darstellungen verbunden, einem Motiv, das Cranach mehrfach gemalt hat. Allerdings mindert der jetzige Zustand des Gemäldes deutlich die ursprünglich zu vermutende Qualität. Umfangreiche Schäden und unsachgemäße Restaurierungen beeinträchtigen den Gesamteindruck der Tafel erheblich. Außerdem trübt ein stark vergilbter Firnis die ursprüngliche Farbigkeit des Bildes. Das Gemälde soll nun in einen authentischen und ästhetischen Zustand versetzt werden. Dafür konnte ein erfahrener Restaurator gewonnen werden, der bereits zahlreiche Restaurierungen an mittelalterlichen und neuzeitlichen Werken erfolgreich durchgeführt hat.
Mit der Verbesserung der Gesamtsituation des Bildes wird ein wesentlicher Grundstein für die weitere Forschung an Werken von Hans Kemmer gelegt. Das St. Annen-Museum plant derzeit eine Ausstellung zum Gesamtwerk Kemmers. „Die Restaurierung des Wittinghof Epitaphs ist über die Maßen lange fällig. In seinem jetzigen Zustand ist es wenig attraktiv und dem Publikum nur schwer zu vermitteln, dass es sich um ein wichtiges Werk handelt.“, so Museumsleiterin Dr. Dagmar Täube. „Es ist nicht nur für den Restaurator eine großartige Unterstützung, sondern auch eine Maßnahme, die die Sammlung des St. Annen-Museums deutlich nach vorne bringt und für die geplante Ausstellung wichtige Akzente setzt.“
Bernhard Heisig: Lob der gelegentlichen Unvernunft, 1979/80, Öl auf Leinwand, 150 x 200 cm, Inv. Nr. 1982/56 © Bernhard Heisig (Nachlass), Kunsthalle St. Annen: Bernhard Heisig (1925, Breslau – 2011, Strodehne) gehört zu den prägenden Malern der Leipziger Schule. Über mehrere Jahrzehnte war er in der Lehre, u.a. als Professor und Rektor der Hochschule für Grafik und Buchkunst tätig. Zu seinen Schülern gehören Künstler wie Neo Rauch und Arno Rink. Sein Gemälde Lob der gelegentlichen Unvernunft, das sich im Bestand der Kunsthalle St. Annen befindet, ist eines der ersten Werke dieses Künstlers, das für ein westdeutsches Museum erworben wurde. Darauf abgebildet sind Figuren, die auf verschiedene Weisen auf die „Unvernunft“ verweisen: Hamlet, Ikarus, ein Papst, der sich ein Auge zuhält und der von der Inquisition zum Tode verurteilte italienische Prediger Giordano Bruno. Die dynamische von den drei Primärfarben bestimmte Komposition deutet an, dass das menschliche Streben nach Erkenntnis oft zu tragischen Konsequenzen führt, was sich auch als versteckter Hinweis auf das Scheitern politischer Utopien verstehen ließe. Dieses Werk ist als ein bedeutendes Zeugnis der Kunst Bernhard Heisigs von hoher kunsthistorischer Bedeutung, ein exzellentes Beispiel der Kunst der späten DDR und ein Beleg des innerdeutschen Kulturaustauschs zwischen Ost und West zur Zeit der innerdeutschen Teilung (der Ankauf für Lübeck erfolgte bereits im Jahr 1982). Für die Kunsthalle ist es deshalb von großer Bedeutung, es bald wieder ausstellen zu können.
Walter Stöhrer: Anessen, 1976, Mischtechnik auf Leinwand, 200 x 175 cm, Inv. Nr. 1984/56 © VG Bild-Kunst, Bonn 2020, Kunsthalle St. Annen: Die gestische Bildkomposition von Walter Stöhrers (1937, Stuttgart – 2000, Taarstedt) Gemälde Anessen zeigt deutlich die Beschäftigung des Malers mit den Tendenzen des Informel und des abstrakten Expressionismus. Der in den Primärfarben und größeren Weißflächen gehaltene pastose Farbauftrag und nahezu figurative Elemente des Gemäldes verweisen hingegen auf die Gruppen CoBrA und SPUR als künstlerische Vorläufer. Stöhrer gilt als ein bedeutender Vertreter der Abstraktion in Deutschland und entwickelte aus diesen verschiedenen Einflüssen eine individuelle Ästhetik. Dieses Werk stellt eine Einzelposition innerhalb der gestischen Malerei dar. Innerhalb der Sammlung der Kunsthalle St. Annen mit einem Schwerpunkt auf informellen Tendenzen nach 1945, nimmt das große Gemälde eine wichtige Position ein, weil es sich zwischen Abstraktion und Figuration bewegt.
Die Leitende Kuratorin der Kunsthalle St. Annen, Dr. Antje-Britt Mählmann, freut sich sehr, dass diese beiden bedeutenden Werke der Sammlung ihres Hauses mit Hilfe der Mittel aus der Corona-Förderlinie der Ernst von Siemens Kunststiftung restauriert werden können und so auch die für diese beiden Projekte engagierten Restauratorinnen beschäftigen zu können. „Diese Möglichkeit erscheint mir besonders im Hinblick auf die unklare zukünftige Entwicklung der Lage ein bedeutender Beitrag zur Stabilisierung des Kulturbetriebs.“
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