Rund 1.000 Künstlerinnen bewarben sich gegenwärtig für den GABRIELE MÜNTER PREIS, der nach einer Pause von 7 Jahren 2017 zum 7. Mal verliehen wird. Welche Magie der Zahl! Gleich zwei Randgebiete sozialer wie künstlerischer Art werden mit dem Preis ausgelotet, der erstens für Künstlerinnen, die zweitens über 40 sind, bestimmt ist. Beim Jugendwahn der heutigen Gesellschaft hat die Diskriminierung des Alters der Benachteiligung qua Geschlecht beinahe den Rang abgelaufen.
Die Verleihung des GABRIELE MÜNTER PREISES an Beate Passow ist darum doppelt konsequent: Die Preisträgerin zählt nicht nur zu den Ältesten unter den Finalistinnen des aktuellen Turnus. Von den 20 Künstlerinnen, die in die Jury-Endrunde gelangten, vertritt Beate Passow eine der radikalsten künstlerischen Positionen. Politisch sowie feministisch. Auf die Dramaturgie, die sich für die Gruppenausstellung dadurch ergibt, darf man gespannt sein.
Wer war noch Gabriele Münter? Und wer ist eigentlich Beate Passow, wer ihre ehrenwerten Mitbewerberinnen? Antworten und jede Menge Exponate ab 14. März in der Akademie der Künste im Berliner Hansaviertel.
Zur Projekthistorie:Der GABRIELE MÜNTER PREIS wurde vom Frauenmuseum, Bonn, 1994 ins Leben gerufen und wird gemeinhin alle 4 Jahre vergeben. Vorbild und Namensstifterin des Preises ist die deutsche Malerin Gabriele Münter (1877 – 1962), Mitbegründerin der Künstlervereinigung Blauer Reiter, Pionierin der Klassischen Moderne und eine der wichtigsten Vertreterinnen des Expressionismus. Ihr soll damit ebenso wie der jeweiligen Preisträgerin Wertschätzung zuteilwerden. Der renommierte und europaweit einzigartige Preis, der sich an bildende Künstlerinnen über 40 richtet, ist mit 20.000 Euro dotiert und ein Gemeinschaftsprojekt des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, des Berufsverbands Bildender Künstlerinnen und Künstler, des Verbands der Gemeinschaften der Künstlerinnen und Kunstförderer sowie des Frauenmuseums in Bonn. Traditionell werden Arbeiten der Preisträgerin zusammen mit den Künstlerinnen der Abschlussrunde in zwei aufeinanderfolgenden Ausstellungen in Berlin und Bonn präsentiert, aktuell sogar mit Originalen aus dem Frühwerk Gabriele Münters in der Akademie der Künste, Berlin.
Gabriele MünterGabriele Münter malt ihre ersten Stillleben bei Wassily Kandinsky an der Münchner Phalanx-Schule. Ihre spätere Partnerschaft findet dort ihre Wurzeln. Neben den Stillleben entstehen frühe Aktstudien. Sie bezeugen mit ihren weichen, fließenden Umrisslinien und eher aus begrenzenden Schattenzonen als aus der Linie herausgearbeiteten Formen den Einfluss von Kandinsky. Das auf Einladung ihres Lehrers erfolgte Arbeiten vor der Natur unter freiem Himmel bewirkt bei Münter eine Befreiung ihres Sehens – „nur noch gute Farben“ jenseits von Braun- und Grüntönen bestimmen die Palette. Es folgen Ölstudien in pastoser Spachteltechnik, die die Malerin des Blauen Reiters einem breiteren Publikum bekannt machen und in denen sie kräftige schwarzblaue Akzente setzt. Münter malt oft mit ungemischten, nebeneinander gesetzten Farben wie Krapplack, Zinnoberrot, Ultramarin- und Preußischblau, aber auch Elfenbeinschwarz und Zinkweiß. Einige der schönsten Beispiele aus der Zeit vor 1910 sind in der Ausstellung zum GABRIELE MÜNTER PREIS 2017 zu sehen.
Kaum bekannt ist, dass Münter mit ihrer Schwester Emmy von 1898 bis 1900 – bevor sie Kandinsky kennenlernt – als junge Frau von 19 Jahren auf Verwandtenbesuch in Missouri, Texas und Arkansas eine größere Anzahl von Fotografien aufnimmt. Darin scheint ihr grafisches Talent auf, das später nicht ohne Einfluss auf Kandinskys Arbeit bleibt. Der Kunsthistoriker Gustav Hartlaub wird 1922 von „nachgiebigen Umrissen“ sprechen.
Die Amerika-Fotografien sind nicht nur die erste Ausprägung ihrer künstlerischen Eigenart, sondern überraschen auch durch den unkonventionellen Blick auf das karge Leben in der amerikanischen Prärie. Klar strukturierte Kompositionen mit einfachen Schuppen mitten im Nirgendwo der Landschaft, die Lektüre auf dem Fußboden in der Holzhütte und die Selbstverständlichkeit des Sonntagsstaates schwarzer Amerikanerinnen zeugen von menschlicher Nähe und zeichnerischem Gespür in der Schwarz-Weiß-Ästhetik. Eine Leidenschaft, die in ihren Holzschnitten ebenso wie in ihren an die Neue Sachlichkeit erinnernden Zeichnungen aus der Mitte der 1920er-Jahre weiterleben sollte. Auch ihre Beschäftigung mit der Hinterglasmalerei, die oftmals durch schwarze Konturen strukturiert ist, geht auf diese Anfänge zurück. Ein Konvolut ihrer Fotografien und zwei spätere Zeichnungen sind ausgewählt worden, weil sie auf eindringliche und evidente Weise zu zeigen vermögen, dass Münter auch „vor“ Kandinsky mit Talent und klar strukturierten Bildvorstellungen versehen war, die sie in die Phase ihrer bekannten Ölstudien mit einer rigorosen Reduzierung auf beinahe geometrische Figuren einspeisen kann. Diese Fotografien widersprechen dem weit verbreiteten Klischee einer unbewussten und instinkthaften Arbeitsweise der Künstlerin. Die Rezeption ihrer Arbeit und die eigene, mitunter aggressive Verstrickung in die Widersprüchlichkeit ihrer Zusammenarbeit und Liebe zu Kandinsky überschatten lange Zeit diese Seite ihrer Arbeit. Darum haben wir uns entschieden, diese Auswahl von Arbeiten der Künstlerin im Zusammenhang mit dem GABRIELE MÜNTER PREIS zu zeigen. Sie rückt ihre frühe Begabung in den Vordergrund und befragt gängige Interpretationen ihres Werks. Gerade angesichts einer Generation von Künstlerinnen, deren Arbeits- und Rahmenbedingungen sich heute verändert haben, mag die frühe Verdichtung von Ausschnitten und Motiven bei Münter eine ungewohnte Sicht auf bekannt Geglaubtes in der Klassischen Moderne eröffnen. Angela Lammert, Akademie der Künste, Berlin
Jury-Begründung zur Wahl der Preisträgerin GMP 2017Es ist das Gesamtwerk von Beate Passow, das in seiner konsequenten Haltung die Jury überzeugte. Sie zeigt mit ihrer radikalen, politischen Kunst, die in der heutigen Zeit angesichts der starken Veränderungen in der Parteienlandschaft und im globalen Gefüge bewusst werden lässt, wie wichtig es ist, die Historie auch in der Kunst zu befragen.Beate Passow tut dies zeit ihres Lebens. Nicht von ungefähr ist ihr Geburtsdatum 1945 für ihre künstlerische Sozialisation entscheidend. Sie studiert zunächst Malerei, wendet sich aber schon sehr früh mit ihren engagierten Beobachtungen der Fotografie zu. Ein Medium, das ihren politischen Blick auf gesellschaftliche Phänomene adäquat transportiert. Dabei lässt sie sich in keiner Weise auf ein Bildprogramm festlegen: setzt fragwürdigen Herrschaftssystemen, übermäßiger Ökonomisierung des Individuums und einer zunehmenden Überwachung ihre Kamera entgegen. Sie kontert quasi mit den gleichen Waffen und dem künstlerischen Blick und der Ästhetik. Der GABRIELE MÜNTER PREIS 2017 geht an eine Künstlerin, die ihr Geschichtsverständnis, ihre eigene Biografie und ihre kritische Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen und politischen Bedingungen der Gegenwart in ihrem künstlerischen Schaffen als zentrales Thema umsetzt.
Mitglieder der Jury
Ines Bruhn (Kuratorin, BBK)Birgit Hein (Akademie der Künste, Berlin)Ulrike Kremeier (dkw. Kunstmuseum Dieselkraftwerk Cottbus) Ute Pauling (Kulturredakteurin, WDR/ARD)Ulrike Rosenbach (Preisträgerin des GMP 2004)Rein Wolfs (Intendant, Bundeskunsthalle, Bonn)Martina Gräfin von Bassewitz (BMFSFJ)Gerlinde Förster (GEDOK)Marianne Pitzen (Frauenmuseum, Bonn)Ulla Windheuser-Schwarz (BBK)
Beate Passow, Preisträgerin des GABRIELE MÜNTER PREIS 2017Beate Passow, geb. 1945 in Stadtoldendorf, lebt in München. Von 1969 bis 1975 studierte sie an der Münchner Akademie der Bildenden Künste.Preise und Stipendien1988 Förderpreis der Landeshauptstadt München, RischArt-Preis1991 Arbeitsstipendium der Stiftung Kunstfonds, Bonn1992 Stipendium Cité Internationale des Arts, Paris1993 Stipendium der Prinzregent-Luitpold-Stiftung1994 Stipendium der Erwin und Gisela von Steiner-Stiftung1994 Projektstipendium der Stiftung Kunstfonds 1996 Stipendium der Ernst-Strassmann-Stiftung,Städtisches Stipendium Budapest1999 Institut für Auslandsbeziehungen, Stuttgart2000 Förderung der Kulturstiftung der Stadtsparkasse München2002 Kunstpreis der Landeshauptstadt München 2011 Residence Cité Internationale des Arts, Paris 2015 Residence MuseumsQuartier WienEinzelausstellungen Auswahl1990 Städtische Galerie im Lenbachhaus, Kunstforum München1994 Fotomuseum im Münchner Stadtmuseum1995 Museum am Ostwall, Dortmund, Wunden der Erinnerung, ein europäischesProjekt mit Andreas von Weizsäcker; Haus der Kunst, München; Fotogalerie im Deutschen Historischen Museum, Berlin; Kunsthal Rotterdam;Centrum Sztuki, Warschau1996 Chapel Art Center, Hamburg1997 Städtische Galerie im Lenbachhaus, München;Städtische Galerie Dachau; Cankarjev Dom Ljubljana1998 Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Dortmund; Galerie Rieder, München1999 Schindlerhaus MAK, Center for Art and Architecture, Los Angeles2000 Aspekte Galerie im Gasteig, München2001 Galerie Six Friedrich Lisa Ungar, München2002 Haus am Waldsee, Berlin; Kirche St. Markus, München2003 Neue Galerie im Höhmannhaus, Augsburg2004 Galerie Hermeyer, München2005 Jüdisches Museum Wien; Residenzgalerie Salzburg; Künstlerhaus Marktoberdorf2006 Galerie Hermeyer, München; Kallmann-Museum Ismaning2007 Städtische Galerie im Museumswinkel, Erlangen2008 Gedenkstätte KZ-Außenlager Braunschweig Schillstraße, Braunschweig2010 Galerie KOK, Kirchseeon2011 Johanneskirche, Kirchseeon, München;5. Elysium Festival Bernried; Grenzgänger, München 2015 Galerie Carol Johnssen, München
Gruppenausstellungen Auswahl1988 BEZUGSPUNKTE 38/88, Steirischer Herbst, Graz1992 Jugend in Deutschland, Domfenster Schwerin; Kunst – was soll das?,3. Bitterfelder Konferenz; Magia Naturalis, Haus zur steinernen Glocke, Prag1993 Subversion des Lachens, Museum am Ostwall, Dortmund; Ansichten,Städtische Galerie im Lenbachhaus, München;Scharf im Schauen, Haus der Kunst, München1996 Künstler forschen nach Auschwitz, nGbK, Berlin;Radikale Bilder, 2. Österreichische Triennale zur Fotografie, Neue Galerieam Landesmuseum Joanneum und Künstlerhaus, Graz1997 AREOPAGITICA, G.A.M.E.S. of Art, Mönchengladbach; 2. GABRIELE MÜNTERPREIS, Bonn; Kunsthalle Dominikanerkirche Osnabrück;Galerie am Fischmarkt Erfurt1999 Verborgene Orte, Brückenköpfe Erpel-Remagen2000 Das Gedächtnis öffnet seine Tore, Städtische Galerie im Lenbachhaus,München; Forever Dortmund, Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Dortmund2001 Du bist die Welt, Wiener Festwochen, Künstlerhaus Wien2002 Eva und die Schlange, Kunstgebäude im Schlosshof Bodenburg,Bad Salzdetfurth; wegZiehen, Frauenmuseum, Bonn2003 MADONNA, Diözesanmuseum, Freising2004 4. GABRIELE MÜNTER PREIS, Martin-Gropius-Bau, Berlin;Einstein Jubiläum, Galerie im Kornhauskeller der Ulmer KunststiftungPro Arte, Ulm; 8. RischArt_Projekt: Gute Fahrt, München2005 La main dans la main, Kunstgebäude im Schlosshof Bodenburg2006 SEXWORK – Kunst Mythos Realität, nGbK, Berlin2007 5. GABRIELE MÜNTER PREIS, Martin-Gropius-Bau, Berlin, Frauenmuseum, Bonn2008 Blick zurück nach vorn, Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft, Bonn;sehen ganz nah und sehr fern, Städtische Galerie Erlangen2010 who is who? Galerie Carol Johnssen, München; transindustrialeDortmund–Istanbul, Dortmund; 6. GABRIELE MÜNTER PREIS,Vorreiterin, Martin-Gropius-Bau, Berlin, Frauenmuseum, Bonn2011 sidebysidesidebyside, Galerie Carol Johnssen, München;11. RischArt_Projekt: Kunstrausch, Bayerisches Nationalmuseum, München2012 Phänomen Wohlstand, Motorenhalle, Dresden;HIGHLIGHTS IM ABSEITS, 10 Jahre Künstlerhaus Marktoberdorf2014 Blind Date, Galerie Carol Johnssen, München;Black & White, Galerie Carol Johnssen, München2015 Anmerkungen zum Beginn des kurzen 20. Jh., MuseumsQuartier Wien
Preisverleihung und Ausstellungseröffnung: Dienstag, 14. März 2017, 19 Uhr, Eintritt freiAusstellung: 15. März - 17. April 2017Di–So 11–19 Uhr, Eintritt EUR 4/2, bis 18 Jahre und dienstags von 15 bis 19 Uhr Eintritt freiAkademie der Künste, Hanseatenweg 10, 10557 Berlin, Tel. 030 20057-2000, info@adk.de
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