„Selten hat ein Ausstellungstitel so gepasst wie bei dieser Nolde-Retrospektive im Lübecker Behnhaus. Man kann in den kommenden drei Monaten die gesamte Werkent-wicklung Noldes verfolgen, von der frühen Kinderzeichnung bis zum späten Blatt. Und im letzten Ausstellungsraum empfängt den Besucher im wahrsten Sinne des Wortes ein grandioser Farbenzauber“, so Prof. Dr. Hans Wißkirchen, Leitender Direktor der Lübecker Museen.
Im Museum Behnhaus Drägerhaus zählt die Kunst des frühen 20. Jahrhunderts seit der Eröffnung des Hauses 1920/23 grundlegend zur Sammlung: Der damalige Museumsdirektor Carl Georg Heise widmete Noldes „religiösen Bildern“ bereits 1921 eine große Ausstellung in der Lübecker Katharinenkirche. Die Verknüpfung von zeitgenössischer Kunst mit Lübecks mittelalterlichem Erbe war dabei Heises erklärtes Ziel. Das Expressive in Noldes Kunst erschien vielen Lübecker 1921 jedoch zu radikal. Heute hingegen schätzen wir gerade die Ausdruckskraft und Virtuosität von Noldes Malerei. Die Sonderausstellung Emil Nolde. Farbenzauber zeigt nun eine Auswahl von 80 Werken, die das gesamte Schaffen Noldes exemplarisch abbildet. „Bei Nolde werden die meisten zunächst an Landschaften und Blumenbilder denken. Doch spielen Porträts und Figurenbilder in seinem Gesamtwerk die eigentlich entscheidende Rolle. So wird man in unserer Ausstellung immer wieder auf das Motiv des Tanzes stoßen, dass Nolde in Berlin, Birma, Granada oder in seinen Fantasiebildern festhielt. Das unmittelbare Erfassen dieser Bewegungen im Aquarell oder Pastell kennzeichnet die Lebendigkeit von Noldes Kunst auf Papier“, erklärt Museumsleiter Dr. Alexander Bastei.
Als Retrospektive angelegt widmet sich die Ausstellung Emil Nolde. Farbenzauber erstmals ausschließlich den Papierarbeiten Noldes und greift dabei sowohl unbekannte und unerwartete Beispiele aus dem Frühwerk, als auch bekannte Motivkomplexe und Themen im späteren Werk auf. Zu sehen sind frühe Arbeiten Noldes wie die „Bergpostkarten“, die er in der Bergwelt um St. Gallen erstellt, oder auch Porträts, die in karikaturistisch überspitzen Gesichtszügen Typen wie den „Schullehrer“ festhalten. In Cospeda bei Jena gelingt ihm mit Aquarellen wie „Berghang mit Bäumen“ oder „Acht Bäume“ in der Auseinandersetzung mit der Natur der künstlerische Durchbruch: Die „Geburt des Aquarells“, die freie Bildfindung und die wachsende Distanz zum Naturalistischen werden in den Arbeiten nachvollziehbar, ebenso wie Noldes starke Naturverbundenheit, die ihn Zeit seines Lebens prägt. Heimatverbundenheit und Reiselust spiegeln sich in seinen Werken der Schweizer Alpen und der flachen westschleswigschen Marschlandschaften, in denen er aufwuchs. Von 1903 bis 1916 inspiriert ihn die raue, weite Landschaft im Dorf Ruttebüll im westlichen Schleswig zu großformatigen Tuschezeichnungen. Nach einer Erkrankung entstehen dort auch die ersten „biblischen Bilder“, darunter die im Behnhaus präsentierten Apostelköpfe.
Doch auch das Großstadtleben schlägt sich in Noldes Arbeiten nieder: Inspiriert von regelmäßigen Besuchen in Berlin entstehen Werke wie die „Spitzentänzerin“ oder „Tanzendes Mädchen (hellblau)“, die das umtriebige Nachtleben in Theatern und Cabarets, Cafébegegnungen und Tanz aufgreifen. Hier interessiert ihn der menschliche Körper in Bewegung, der Tanz als Ausdruck einer Ursprünglichkeit, die er auch auf seinen Reisen in der Südsee zu finden hofft. 1913 wird ihm angeboten, als nicht-offizielles Mitglied an der „Medizinisch-demographischen Deutsch-Neuguinea-Expedition“ des Reichskolonialamtes Berlin teilzunehmen: Die mehrmonatige Reise führt ihn zunächst über Moskau und Sibirien und anschließend über Korea, Japan, China, die Philippinen, über die Insel Yap bis nach „Deutsch Neu-Guinea“. In ausdrucksstarken Figurenstudien und eigenwilligen Porträts hält Nolde seine Eindrücke fest.
In der Zeit des Nationalsozialismus wird Nolde Opfer des Regimes, dessen Ideen er zugleich nahesteht: Viel zitiert sind seine Bekenntnisse zum Nationalsozialismus und seine Hoffnung auf einen kulturellen Wandel, den er mit seiner als zutiefst deutsch empfundenen Kunst unterstützen möchte. Dass seine Werke nicht dem nationalsozialistischen Verständnis deutscher Kunst entsprechen, erschüttert Nolde. 1937 als „entarteter“ Künstler diffamiert, wird er 1941 aus der Reichskammer der bildenden Künste ausgeschlossen. Die in den Jahren 1933 bis 1945, mitunter in der Zeit des Berufsverbots entstandenen „Ungemalten Bilder“, eine Folge von über 1300 Werken, werden mit den fantasiereichen Figuren, Fabelwesen, Szenen aus dem Nachtleben, Tanz- und Aktdarstellungen und in ihrer explosiven Farbigkeit zurecht als künstlerisches Highlight im Spätwerk des Malers angesehen. Die während seines gesamten Schaffens angefertigten Porträts versprühen nicht weniger Lebendigkeit und stellen Noldes Beobachtungsgabe, seine Fähigkeit zur Charakterstudie unter Beweis. Die teils großformatigen Darstellungen von Landschaften, Blumen und dem Meer lassen den Betrachter am Farbenrausch des Naturerlebnisses teilhaben.
Dr. Christian Ring, Direktor der Nolde Stiftung Seebüll, freut sich darüber, dass diese besondere Ausstellung im Museum Behnhaus Drägerhaus im Kontext von Noldes Jubiläumsjahr, seinem 150. Geburtstag, stattfindet: „Noldes Leben und Werk sind wie bei kaum einem anderen Maler auf das Engste mit dem Land und den Menschen im Norden Deutschlands und in Dänemark verbunden. Anlässlich des Jubiläumsjahres wurde der Ausstellungsverbund ‚Nolde im Norden‘ ins Leben gerufen, dem sich neben Seebüll und Lübeck sechs andere Museen angeschlossen haben, um mit Ausstellungen in Flensburg, Tondern, Wolfsburg, Ahrenshoop, Schleswig und Kiel die Vielfalt und Breite von Noldes Schaffen mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten darzustellen. Lübeck bildet den Abschluss der umfangreichen Ausstellungsfolge, die bislang über 220.000 Menschen gesehen haben.“ Über alle acht Nolde-Ausstellungen informiert die gemeinsame Homepage www.nolde-im-norden.de.
Zur Ausstellung wurde ein vielfältiges Begleitprogramm für Erwachsene und Jugendliche, Familien, Kindergärten und Schulklassen erarbeitet. Der Katalog „Emil Nolde. Farbenzauber“, der im Museumsshop des Behnhauses für 19 Euro erhältlich ist, bildet alle Exponate ab und führt in zehn Kapiteln in die Themenschwerpunkte der Präsentation ein. Ein kostenloses Kinderbegleitheft lädt junge BesucherInnen und Familien dazu ein, die Schau spielerisch zu erforschen.
Mit einer besonderen Kooperation lädt das Behnhaus junge Menschen ein, Nolde zu entdecken: Neben dem freien Eintritt mit der Museumscard können Kinder und Jugendliche das Museum auch gegen Vorlage eines Nah-SH-Tickets besuchen, ohne Eintritt zu zahlen. Junge Menschen bis einschließlich 17 Jahre erhalten gegen Vorlage einer gültigen Fahrkarte des SH-Tarifs (z. B. Einzelkarte, Tageskarte, Monatskarte oder auch Sommerferienticket Schleswig-Holstein) am Geltungstag der Fahrkarte freien Eintritt in das Museum. Der freie Eintritt gilt für den Inhaber der Fahrkarte (nicht für Begleitpersonen), sowohl für die Nolde-Ausstellung als auch für die Dauerausstellung.
Die Ausstellung Emil Nolde. Farbenzauber wurde gemeinsam von der Nolde Stiftung Seebüll, den Städtischen Museen Heilbronn und dem Museums Behnhaus Drägerhaus erarbeitet. Besonderer Dank gilt Marc Gundel und Nicole Dierolf in Heilbronn, wo die Ausstellung von März bis Juni zu sehen war, sowie Christian Ring und Astrid Becker in Seebüll, die alle Leihgaben bereitstellten und die Ausstellungkonzeption auch inhaltlich unterstützten. Die Ausstellungsrealisierung in Lübeck leisteten Alexander Bastek und Ruth Neumann.
Museum Beinhaus Drägerhaus
Dienstag - Sonntag01.04. - 31.12.10 - 17 UhrDienstag - Sonntag01.01. - 31.03.11 - 17 Uhr
Copyright © 2024 findART.cc - All rights reserved