Die Klassische Moderne am Anfang des 20. Jahrhunderts: eine Zeit voller kreati- ver Impulse und Umbrüche, zugleich eine Zeit, in der zwei schreckliche Welt- kriege wüteten und die menschliche Zivilisation in Frage gestellt wurde. Wie kein anderer Künstler widmete sich André Masson (1896–1987) den existenziellen Gegensätzen dieser Zeit. Die Ausstellung André Masson. Zwischen Welten – Entremondes in den Kunstsammlungen Chemnitz zeigt Werke aller Schaffens- phasen des französischen Künstlers vom Anfang der 1920er Jahre bis 1987. Die Vielseitigkeit des Künstlers im Ringen um die Themen Tod und Begierde wird deutlich. In den Kunstsammlungen am Theaterplatz sind vom 13. Oktober 2019 bis zum 12. Januar 2020 35 Gemälde, 58 Zeichnungen und Druckgrafiken, sowie 5 teils großformatige Skulpturen zu sehen.Anfangs im Umkreis der Surrealisten um André Breton, distanziert er sich später wieder von dieser Gruppe. Masson war interessiert an der Stärke der Psyche und des Unterbewussten, so fing er als einer der ersten Künstler seine Schaffens- kraft in automatischen Zeichnungen ein. Der Surrealismus ist für ihn keine dada- istische Spielerei, sondern der Versuch, zu kosmischen Wahrheiten vorzudrin- gen. Während der deutschen Besatzung Frankreichs gezwungen, ins amerikanische Exil zu gehen, gilt er als wichtige Inspiration des sich entwickeln- den Action Paintings von Jackson Pollock in Amerika. Im Jahr 1945 kehrte er nach Frankreich zurück und gilt als Wegbereiter des Tachismus und des Infor- mel.
Zum ersten Mal wird in der Ausstellung und im Katalog ein Fokus auf Massons Interesse an Deutschland, das angesichts seiner Kriegserfahrungen bemer- kenswert ist, gelegt. Als Infanterist im Ersten Weltkrieg wurde André Masson körperlich und seelisch schwer verletzt. Auch wenn dieses Erlebnis ihn für Jahre tief traumatisiert und er sich damit zeit seines Lebens auseinandergesetzt hat, ist die deutsche Kultur ein Referenzpunkt für ihn. Masson, der des Deutschen nicht mächtig und auf Übersetzungen angewiesen war, aber als Wagnerianer immer wieder Deutschland besucht hat, gehörte zu den kosmopolitischen Frei- geistern des 20. Jahrhunderts, die sich ohne innere Beschränkung für die Kultu- ren und Denkweisen der Nachbarn interessierten. Bezugnehmend auf die grie- chischen Mythologie, die deutschen Romantiker aber auch Friedrich Nietzsche, schuf André Masson Werke, die in der europäischen Geistesgeschichte tief ver- wurzelt sind. So stellte er in den ausgehenden 1930er Jahren den deutschen Dichter und Naturforscher Johann Wolfgang von Goethe im Porträt dar, dessen Farbenlehre und Studien zur Metamorphose der Pflanzen auf Masson eine Fas- zination ausübten.
Zentral für die Ausstellung ist ein Porträt von Heinrich von Kleist, der sich mit 34 Jahren verzweifelt ob seines Misserfolgs das Leben nahm und der für seine Unkonventionalität, die Maßlosigkeit und Heftigkeit der sprachlichen Bilder spä- ter geschätzt wurde. Das Bild drückt seine existenziellen Zweifel am Leben aus, vielleicht für Masson ein Bruder im Geiste. Zudem steht es für seinen Wunsch, die hässlichen Seiten der menschlichen Existenz mit ihrer Brutalität, ihren Ab- gründen und Horror zu zeigen, die in seinem Weltbild wiederum in enger Verbin- dung zum sexuellen Verlangen stehen.
André Masson ist bis heute noch immer eine Entdeckung, obwohl er zu den wichtigsten französischen Künstlern des 20. Jahrhunderts gehört. Die Ausstel- lung André Masson. Zwischen Welten – Entremondes in den Kunstsammlungen Chemnitz folgt den Haupt- und Nebenwegen des künstlerischen Schaffens und ist in enger Zusammenarbeit mit der Familie des Künstlers entwickelt worden. Gezeigt werden Leihgaben aus der Sammlung Ulla und Heiner Pietzsch, Berlin, dem Centre Pompidou in Paris, der Kunsthalle Bremen, den Staatlichen Museen zu Berlin, Nationalgalerie und Sammlung Scharf-Gerstenberg, der Staatsgalerie Stuttgart, der Galerie in Frankfurt am Main, der Galerie Jacques Bailly in Paris und Toninelli Art Moderne, Monaco, sowie Leihgeberinnen und Leihgebern, die un- genannt bleiben möchten.
Zur Ausstellung erscheint ein 160-seitiger Katalog im Wienand Verlag, hrsg. von Frédéric Bußmann und Diana Kopka, der sich der Vielseitigkeit des Künstlers widmet und wissenschaftliche Beiträge von Frédéric Bußmann, Cornelia Fünfstück und Didier Ottinger sowie eine umfangreiche Biografie des Künstlers von Louise Bannwarth beinhaltet. Die Museumsausgabe kostet 29 Euro.