Vom 25. November 2016 bis 26. Februar 2017 zeigt das Kunsthaus Zürich die Sonderpräsentation «Edvard Munch und die Familie Esche. Die Bildnisse - Die Sammlung». Edvard Munchs und andere Spitzenwerke aus dem Besitz der Chemnitzer Industriellen-Familie Esche werden im Kunsthaus Zürich vereinigt. Neu hinzugekommen ist das «Bildnis Hanni Esche» (1905).1905 malte Edvard Munch sechs Bildnisse der Familie des Chemnitzer Textilindustriellen Herbert Esche; die Mehrzahl, mit dem grossen Gruppenbild der Kinder im Zentrum, gehört seit 1997 der im Kunsthaus Zürich domizilierten Herbert Eugen Esche-Stiftung und hängt in der Sammlung. Nun erhielt die Stiftung auch das Porträt der Mutter Hanni Esche geschenkt, das Pendant des Kinderbildes und ein Meilenstein in der Entwicklung des stark farbigen, reifen Stils Munchs. Dieses «Bildnis Hanni Esche» (1905), das neu als Dauerleihgabe die Sammlung des Zürcher Kunsthauses bereichert, ist ein strahlendes Bild. Vor dem leuchtend gelben Grund erscheint wie eine grosse Welle in reinem, lichten Blau das Gewand, über dem aus dem rosa Gesicht die Augen zu den Kindern und dem Betrachter blitzen. Seine Ankunft im Kunsthaus und die Wiedervereinigung der Porträts der Familie Esche (das Porträt der Mutter kommt zu demjenigen ihrer beiden Kinder zurück) wird mit einer kleinen Ausstellung gefeiert, die die Entstehungsgeschichte des Werkes rekonstruiert.
REKONSTRUKTION DER SAMMLUNG ESCHEUrsprünglich befanden sich die Gemälde in der bedeutenden Villa, die Henry van de Velde für Esche baute, doch 1945 übersiedelte Herbert Esche zu seiner Tochter nach Küsnacht, wo die Bilder in dem ebenfalls von van de Velde möblierten Esszimmer hingen. Diese Situation wird für die Ausstellung rekonstruiert, begleitet von einer Dokumentation über das bahnbrechende Gebäude und die Entstehung der Werkgruppe Munchs, und ergänzt von etwa zehn weiteren Gemälden aus der Familiensammlung – darunter Werke von Theo von Rysselberghe, Signac, Cross, Vuillard u.a. Gemeinsam bilden sie ein für den avantgardistischen Geschmack um 1900 paradigmatisches Ensemble, wie es sich nur selten erhalten hat.
«BIN MORGEN CHEMNITZ --- MUNCH.»Hanni und Herbert Esche waren bereits erfolgreiche Textilunternehmer, als sie 1902 Henry van de Velde, den Begründer des Jugendstils, beauftragten, ihnen eine Villa zu bauen. Es war van der Veldes erster wichtiger Bauauftrag und grundlegend für seine Tätigkeit und Reputation als Architekt. Jedes Detail wurde durchgestaltet – neben der Einrichtung auch der künstlerische Schmuck in der Villa. Esches, mit Farben und Formen bestens vertraut und mit einer Vorliebe für pointilistische Maler, wählten für die Familienporträts aber Edvard Munch. Hanni Esche schrieb ihm und lud ihn in die Villa ein, und schon bald sagte er zu: «ich male Kinder gern als ich Kinder sehr liebe». Am 30. September 1905 kam ein Telegramm «Bin morgen Chemnitz --- Munch.» In der Villa waren ein Wohn-, ein Schlaf- und ein Badezimmer vorbereitet; auf einem Tischchen stand eine Flasche Kognak, die täglich zu erneuern war. Munchs Zustand war seit seiner turbulenten Beziehung zu Tulla Larsen, die am 12. September 1902 mit einem Revolverschuss ein dramatisches Ende fand, bis zum katastrophalen Nervenzusammenbruch 1908 sehr labil. Nach dem Essen mit der Familie begab sich der eher wortkarge Gast in die Stadt, meistens ins Café Stadt Gotha. So ging es etwa drei Wochen weiter, und als Esche etwas unruhig wurde, kam van de Velde vorbei und endlich erkundigte sich Munch nach Farben, Pinseln und Leinwand und malte in vier Tagen sieben oder acht Bilder: zwei von Esche, das grosse Kinderbild, das Köpfchen von Erdmute, einen Ausblick aus der Villa auf Chemnitz, Frau Esche und ein weiteres Bild der Kinder mit dem Kindermädchen, das er, unbefriedigt, in Erdmute mit der Puppe und Hans-Herbert mit der Betreuerin zerschnitt. Am Sonntag, 29. Oktober waren Munch, Herr und Frau Esche mit Ernest Thiel, einem schwedischen Sammler, bei van de Veldes in Weimar zum Mittagessen eingeladen; in den nächsten Tagen nahm Munch dort sein Nietzsche-Bild für Thiel in Angriff.
DIALOG ZWISCHEN MUTTER UND KINDERNAls jetzt das Kunsthaus das «Bildnis Hanni Esche» in Gegenwart ihrer Enkelin aus der Transportkiste nahm und neben das «Kinderbild. Erdmute und Hans-Herbert Esche» (1905) stellte, überraschte sofort, dass die beiden Gemälde trotz allen Unterschieden aufeinander abgestimmt sind – man spürt, wie hier ein Dialog zwischen der Mutter und ihren Kindern entsteht. Es ist ein zusammen komponiertes Ensemble, fast wie ein Gruppenbild in zwei Teilen. Das kleine Format des halbfigurigen Porträts wird durch die höhere farbliche und malerische Dichte mit der grösseren Ausdehnung des ganzfigurigen Doppelbildnisses in ein spannungsvolles Gleichgewicht gebracht: die wesentlich lebensvollere Mama präsentiert ihre beiden, etwas blassen, eher schüchtern posierenden Kinder. Dass die Gemälde nun nach langer Trennung wieder zusammengekommen sind, ist ein grosses Glück und gibt den beiden Meisterwerken ihre ursprüngliche Ausstrahlungskraft zurück.
MUNCH UND ZÜRICHChristian Klemm, ehemaliger Sammlungskonservator am Kunsthaus und Stiftungsrat der Herbert Eugen Esche-Stiftung, zeichnet für die Einrichtung der Sonderpräsentation verantwortlich. Ihr Ort, der historische, im späten Jugendstil errichteten Teil des Kunsthauses, hat Edvard Munch bei einer ihm 1922 gewidmeten Ausstellung selbst gesehen. Das Kunsthaus Zürich besitzt die grösste Sammlung von Werken Edvard Munchs ausserhalb Norwegens. Fast alle Gemälde sind dauerhaft im zweiten Obergeschoss des von Karl Moser 1910 erbauten Museums ausgestellt. In den Jahren 1952, 1987 und 2013 fanden weitere grosse Ausstellungen zum Werk des bekanntesten nordischen Expressionisten statt.