„Kein Bild ist denkbar ohne die Gesamtheit aller Bilder, die in der Welt sind.“ Katharina Sieverding, 2015Katharina Sieverding gehört zu den Künstlerinnen, die schon früh mit ungewöhnlichen Bildfindungen und einer innovativen medialen Kunstpraxis das künstlerische Potenzial der Fotografie erneuert haben. Als eine der wenigen Frauen im bundesdeutschen Kunstbetrieb hat sie sich durchgesetzt und seit den frühen 1970er-Jahren mit ihrer Arbeit Erfolge gefeiert. So gehörte auch die Einführung des Großformates zu ihren essenziellen Ausstellungspraktiken zu einem Zeitpunkt, als dies im Formatkanon noch nicht selbstverständlich war: Durch das Austesten von Größen durch Projektionen im Raum manifestiert sich das ungewöhnliche Format. Ihre seriellen Fotoarbeiten sind Ausdruck von Reflexionen sowohl über die eigene Identität und das Individuum, über Genderdiskurse und die notwendige Emanzipation der Rolle der Künstlerin als auch über die gesellschaftliche, politische, soziale und kulturelle Gegenwart. Ihr Archiv ist Gedächtnis- und Wissensspeicher, der die subjektive Wahrnehmung des Zeitgeschehens und der Themen der Künstlerin spiegelt und damit ein Bild der jeweiligen Zeit transportiert. Sie durchdenkt das Tagesgeschehen und stellt – unter Einbeziehung der eigenen Person und von Geschichte – visuelle, künstlerische „Diagnosen“. Die permanente Auseinandersetzung mit dem Medium Film / Kino bleibt bis heute in vielen ihrer Arbeiten sichtbar, so wie sie auch, vom Bühnenbild kommend, um die Kraft vom magischen Bildraum und um die subversiv-kritische Kraft einer visuellen Aussage weiß.Bekannt geworden ist Sieverding sicher durch die beispiellose Konsequenz, mit der sie seit den 1960er-Jahren filmisch und fotografisch ihr zum Teil extrem vergrößertes und auf vielfältige Weise manipuliertes Porträt einsetzt. Ab den 1970er-Jahren entstehen die großformatigen Multilayer-Montagen zur Weltlage, die 1977 erstmalig auf der documenta 6 international veröffentlicht wurden. Die Künstlerin untersucht bis heute mit der Intervention der Found Footage- Montage tief verankerte Macht- und Moralansprüche, stellt sie in Frage und versucht den „Kern des Geschehens“ zu treffen. Gefundene Bilder und Texte werden aus dem gewohnten Kontext genommen und in neue Sinnzusammenhänge gebracht – so platziert sie mit großer Klarheit neue Bilder im kollektiven Bildgedächtnis.
Aber sie stellt auch grundsätzliche Fragen zur Kunst und zu den Bedingungen ihrer Produktion und Rezeption, darüber hinaus untersucht sie bildnerisch den Zusammenhang zwischen individuellen und globalen Strukturen. Ihre künstlerische Praxis, ihr ‚Spiel‘ mit unserem Bildgedächtnis bildet die beschleunigten Bildprozesse der Gegenwart nicht nur ab, sondern hinterfragt kritisch die Kraft und Macht von Bildern im Sinne einer Verantwortung sich selbst und uns gegenüber.
Der retrospektive Charakter der Ausstellung zeigt sich in einem Überblick ihrer seriellen Fotoarbeiten von 1967 bis heute, ergänzt durch raumhohe Projektionen, die es der Künstlerin erlauben, die innovative Kraft ihres Bildarchivs zu visualisieren. Eine Ergänzung im Foyer und eine künstlerische Erweiterung in den Stadtraum hinein belegen die notwendige öffentliche Sensibilisierung für die Kraft und Macht von Bildern.