Vielseitig und kontrovers, zuweilen rätselhaft und oft gängigen Japan- Vorstellungen entgegenlaufend, zeigt sich die japanische Fotografie der 1960er- und 1970er-Jahre. Das Museum der Moderne Salzburg präsentiert seine umfangreichen und einzigartigen Bestände nun in einer zweiteiligen Ausstellungsreihe.Salzburg, 10. April 2018. Nach vielen Jahren macht das Museum der Moderne Salzburg sein Konvolut von rund 600 Originalabzügen japanischer Fotografie aus den 1960er- und 1970er-Jahren, das in den Anfangsjahren des Museums erworben wurde, erstmals wieder zugänglich. Den Auftakt einer zweiteiligen Ausstellungsreihe bildet I-Photo. Japanische Fotografie 1960–1970 aus der Sammlung mit Werken, die sich der Darstellung des Menschen und der sich verändernden japanischen Gesellschaft der Nachkriegszeit widmen. „Diese Ausstellung ist ein Ergebnis der von mir forcierten Aufarbeitung unserer Sammlungen. Es freut mich daher sehr, unsere gleichermaßen umfangreichen wie hochkarätigen Bestände an japanischer Fotografie nach langer Zeit wieder präsentieren zu können. Dabei richten wir unseren Blick auch auf die Geschichte des Museums, an dem bereits früh begonnen wurde, Fotografie auszustellen sowie zu sammeln und zu bewahren. Otto Breicha, erster Direktor des Museums, reiste dazu u. a. auch nach Japan, wo er viele der Künstler persönlich traf, um Werke für eine Ausstellung auszuwählen“, so Sabine Breitwieser, Direktorin des Museum der Moderne Salzburg. Christiane Kuhlmann, Kuratorin Fotografie und Medienkunst, betont „die Pionierleistung, die durch das Engagement für den japanischen Kulturkreis in der Frühphase des Sammlungsaufbaus erfolgte“. „Japanische Fotograf_innen präsentierten ihre Bilder damals hauptsächlich in Fotobüchern und Magazinen“, so Kuhlmann, „weshalb Vintage-Abzüge in der uns zur Verfügung stehenden Qualität und Form heute selten bis gar nicht mehr erhältlich sind. Die Erfahrungen, die Breicha in Japan machte, waren einer seiner Beweggründe für den Aufbau eines Zentrums für zeitgenössische Fotografie in Österreich.“
Ab Beginn der 1960er-Jahre erlebt Japan ein starkes Wirtschaftswachstum und steigt zu einem der führenden Technologieproduzenten auf. Ein Vierteljahrhundert nach Kriegsende und den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki ist Japan mit der Expo’70 erster asiatischer Gastgeber einer Weltausstellung. Tokyo wächst zu einer gigantischen Stadt an und ist durch den Bau des internationalen Flughafens 1971 aus der ganzen Welt erreichbar. All dies beendet die jahrzehntelange Abschottung des Landes vom Westen. Der damit einhergehende rasante Wandel betrifft auch die japanische Gesellschaft. Auf die Bildungs- und Agrarreformen in den1960er-Jahren sowie auf das Sicherheitsabkommen mit dem ehemaligen Aggressor, den Vereinigten Staaten von Amerika, reagieren Millionen von Japaner_innen mit Protesten. Das erweiterte Selbstverständnis des Landes findet durch eine neue dynamische Bildsprache Widerhall in der japanischen Fotoszene. Bezeichnend dafür sind die Reflexion der Wahrnehmung, die Suche nach neuen Ausdrucksformen des Selbst und die Neudefinition des Mediums Fotografie. Harte Schwarz-Weiß-Kontraste und aufgerissene, abstrakte Strukturen kennzeichnen dabei die Ästhetik der Bilder.
Der Begriff des „I-Photo“, also des „Ich-Fotos“, lehnt sich an das literarische Genre der Ich-Erzählung an. Die Fotograf_innen, die sich als Autor_innen verstehen, fassen das „I-Photo“ als Mittel der Erforschung von Realität auf. Dabei ist die Fotoszene Japans höchst kontrovers und das thematische Spektrum reicht von erotischen Köperbildern bis hin zu politischen Statements. Für westliche Betrachter_innen wirken die Bilder zuweilen rätselhaft und verstörend, widersprechen sie doch der allgemeinen Vorstellung von Japan. Dennoch waren es zuerst westliche Institutionen, die bereits in den 1970er-Jahren japanische Gegenwartsfotografie in ihr Programm aufnahmen. Unter dem Titel Neue Fotografie aus Japan organisierte Otto Breicha 1977 in Graz die erste europäische Ausstellung, deren damalige Exponate nun vom Museum der Moderne Salzburg in I- Photo. Japanische Fotografie 1960–1970 aus der Sammlung unter neuen Gesichtspunkten präsentiert werden. Neben den Fotografen um das Magazin Provoke (1968–1969), die in ihren Bildern die Wirklichkeit scheinbar in Einzelteile zerlegen, und den im Gegensatz dazu singuläre Positionen verfolgenden Künstlern Nobuyoshi Araki und Masahisa Fukase sind in der Ausstellung auch die Arbeiten der Gruppe Kompora zu sehen. Ihr Ziel war es, alltägliches Leben in distanzierter Bildsprache klar und genau widerzuspiegeln.
Mit Werken von Nobuyoshi Araki, Masahisa Fukase, Takashi Hanabusa, Bishin Jumonji, Daidō Moriyama, Masaaki Nakagawa, Shunji Ōkura, Issei Suda, Akihide Tamura, Yoshihiro Tatsuki, Shin Yanagisawa Direktorin: Sabine Breitwieser
Kuratorin: Christiane Kuhlmann, Kuratorin Fotografie und Medienkunst; mit Andrea Lehner-Hagwood, Kuratorische Assistentin, Museum der Moderne Salzburg