Am 5. Oktober wurde im BRUSEUM der Neuen Galerie Graz eine Ausstellung eröffnet, die erstmals zwei große Einzelgänger der Kunstgeschichte zusammenführt: Nach der Dämmerung nimmt eine Auswahl von Victor Hugos emblematischen und allegorischen Zeichnungen als Ausgangspunkt für eine Präsentation der dunklen Seite von Günter Brus’ Werk. Vor allem aber zeigt die Schau Parallelen im Schaffen beider Künstler auf: eine Vorliebe für die Dämmerstunde, das Arbeiten mit Tinte, Tusche und Bleistift sowie die damit einhergehende Verschränkung von Bild und Schrift. „Mit Nach der Dämmerung zeigen wir eine sehr konzentrierte Ausstellung, in der die einzelnen Arbeiten Raum zum Atmen haben und entsprechend zur Geltung kommen können. Es ist das erste Mal, dass wir Brus in einem derartig breiten historischen Rahmen zeigen können“, freute sich Kurator Roman Grabner bei der Eröffnung, die in Anwesenheit von Günter Brus stattfand.Victor Hugo wurde zeitlebens für sein literarisches Werk hochgeehrt, doch seine Zeichnungen waren lange Zeit nur einem Kreis von Eingeweihten bekannt. Als im Pariser Salon von 1859 einige Zeichnungen von Hugo ausgestellt waren, lobte Charles Baudelaire dessen „wunderbare Einbildungskraft“, die wie ein „himmlisches Geheimnis“ pulsiere. Was Hugo selbst als Nebenschauplatz und „Zeitvertreib zwischen zwei Strophen“ bezeichnet hat, hatte jedoch wesentlichen Einfluss auf die Künstler der späteren Avantgarde. Günter Brus ist einer von ihnen.
Im Dunkeln zeichnenNach der Dämmerung zeigt 25 Werke von Günter Brus, angeordnet um zehn ausgewählte Arbeiten Victor Hugos, die sich durch ihre herausragende Qualität auszeichnen – auch was das Format betrifft: Der Großteil seiner Zeichnungen ist sehr klein, nimmt teilweise lediglich Briefmarkengröße ein. Durch die Zusammenarbeit mit dem Museum der bildenden Künste in Budapest, dem Louvre, dem Musée des Beaux-Arts in Dijon sowie Galerien aus London und Paris konnte man für die Ausstellung im BRUSEUM großformatige Werke gewinnen.
Getreu dem Titel mutet das Gesamtbild der Ausstellung düster an. Die Parallelen der beiden Künstler liegen jedoch nicht nur in ihrer Vorliebe für die Dämmerstunde, sondern auch darin, dass sie mit den Mitteln zeichnen, mit denen sie auch schreiben: Hugo mit Tinte und Tusche, Brus mit Bleistift und Tusche. „Es ist daher fast schon naheliegend, dass beide auch Schrift und Bild verschränkt haben und Schwarz eine dominierende Farbe in den Bildern ist. Verbunden mit diesem Einsatz von Schwarz als Universalfarbe sind starke emotionale Qualitäten wie die Düsternis, das Geheimnisvolle, das Bedrohliche oder das Hässliche“, führt Kurator Roman Grabner durch die Ausstellung. Im Dunkeln zu zeichnen heißt auch, sich mit dem Zufall auseinanderzusetzen. Das prozesshafte Entstehen von Werken ist ebenso charakteristisch für Hugos sowie Brus’ Arbeiten.
Über die Schattenseiten unseres DaseinsAuch durch die Konzentration auf Bilddichtungen unterscheidet sich Nach der Dämmerung von allen bisher gezeigten Sonderausstellungen im BRUSEUM, die seit der Gründung von 10 Jahren stattgefunden haben. In den Ausstellungsräumen finden sich Sitzmöglichkeiten sowie Faksimiles, die nicht nur zum Verweilen, sondern vor allem zu einer genauen Auseinandersetzung mit dem Gezeigten einladen. Dabei folgt die Ausstellung keiner Chronologie oder biografischen Einbettung, sondern durchmisst die dunklen Welten der beiden Romantiker thematisch und öffnet einen Reflexionsraum über die Schattenseiten unseres Daseins.
„Die größte Ähnlichkeit erzielen die Künstler in ihren visionären Darstellungen, deren mächtige Triebfeder die Nacht ist. Sie haben romantische Landschaften erschaffen, die durchdrungen sind von einer Atmosphäre des Unheimlichen und Schaurigen. Die Zeichnungen verschmelzen Reales und Imaginäres und sind durchwoben von Allegorien der Endlichkeit und des Verderbens“, so der Kurator. Beim Besuch der Ausstellung ist dies deutlich spürbar: Nach der Dämmerung beginnt die Zeit des Träumens, des Unbewussten, Unmöglichen und Absurden.