Er ist einer der originellsten Abstrakten des 20. Jahrhunderts: In einer großen Retrospektive zeigt das Museum Ludwig das Werk von Otto Freundlich (1878–1943).Mit Hilfe von rund 80 Exponaten zeichnet die Ausstellung Werk, Denken und Leben eines Künstlers nach, der Gemälde und Skulpturen ebenso schuf wie Fenster und Mosaike, der in leidenschaftlicher Auseinandersetzung mit der Kunst seiner Zeit einen eigenen Weg zur Abstraktion fand und der schließlich von den Nazis an den Rand gedrängt, als „entartet“ verfemt und als Jude ermordet wurde.
Diese Ausgrenzung und Auslöschung von Werk und Künstler prägt noch immer die Rezeption. Viele von Freundlichs Arbeiten wurden zerstört. Sein Großer Kopf, den die Nazis 1938 auf das Titelblatt ihres Ausstellungsführers „Entartete Kunst" setzten, ist noch heute sein bekanntestes Werk. Die Retrospektive ermöglicht nun eine Begegnung mit dem Gesamtwerk und rückt es in das Zentrum der kunstgeschichtlichen Entwicklung. Sie setzt ein mit den frühen Kopf-Plastiken und -Zeichnungen und stellt die kaum bekannten angewandten Arbeiten neben die Skulpturen, Gemälde und Gouachen. Und sie liefert Einblicke in Freundlichs Schriften, in denen er sein Schaffen sozial und künstlerisch verortet hat.
Freundlich, der seit 1924 in Paris lebte, war mit führenden Künstlern seiner Zeit befreundet. Einen Appell an den französischen Staat zum Ankauf eines seiner Werke unterzeichneten 1938 Delaunay, Döblin, Kandinsky, Picasso und viele andere. Charakteristisch für seine Entwicklung war zunächst die Nähe zur angewandten Kunst. In Teppichen, Mosaiken und Glasbildern schloss er an die Tradition der Zünfte an, um sie mit einer kollektiven Kunst der Zukunft zu verbinden. In der leuchtenden Flächigkeit alter Kirchenfenster sah er die Begrenzungen einer plastischen, von den Konturen der Gegenstände her konzipierten Kunst überwunden.
Diesen Weg verfolgte er weiter. Die Abstraktion verstand er als Ausdruck einer radikalen Neuerung, die weit über die Kunst hinausging. Die gekrümmten Flächen seiner Gemälde reflektieren etwa das Raumkonzept der Physik Albert Einsteins, mit der er früh vertraut war. Die Überwindung der Gegenständlichkeit hat aber auch eine soziale Dimension. Für Freundlich war alle dingliche Wahrnehmung von Besitzdenken durchdrungen und damit überholt: „das Objekt als Gegenpol des Individuums wird verschwinden; also auch das Objektsein eines Menschen für den andern“. Den Zusammenklang der Farben auf seinen Bildern sah er stets in einem Zusammenhang mit dem großen Ganzen. In dem Kommunismus, für den er kämpfte, sollte es keine Grenzen geben „zwischen Welt und Kosmos, zwischen Mensch und Mensch, zwischen Mein und Dein, zwischen allen Dingen, die wir sehen“.
Die Retrospektive versammelt zahlreiche Leihgaben. Eines der schönsten Exponate aber stammt aus Köln: das Mosaik Geburt des Menschen (1919), das Nationalsozialismus und Krieg wie durch ein Wunder in einem Schuppen überstanden hat. 1954 installierte es die Stadt Köln im neu errichteten Opernhaus. Danach geriet es – obwohl es stets öffentlich zugänglich war – nach und nach aus dem Blick. Nun wird es im Museum Ludwig gezeigt: als ein Hauptwerk des Künstlers und zum ersten Mal im Kontext des Gesamtwerks.
Im Anschluss wird die Ausstellung vom 10. Juni–10. September 2017 im Kunstmuseum Basel zu sehen sein. Sie entstand in Zusammenarbeit mit dem Musée Tavet-Delacour in Pontoise (Frankreich), das Freundlichs Nachlass beherbergt.
Die Ausstellung steht unter der Schirmherrschaft der Staatsministerin für Kultur und Medien, Prof. Monika Grütters.
Kuratorin: Julia Friedrich