Die Kunstsammlungen Chemnitz präsentieren zum Auftakt des 100-jährigen Jubiläums der Russischen Revolution vom 11. Dezember 2016 bis zum 19. März 2017 etwa 400 Leihgaben von 110 Künstlern aus der Sammlung Vladimir Tsarenkov. Die Werke aus den Jahren 1907 bis um 1930 ermöglichen, die ästhetische Revolte und die sozialutopische Zielrichtung dieser Kunst gleichermaßen zu demonstrieren. Neben Gemälden, Zeichnungen und Grafiken werden Architekturmodelle, Vorarbeiten für Theaterdekorationen, Entwürfe für Bucheinbände, Textilentwürfe, Vorzeichnungen für Plakate, Porzellanentwürfe und die hochkarätigen Gebrauchsporzellane dieser Epoche mit konstruktivistischem Dekor gezeigt.Als mit dem beginnenden 20. Jahrhundert in ganz Europa die Künstler neue Wege beschritten und die Kunst formal revolutionierten, hinterfragten sie zugleich deren soziale Wirkung und suchten nach neuen Vermittlungsmöglichkeiten. Sie distanzierten sich nicht nur vom Lehrinhalt der Akademien, von der konservativen Orientierung an einem überlieferten Kanon und vom Kunstbetrieb als solchem, sondern suchten jenseits der etablierten Gesellschaft eine breite Öffentlichkeit. Die Kunst der Moderne verband den ästhetischen Aufbruch mit der Utopie, mittels der Kunst in die Lebenswelt selbst gestal- tend eingreifen zu können. Dieser Grundgedanke vereinte die Kubisten, Futuristen, Expressionisten, Dadaisten und Abstrakten in ganz Europa ebenso wie die Radikalität ihrer Experimente. Nirgendwo aber erfolgte der Sprung in die Moderne gewagter und konsequenter als in der Kunst Russlands und der jungen Sowjetunion.
Zwischen 1905 und 1920 erschütterten Revolutionen, Krieg und Bürgerkrieg das alte Zarenreich. Zugleich wagte eine junge Künstlergeneration einen ästhetischen und visionären Aufbruch, der Vorbote und treibende Kraft kommender Veränderungen war und diese begleitete. In keinem anderen europäischen Land verband die Avantgarde so unmittelbar Kunst und soziales Engagement. Die Künstler Russlands kooperierten in Ausstellungen und Publikationen mit der westeuropäischen Avantgarde und entwickelten eigene künstlerische Spielarten wie den Kubofuturismus oder den Suprematismus. Die fundamentalen Veränderungen nach den Revolutionen begrüßten sie nahezu einhellig und stellten ihr Können der neuen Gesellschaft zur Verfügung. Sie wirkten als Kultur- funktionäre und Hochschullehrer, Designer und Architekten. Das neue Formenvokabular des Konstruktivismus und Suprematismus verließ die Ateliers und besetzte den öffentlichen Raum auf Plakatwänden und Bucheinbänden. Auch privat durchdrang es das Leben, wie Tapeten, Stoffmuster und Porzellandekors zeigen. Die Künste verschwisterten sich, Dichter malten und Maler verfassten Texte. Eine neue Internationalität war das Ziel der Kunst. Futuristische nonverbale Texte und geometrische Abstraktionen überwanden nationale und politische Schranken und mündeten programmatisch in eine „Internationale des Konstruktivismus“. Heute faszinieren die Größe dieser Visionen und die Tatkraft, mit der an ihrer Umsetzung gearbeitet wurde – unabhängig vom letztlichen Scheitern aufgrund der Fesseln der stalinistischen Kulturpolitik.
Zur Ausstellung erscheint ein 424-seitiger Katalog mit farbigen Abbildungen aller Werke und mit Essays von zehn Autoren in einer deutschen und englischen Ausgabe. Sämtliche in der Ausstellung vertretenen Künstler werden in kurzen Einzeldarstellungen vorgestellt.
Ein Rahmenprogramm mit Lesungen und Vorträgen begleitet die Schau.
Die Realisierung der Ausstellung wäre nicht möglich gewesen ohne die großzügige Unterstützung der Ostdeutschen Sparkassenstiftung gemeinsam mit der Sparkasse Chemnitz, der NILES-SIMMONS-HEGENSCHEIDT GmbH, der BMW Niederlassung Chemnitz, der GUNTER HÜTTNER + Co. GmbH BAUUNTERNEHMUNG und dem Diagnosticum. Dafür bedanken wir uns herzlich.