Die Sammlung Moderne Kunst stellt eine Neuerwerbung der Klassischen Moderne vor, die den Bereich der Neuen Sachlichkeit substanziell erweitert. Die „Grodenstraße nach Varelerhafen“ von Franz Radziwill wurde 2018 als erstes Werk des Künstlers von den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen angekauft. Die Landschaft entstand im Jahr 1938, als die Verflechtung Radziwills in die nationalsozialistischen Netzwerke der Kunst besonders ambivalent war.Der norddeutsche Maler Franz Radziwill (1895–1983) zählt zu den wichtigsten Vertretern des Magischen Realismus in Deutschland. Die „Grodenstraße nach Varelerhafen“ von 1938 ist ein hervorragendes Beispiel für Radziwills atmosphärische Landschaftsmalerei der 1920er- und 1930er-Jahre. Zugleich verdeutlicht die expressive Farbigkeit des Gemäldes die Anfänge des Künstlers im Hamburger „Brücke“-Umfeld. Diese in Ausstellungen bislang kaum gezeigten expressionistischen Wurzeln Radziwills werden in der konzentrierten Sammlungspräsentation zudem durch eine außergewöhnliche Leihgabe vor Augen geführt. Das Frühwerk des Künstlers „Landschaft mit drei schwarzen Schemen“ von 1920/21 wurde bislang noch nie öffentlich ausgestellt. Die Darstellung befindet sich auf der Rückseite des bekannten neusachlichen Gemäldes „Gewittrige Landschaft“ von 1925. Die erstmalig doppelseitige Präsentation der Leinwand lenkt den Blick auf die Epochenschwelle um 1920. Wie kaum ein anderes Werk verdeutlicht dieses Gemälde den markanten Übergang vom Spätexpressionismus zur Neuen Sachlichkeit.
Sein expressionistisches Frühwerk sollte für den Künstler während der Herrschaft des Nationalsozialismus verheerende Folgen haben. Nach der Entdeckung und Publikation früher Malpappen in Hamburg verlor Radziwill seine Professur an der Düsseldorfer Kunstakademie. 1937/38 wurden mehrere seiner Werke auf den Femeausstellungen „Entartete Kunst“ gezeigt, während er durch regionale Netzwerke der Kriegsmarine und Luftwaffe zugleich Verkaufserfolge erzielte. Die in diesem Zeitraum entstandene „Grodenstraße“ beinhaltet in ihrer außergewöhnlichen Farbigkeit auch ein Bekenntnis zur expressionistischen Moderne.
„Zwei Seiten eines Künstlers“ verdeutlicht anhand von nur fünf Gemälden Kontinuitäten und Brüche im Werk und Leben von Franz Radziwill. In der von Richtungsstreits geprägten Kunstpolitik des Nationalsozialismus suchte der Künstler seinen persönlichen Weg zwischen Annäherung, Anerkennung, Rückzug und Kritik.
Herzlicher Dank gilt der Theo Wormland-Stiftung für die großzügige Unterstützung der Neuerwerbung.
Kurator: Oliver Kase