Dem Gedanken des Gesamtkunstwerkes verpflichtet, beschäftigten sich zahlreiche Entwerfer und Handwerker der Wiener Werkstätte (WW) auch mit der künstlerischen Gestaltung von Büchern. Das MAK widmet diesem Aspekt erstmals eine eigene Ausstellung und zeigt unter dem Titel BUCHEINBÄNDE DER WIENER WERKSTÄTTE einen Überblick über die facettenreichen Einbandentwürfe. Circa 70 Bücher aus den Privatsammlungen von Ernst Ploil, Gastkurator der Ausstellung, und Richard Grubman werden um 40 originale Entwurfszeichnungen und rund 500 Lederstempel aus der MAK-Sammlung ergänzt.In ihrem erfolgreichen „Kampf gegen die schrecklichen, roten, goldverzierten Einbanddecken unserer Prachtwerke“, wie es 1905 in der Wiener Sonn- und Montagszeitung hieß, ließ sich die Wiener Werkstätte von der Arts and Crafts-Bewegung inspirieren. Vor allem William Morris’ Kreationen lieferten den WW-Gründern Josef Hoffmann und Koloman Moser wesentliche Impulse. Sie bezogen bewusst jenes Leder aus Paris, das auch Morris als kostbaren Schutz für Bücher einsetzte.
Bereits 1904 engagierten Hoffmann und Moser den renommierten Wiener Buchbinder Carl Beitel als Geschäftsführer ihrer Buchbinderei. Seine technische Kompetenz entsprach dem Anspruch der WW auf höchste handwerkliche Qualität. Nicht nur die manuelle Fertigung, auch die originelle Gestaltung der Bücher wurde national und international gewürdigt, unter anderem von Berta Zuckerkandl.
Einige Einbandgestaltungen der WW nahmen direkt Bezug auf den Buchinhalt. Beispielsweise spiegelt ein von Hoffmann gestaltetes Cover zu Alexandre Dumas’ Die drei Musketiere mit drei parallelen Linien den Buchtitel wider. Ebenfalls zu sehen ist ein im Auftrag von Max Morgenstern entstandener Buchumschlag zu Dante Alighieris Die Göttliche Komödie, der mit einem goldenen Sternenhimmel auf die Handlung dieses literarischen Klassikers referiert.
Entsprechend dem Credo der Wiener Werkstätte – „gutes Material und technisch vollkommene Durchführung“ – bediente sich die Buchbinderei eines breiten technischen Repertoires. Unter anderem wurde mit Ledereinlegekunst, Blinddruck, Handvergoldung und Lederflechten gearbeitet. Bei der Herstellung von Kleister- und Tunkpapieren kam insbesondere Carl Beitel eine tragende Rolle zu. Aus Tunkpapier wurden 1904 Einbände nach Entwürfen Koloman Mosers geschaffen: Adele Bloch-Bauer scheint hier als erste Kundin der WW im Modellbuch auf. Als Material diente meist Ziegenleder, sogenanntes „Maroquin“. Gelegentlich wurden auch Stoffe verwendet, seltener exotischere Lederarten wie Krokodil-, Schlangen-, Perlrochen-, Eidechsen- oder sogar Froschhaut.
Stilistisch dominierten geometrische Formen und abstrahierte florale Elemente die frühen Entwürfe von Hoffmann und Moser. Nach Mosers Ausscheiden aus der WW im Jahr 1907 fungierte Hoffmann für einige Jahre als alleiniger Entwerfer von Bucheinbänden, bis er ab 1910 von Eduard Josef Wimmer-Wisgrill unterstützt wurde.
Nach 1918 kam es teilweise zu einer verspielteren, üppigeren Gestaltung: neben Dagobert Peche und Julius Zimpel entwarfen auch Künstlerinnen wie Irene Schaschl-Schuster, Anny Schröder, Hilde Jesser, Fritzi Löw, Gudrun Baudisch, Kitty und Felice Rix, Mathilde Flögl oder Maria Likarz-Strauss Bucheinbände. Naturalistische figürliche Motive, aber auch Blumensträuße oder Blumenvasen waren charakteristisch für die von Frauen entworfenen und handbemalten, teilweise getriebenen oder press- reliefierten Buchumschläge.
Die zeitgleichen Ideen Hoffmanns zeichnen sich im Gegensatz dazu durch eine geradezu raffinierte Einfachheit des Dekors aus. Ab 1924 verwendete er rhythmisch aneinandergereihte wellenförmige Profile als dekoratives Element. Auch in seinen Bauten wie dem Österreichischen Pavillon der Pariser Exposition internationale des Arts décoratifs et industriels modernes 1925 lässt sich dieses Wellenprofil erkennen.
Ab 1927 entstanden als weitere Variante Bucheinbände, auf die profilierte geometrische und anschließend mit Leder überzogene Holzraster aufgebracht wurden. Ein Beispiel dafür ist ein Gästebuch für einen Weggefährten Hoffmanns, den Bibliothekar des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie Hans Ankwicz-Kleehoven.
Mit ihrer Ideenfülle und professionellen handwerklichen Umsetzung lieferten die Bucheinbände der Wiener Werkstätte der österreichischen Buchkunst wesentliche Impulse.