Im Schloss Wilhelmshöhe werden im wahrsten Sinne des Wortes Meisterwerke der Graphik unter die Lupe genommen. In einem eigenen Schaufenster präsentiert die Graphische Sammlung rund 20 Tiefdrucke; das Spektrum reicht dabei von Dürers »Melancholia« über technisch brillante Reproduktionsgraphik des Barock bis zum modernen druckgraphischen Experiment. Kaum ein anderes Medium ist so geeignet, genaues Sehen einzustudieren und – in Zeiten des Internets – ein Gefühl für die Feinheiten eines Originals zu entwickeln, wie die Druckgraphik. Zur genauen Betrachtung der Originale werden den Besuchern Lupen zur Verfügung gestellt.Der Besucher soll sich auf Spurensuche begeben, denn Druckgraphik ist nur auf den ersten Blick schwarzweiß. Wie liegt die Farbe auf dem Papier? Welche haptischen Qualitäten besitzt ein Tiefdruck? Wie gelingt es Dürer, mit einer reinen Linientechnik wie dem Kupferstich zarteste Grauwerte zu erzielen, Flächen zu gestalten, Licht einzufangen und Materialien wie weichen Pelz von glattem Seidendamast zu unterscheiden?
Die Erfindung der druckgraphischen Verfahren zu Beginn des 15. Jahrhunderts war ähnlich revolutionär wie die des Buchdrucks wenige Jahrzehnte später. Nicht nur als Medium künstlerischen Ausdrucks, sondern vor allem wegen ihres Informationswerts, gewissermaßen als bildliches Nachschlagewerk, genoss Druckgraphik über Jahrhunderte eine hohe Wertschätzung. Anhand von Reproduktionsstichen konnte sich der Zeitgenosse etwa vor Augen führen, welche Gemälde Rubens gemalt hat. Kupferstiche entführten den Bildungshungrigen in ferne Städte und Länder. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein war Druckgraphik ein unerlässlicher Bestandteil von Bildung und Informationsvermittlung.
Darüber hinaus bieten die Drucke einen besonderen ästhetischen Genuss – für die Schönheit eines einzigen, perfekt sitzenden Linienzugs auf dem weißen Papier, die Feinheiten eines Kupferstichs, den flauschigen, tief schwarzen Strich einer Kaltnadelradierung oder die Raffinesse eines farbig gedruckten Schabkunstblattes. Dafür dem Besucher die Augen zu öffnen, ist Ziel dieses Schaufensters der Graphischen Sammlung.