In mehr als 50 Jahren hat John Armleder (1948, Genf, Schweiz) ein Werk geschaffen, das die Schranken zwischen Kunst und Architektur, Kunst und Design, Kunst und Alltagsobjekten überwindet. Seine breit angelegte künstlerische Praxis umfasst Malerei, Skulptur, Rauminstallation, Performance, Video, theoretische Texte sowie kuratorische und verlegerische Projekte. Indem er in seinem gesamten Werk Zufall und Projekt, Hochkultur und Entertainment, verfremdende Ironie und konzeptuelle Analyse vereint, stellt Armleder die Konzepte von Autorenschaft, Originalität und Einzigartigkeit des Kunstwerks in Frage. Obwohl sein Oeuvre extrem heterogen ist, sind alle seine Werke Fragmente bzw. verschiedene Aspekte eines einzigen großen Werkes: plus ça change, plus c’est la même chose!
In diesem Zusammenhang wird auch die Ausstellung selbst zu einem großen und unvorhersehbaren Werk, das seinerseits aus mehreren Arbeiten besteht und so angelegt ist, dass es sich bei jeder Nutzung durch das Publikum erneuert. Im Zentrum des Ausstellungsraums stehen drei große Gerüste (scaffoldings): Zwei davon - MONDO TIKI 1 (Scaffolding) und Gogo II- können vom Publikum begangen werden, während das dritte (Gogo III) als Präsentationsdispositiv dient. In Armleders Kunst ist das Gerüst ein wiederkehrendes Element, das ihm nicht nur erlaubt, das Display (Zurschaustellung) von Objekten zu thematisieren, sondern auch einen inklusiven und interaktiven Raum zu schaffen. Gogo III, das Gerüst mit echten und künstlichen Pflanzen sowie ausgestopften Tieren ist ein Zitat aus einer Ausstellung Armleders im MAMCO (Genf, 2005). Die Arbeit spiegelt das Nebeneinander von fake und real wider, die sein Werk durchzieht. Eines der begehbaren Gerüste MONDO TIKI 1 (Scaffolding) entstand 1999 und wurde zum ersten Mal in der ACE Gallery in New York gezeigt. Integraler Bestandteil dieser Arbeit sind fluoreszierende Leuchtröhren und eine Auswahl von B-Movies aus den 1950er und 1960er Jahren (von The She-Creature, 1957 bis Attack of the Mushroom People, 1963 über The Beast of Yucca Flat, 1961), die auf Monitoren zu sehen sind, sowie von Armleder zusammengestellte Musikstücke. Diese schließen auch hawaiianische Musik ein, ein immer wieder vorkommendes Element in seiner Kunst.
Um die scaffoldings sind großformatige Wandgemälde (wall paintings) angelegt (Ogog III-VI, 2018) mit Motiven, die auf ein breitgefächertes Repertoire zurückgreifen – von der Popkultur und street culture über die New-Age-Mystik bis zu Kunstgeschichte und Hollywood-B-Movies. Armleders Poetik basiert auf einer konstanten Migration von Symbolen und deren komplexer und wechselbarer Verbindungen mit Traditionen unterschiedlichsten Kontexten.
Der Künstler greift auch auf den Wänden des Ausstellungsraums ein, indem er verspiegelte Oberflächen anbringt: eine davon ist vergoldet (Ogog II) während die andere versilbert ist (Untitled) und schon 1995 als Werk ausgestellt wurde. Diese reflektieren und brechen die Installation, die Malerei und die durch die Glasfenster des Museion sichtbare alpine Landschaft. Daraus entsteht ein kaleidoskopartiges und verwirrendes Ausstellungsdesign, das die Strenge der musealen Architektur dekonstruiert. Der Gebrauch von bühnenbildnerischen und leuchtenden Elementen, die der Ästhetik des Ornaments entlehnt sind, ist eine weitere Konstante in Armleders Kunst, die das Klischee des Kunstwerks als Dekoration hinterfragt.
In dieses Konzept fügen sich auch die Anhäufungen von echten und künstlichen Pflanzen, ausgestopften Tieren und Alltagsobjekten ein, die diese Ausstellung charakterisieren. Die Material- und Gegenstandsakkumulationen sind Indizien für die Rolle, die der Zufall in Armleders Kompositionsstrategie spielt, sowie für die Nonchalance und Leichtigkeit, mit denen er seine „ästhetischen Tragödien“ in Szene setzt Mit dem Video Endless setzt sich die Ausstellung auf der Medienfassade fort. Endless ist im Zusammenhang mit dem 2016 vom Museion ausgegangenen Auftrag an den Künstler entstanden, eine Intervention für die Weihnachtszeit zu konzipieren, deren Symbolik ja in der künstlerischen Produktion Armleders einen festen Platz einnimmt. Die Musik aus Hawaii und Weihnachten interessieren den Künstler in ihrer Eigenschaft als hybride kulturelle Phänomene: beides ist in Zusammenhang mit einem bestimmten Ereignis entstanden, das sich aber im Laufe der Zeit zu etwas vollkommen Anderem entwickelt hat und nun nichts mehr mit den ursprünglichen Inhalten zu tun hat. Diesem speziellen Interesse sind auch Armleders berühmte und spektakuläre “Christmas Parties” zuzuschreiben, die der Künstler alljährlich in Genf organisiert. Ausgehend von Videos der Feuerwerke, die anlässlich der Parties der Jahre 2002 und 2003 gedreht worden sind, bearbeitet der Künstler die Bilder, wobei gezielt abstrakte und grafische Kompositionen entstehen: So bewegt ein explosives Pulsieren von Lichtern, Farben und Feuerwerk die große Glasfassade des Museion in einem endlosen (Endless) Rhythmus. Die das Video begleitende Musik ist ein vom DJ Sid realisierter Remix des berühmten, 1943 geschriebenen Lieds Have Yourself A Merry Little Christmas von Hugh Martin & Ralph Blane.
„Das Museion privilegiert in seiner Planung seit Jahren Ausstellungen, bei denen es um Skulptur in einem erweiterten Sinn geht – auch um die Aufmerksamkeit auf den kulturellen Raum zu richten, in dem sich das jeweilige Kuntswerk befindet. Damit werden die tiefgründigen wechselseitigen Beziehungen aufgezeigt, die das zeitgenössische Kunstwerk mit den Künstlern und dem Publikum verbindet. Im Jahr, in dem sich zum zehnten Mal die Eröffnung des Museion-Neubaus jährt, findet die Auseinandersetzung mit den heterogenen Ausdrucksformen der Skulptur ihren Höhepunkt im Ausstellungsprojekt von John Armleder. Der Künstler hat mit seinen furniture sculptures einen wichtigen theoretischen wie ästhetischen Beitrag zum Thema geleistet hat.“ so die Direktorin des Museion Letizia Ragaglia Anlässlich der Ausstellung erscheint in Zusammenarbeit mit dem Museum MADRE – Museo d’arte contemporanea Donnaregina in Neapel ein monografischer Katalog. John Armleder (1948, Genf, Schweiz). Nach ersten Ausstellungen in mehreren europäischen Kunstinstitutionen – Kunstmuseum Basel (1980); Musée d’Art et d’Histoire, Freiburg/Fribourg (1982); Künstlerhaus Stuttgart (1984); Ecole Nationale d’Art Decoratif Limoges e Musée d’Art et d’Histoire Genf(1986) – nimmt John Armleder 1986 an der Biennale di Venezia (Schweizerischer Pavillon) teil. Einzelausstellungen (Auswahl): Musée de Peinture et de Sculpture de Grenoble, Nationalgalerie Berlin, Kunstmuseum Winterthur, Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris, Kunstverein Düsseldorf (1987); Le Consortium, Dijon (1989, 1996, 2014); Centraal Museum Utrecht (1992); Villa Arson, Nizza (1993, 2007); Wiener Sezession (1993); Fondazione Ratti, Como (1996, wo er als Visiting Professor einen Kurs im Fach visuelle Künste leitete); Staatliche Kunsthalle Baden Baden, Casino Luxembourg (1998); MoMA, New York (2000); Kunstraum Innsbruck, Magasin Grenoble (2001); Kunstraum Braunschweig, Kunstverein Ruhr, Essen, GAMec Bergamo (2004). 2004 zeigen die Kunsthalle Zürich und das ICA in Philadelphia eine Retrospektive seiner Papierarbeiten, 2005 widmet ihm das MAMCO in Genf eine große Retrospektive. Es folgen Einzelausstellungen an den Standorten Tate Liverpool (2007), Contemporary Art Museum Saint Louis (mit Oliver Mosset), Institute of Modern Art/Queensland Art Gallery, Brisbane, Palais de Tokyo (Carte Blanche), Paris, Peggy Guggenheim Collection (Away) in Venedig (2011); Warwick Arts Centre, Coventry und Swiss Institute, New York (2012); Musée National Fernand Leger, Biot (2014); Istituto Svizzero di Roma (2017). Die jüngste Einzelausstellung in einer öffentlichen Institution zeigte das Madre in Neapel 2018.
Mit Unterstützung durch Pro Helvetia
INFO John Armleder, Plus ça change, plus c'est la même chose
Öffnungszeiten: dienstags bis sonntags 10 – 18 UhrDonnerstag: 10 – 22 Uhr, freier Eintritt ab 18 Uhr, Gratisführung um 19 UhrSamstags und sonntags „Kunstgespräche“ in den AusstellungenRuhetag Montag Eintritt: Vollpreis € 7, ermäßigt € 3,50
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